November 2009
Am 2. November begann mit Maria die Hochsaison im Geethanjali und bis Mitte März 2010 sind wir komplett ausgebucht. Wir mussten sogar das 4. Zimmer, welches bis anhin nur als Nursing-Room benützt wurde, räumen, um indische Patienten unterzubringen. Alle neuen Anfragen werden auf die Saison 2010/11 vertröstet und auch da habe ich schon feste Buchungen. Wir freuen uns riesig, dass das Geethanjali dermassen gefragt ist, weil es nicht selbstverständlich ist, da der Tourismus sehr leidet. Die Charterflüge aus England, den Skandinavischen Ländern und Russland wurden gestrichen. Deshalb haben besonders die kleinen Gästehäuser, Pensionen und Resorts Mühe, ihre Zimmer zu füllen.
Ich freute mich schon lange auf meinen Geburtstag, den ich zusammen mit meiner Freundin Margaret verbringen wollte. Wir trafen uns bei ihr zu Hause in Kovalam, zum Mittagessen sassen wir in einem neuen Restaurant an der Beach mit Sicht auf die graue See, den wolkenverhangenen Himmel und es schüttete zum Teil Bindfäden. Typisch Monsun. Aber herrlich! Trotzdem war es warm und wir genossen die Stimmung am einsamen Strand.
Später besichtigten wir ein neues 5-Sterne-Hotel, welches auf die kommende Saison eröffnet wird und da ich bereits den General Manager und die Gästebetreuerin kenne, kamen wir in den Genuss einer speziellen Führung durchs Haus. Wir waren beeindruckt und werden gerne mal das Restaurant testen, wenn sie sich eingerichtet haben.
Zum Apéro und Dinner gings weiter ins Leela, wo wir schon fast zu den sonntäglichen Stammgästen zählen. Wir entschieden uns für à la carte und mein Menu stand schon lange fest. Nach einem Martini bianco als Vorspeise Melone mit Parmaschinken, zum Hauptgang ein zartes Tenderloinsteak mit Kartoffeln, dazu eine Flasche Rotwein und zum Dessert Tirami-sù. Mal keinen Reis, kein Curry, keine Chappathis und kein Herbalwater. Was für ein Festessen!!! Mit Margaret lässt es sich so herrlich schlemmen und wir genossen den gemeinsamen Abend sehr! Dazu ein exzellenter Service, die gediegene Ambiance auf der gedeckten Terrasse und da der Regen sich gelegt hatte, wars einfach unvergesslich.
Natürlich wurde bei Margaret zu Hause noch bis in die Puppen geplaudert, trotzdem waren wir am nächsten Morgen wieder fit und liessen uns nochmals im Leela beim opulenten Frühstücksbuffet verwöhnen. Von Lachs bis zur Mövenpick-Glacé war alles da, was das Gourmet-Herz begehrte. Zum Abschluss überraschte mich Margaret noch mit einer fantastischen Schwarzwälder-Kirschtorte, damit ich zu Hause noch mit Savitha und Shashi feiern konnte. So schön hatte ich mein Wiegenfest schon lange nicht mehr gefeiert!
Shibu holte mich ab und es ging direkt zum Flughafen, um Birgit abzuholen. Nach der Einführung und dem Tee blieb grad noch eine halbe Stunde Zeit für eine kleine Siesta – spürte mein Schlafmanko! - bevor ich mit Dr. Gopika, Maria und Birgit in die Stadt fuhr zum Kinoabend im Goethe-Zentrum. Meine Güte – wir waren absolut schockiert!!! Der Film „Gegen die Wand“ (deutsch/türkischer Award-Film) war dermassen mit derben Sexszenen beladen, Drogen, viel Gewalt mit Blut – unmöglich für das hiesige Publikum und auch für uns! Das brauche ich echt nicht! Zudem schäme ich mich hier für solche Filme, wo die europäischen Frauen und überhaupt die ganze Gesellschaft in ein mehr als schlechtes Bild gerückt werden. Sieht ja so aus, als wären wir alles sexverrückte Prostituierte, die vollgempumt sind mit Drogen und Alkohol, die rauchen und einander umbringen wollen. Besonders, wenn man weiss, dass die Inder ihre Frauen kaum nackt zu Gesicht bekommen... Maria, Birgit und ich waren bestürzt. Dr. Gopika konnte damit umgehen und meinte, es sei ein preisgekrönter Film und hätte schon eine Aussage gehabt. Zudem werden solche Filme auch während den Internat. Filmfestspielen gezeigt. Ja, ich weiss. Ich war jedoch froh, dass die Kinder nicht dabei waren, erfuhr jedoch später, dass er mit „nicht unter 18 Jahren“ angegeben war. Das hatte ich verpasst. Der Film wurde vom Goethe-Institut Deutschland freigegeben und bereits in allen grossen Städten Indiens gezeigt.
Savitha begleitete mich zum Elterntag in der Schule, wo ich zum ersten Mal die neuen Lehrerinnen der 11. Klasse kennenlernte. Da ich jedoch vorher noch Illings am Flughafen abholte und ins Wild Palms begleitete, kam ich zu spät zum PTA-Meeting (Parent-Teacher-Association). Spielte jedoch keine Rolle, da alle Vorträge in Malayalam gehalten wurden. Somit musste ich nur noch die letzte Viertelstunde der Prinzipalin über mich ergehen lassen, bevor die Eltern bei jedem Lehrer vorstellig wurden und wir hörten, wie sich unsere Kinder während dem Unterricht verhalten, was verbessert werden kann, ob sie genug lernen und die Noten wurden besprochen. Es ging alles prima, auch wenn das Zwischenzeugnis nicht gerade Begeisterungsstürme auslöste. Doch sie hat überall bestanden und das ist ja die Hauptsache.
Zwei Tage vor meinem Geburtstag setzte der Nordmonsun ein und wir waren extrem froh um die starken Regenfälle. Es goss oft auch tagsüber, was sonst nicht üblich ist für diese Jahreszeit, doch nach den heissen Wochen davor, nahmen wir den Regen als Segen – ob nur nachts oder auch tagsüber.
Mitte Monat fuhr ich nach Varkala und besuchte Bea und Ram mit ihren beiden Kindern Luca (5) und Naina (10 Mte). Sie kommen fast jedes Jahr nach Indien und meist planen sie auch einen Abstecher nach Kerala, wo wir uns dann irgendwo in der Nähe treffen. Den süssen Luca kannte ich natürlich schon und er war ganz stolz, seiner kleinen Schwester die gemeinsamen indischen Wurzeln zu zeigen und auch sie fühlte sich wohl hier. Die beiden herzigen Mischlinge wachsen zweisprachig auf – berndeutsch und englisch. Auf dem Weg zum Flughafen kamen sie später noch rasch im Geethanjali vorbei und besuchten Gopikas. Auf ihrer Hochzeitsreise hatten sie Vater Paul dabei und wir erinnern uns noch gerne an den kulturellen Abend, den Dr. Gopika im Madom (Behandlungsraum) organisiert hatte.
Der 4. Todestag von Hans rückt näher – am 23. Januar – und Dr. Gopika organisiert wie jedes Jahr einen Anlass zu seinen Ehren. Mal einen Vortrag über Ayurveda oder sonst ein Thema in einer Schule, mal ein „Free Ayurveda-Medical-Camp“, wo die Leute sich untersuchen lassen können und gratis Medizin bekommen, „Feeding of the poor“ oder sonst was.
Für das kommende Jahr haben wir uns etwas Spezielles ausgedacht. Wir verteilen an 5 Schulen je 10 „Ayurveda medicinal plants“ und im Januar schauen wir, welche Schule die Pflänzchen am besten hegte und pflegte. Die Gewinner bekommen einen Preis und etwas in die Schulkasse.
Das Projekt startete am 16. November, dem ersten Tag des neuen Malayalam Monats. Wir luden den 86-jährigen Vaidya (traditioneller Ayurveda-Arzt) ein, das Geethanjali zu besichtigen. Wir kennen ihn seit ca. 6 Jahren und es war schon immer sein Herzenswunsch gewesen, uns zu besuchen, was jedoch aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich war. Er ist im Kopf noch voll da, doch sein Körper ist sehr schwach, deshalb kann er sein Haus/Praxis in Trivandrum kaum mehr verlassen. Bei schwierigen Fällen bespricht sich Dr. Gopikas gerne mit ihm. Da seine Söhne sich beruflich anders orientierten, wird er eines Tages sein riesiges Wissen mit ins Grab nehmen und deshalb hat er so quasi Dr. Gopika als Nachfolger erkoren, der schon viele wirkungsvolle Rezepturen bekommen hat. Die sind von nirgendwoher mehr zu bekommen, weil sie in den Ayurveda-Dynastien von Generation zu Generation weitergegeben wurden und da inzwischen 1-2 Generationen fehlen (aus mangelndem Interesse an Ayurveda), ist sehr viel Wissen verloren gegangen, da früher nichts aufgeschrieben wurde. Ayurveda wurde gelebt und nicht gross dokumentiert.
Dem Vaidya wurde ein gebührender Empfang bereitet. Er zündete die Öllampe im Garten hinter dem Gästehaus an und pflanzte den ersten „medicinal tree“ – Stachelbeere. Ich hatte die Ehre, ihm die tradionelle Schärpe umzulegen und Dr. Gopika schenkte ihm ein spezielles Buch. Doch keine Reden und keinen weiteren Pomp – um ihn zu schonen. Er liess es sich jedoch nicht nehmen, alles zu besichtigen und er wollte sogar zu Hans hinüber in den Herbalgarden, obwohl jeder Schritt eine Anstrengung war und er unter beiden Armen gestützt werden musste.
Am nächsten Tag haben Dr. Gopika und ich die ersten 10 Pflanzen der „Our Public School“ übergeben. Die Kinder begrüssten uns in der offenen Aula – stehend akkurat in Einerkolonnen, von den Kindergärtlern bis zur 9. Klasse. Eine kleine Privatschule, wo sie wie sonst auch überall Uniformen tragen, aber die Shorts sind oft zu gross, die Röckli schlecht genäht, der Stoff gebleicht vom vielen Waschen, die Krawatten hängen schief oder sind kaum gebunden, da ein Blätz am Knie und dort der Gurt nicht zu. Das gibts in Savithas Schule nicht – da wird extrem aufs Outfit geschaut und alle müssen proper daherkommen. Aber die Kinder sind einfach super süss!
Ich hielt den Chief-Guest-Speach und auch wenn mich die meisten Kinder nicht verstanden, staunten sie aus riesigen Augen und bewunderten meinen pinkigen Sari mit den silbrigen Pailletten. Dr. Gopika erklärte unser Projekt und die Hege der Pflanzen und sie gingen völlig mit. Danach die offizielle Übergabe des Jackfruit-Baum-Setzlings von mir an den Klassensprecher der 9. Klasse und das wars gewesen.
Sie werden die Bäumchen alleine pflanzen und haben von uns auch Dünger dazu bekommen, Umzäunungen, alle Etiketten mit den Malayalam- und botanischen Namen, Harke und Schaufel und ein Botanikbüchlein, wo beschrieben wird, welche Pflege jede Pflanze braucht.
Wenige Tage später erschien ein grosser Artikel im „Indian Express“ mit Foto der Pflänzli-Übergabe und das Echo im Freundeskreis von Gopikas war riesig. Es meldeten sich weitere Schulen, die auch bei unserem Projekt mitmachen möchten und auch sie luden Dr. Gopika und mich als Ehrengäste ein.
Übers Wochenende vom 20.-22. November gab es grossen Gästewechsel, so dass ich 4x am Flughafen war, Maria begleitete ich nach Varkala, die dort noch ein paar Ferientage genoss, drei Einführungen und am Freitag abend fuhren wir mit den Gästen in einen Tempel zu einer Thullal-Vorführung. Den Tempel kannten wir von der grossen Pooja zum 75. Geburtstag von Hans und deshalb war es für Gopikas und mich ein besonderer Abend gewesen, wo wir seine Anwesenheit spürten. Da wir gerade zur Pooja-Zeit kamen, machten auch wir unsere Gebetszeremonien, bevor die Thullal-Vorführung begann. Thullal ist eine alte Kunstform, wo Epen aus dem Ramayana in Versform vorgesungen und getanzt werden. Das Besondere daran war, dass der Thullal-Künstler ein Deutscher war. Ich habe Hartmut Schmidt schon einmal im Thapovan bei Andreas erlebt und war auch damals total begeistert, vor allem weil er ein paar Sequenzen in Deutsch vortrug, so dass wir der Versform folgen konnten und die Geschichte verstanden. War grossartig gewesen und auch die Inder waren begeistert und staunten über seine perfekte Aussprache in Malayalam. Wir unterhielten uns noch mit Hartmut und Nicole und ich wurden gebeten, auf der Bühne ein TV-Interview für den Lokalen Sender Jeeva zu geben. Ein spezieller Abend für uns und unsere Gäste.
Im Dezember wird auch einiges los sein. Savitha stehen noch die grossen Weihnachtsprüfungen bevor und hat lediglich über Weihnachten ein paar Tage frei. Bereits vor Neujahr beginnt der Schulalltag wieder.
Ich bin dran, die 50 restlichen Matratzen fürs Waisenaus SMSS zu organisieren, die ich noch vor Weihnachten übergeben will, damit keines der Mädchen in Zukunft mehr auf dem harten Betonboden oder den Stahl-Kajütenbetten schlafen muss.
Zudem steht nochmals ein grosser Gästewechsel bevor und am 22. Dezember fliege ich über die Feiertage nach Sri Lanka. Mitte Januar fahre ich mit meiner Freundin Monika im Nachtzug nach Goa, wo wir eine Woche Ferien geniessen werden. Wir freuen uns schon sehr auf dieses Abenteuer, da sie Goa und Kerala sehr gut kennt, trotzdem haben wir beide noch nie eine so lange Zugfahrt gemacht. Wenn wir Glück haben, bekommen wir ein Zweierabteil für uns alleine und sonst sind wir eben zu viert.
Deshalb wir das vorläufig der letzte Newsletter sein, da ich nicht weiss, wann ich wieder zum Schreiben komme. Meine Schweizer-Ferien sind auch noch nicht geplant. Frühestens Ende Februar, wenn ich noch skifahren will und würde dann bis Ostern bleibe - habe ich noch nie erlebt! Es kann jedoch auch sein, dass ich erst im Sommer komme. Mein Vertrag läuft Ende Mai aus und falls mein Landlord das Haus als Mitgift für die Hochzeit seiner Tochter braucht, muss ich mich um eine neue Bleibe kümmern. Im Moment wird jedoch rundherum so viel gebaut, dass es sicher mehr Möglichkeiten gibt, als damals vor vier Jahren und ich bin ganz zuversichtlich, dass wir was finden, falls wir wirklich raus müssen. Wenn nicht, verlängere ich den Vertrag gerne noch um ein Jahr, da wir immer noch sehr glücklich sind in unserem Hexenhäuschen. Bis dann hat Savitha ihre Schule abgeschlossen und wir müssen uns um ihre weitere Ausbildung kümmern. Aber ganz klar, wir bleiben im Umkreis vom Geethanjali.
Somit wünschen wir euch allen eine besinnliche Adventszeit, gesegnete Weihnachten und einen fröhlichen Rutsch ins 2010!
Herzlichst
Yvonne und Savitha