April 2009
Eigentlich habe ich erwartet, dass der April völlig unspektakulär, ja sogar langweilig über die Bühne gehen würde, doch weit gefehlt...
Bis Mitte April hatten wir noch Gäste im Geethanjali und danach schickten wir das Personal für 10 Tage nach Hause. Ursprünglich war geplant, dass Dr. Gopika, Geetha und ich mit dem Zug nach Mumbai fahren, wo wir den Guruji in seinem Ashram besuchen wollten und danach weiter nach Chennai um eine Familie zu sehen, deren Sohn von Dr. Gopika behandelt wird. Die Familie hat uns schon x-mal eingeladen und es wäre eine tolle Gelegenheit gewesen, mal aus Kerala raus zu kommen und eine so lange Zugfahrt zu erleben. Wir hätten jedoch das Zugticket schon drei Monate zum Voraus buchen müssen und so liessen wir es sein. Offensichtlich sollte nicht mal die jährliche Pilgertour nach Guruvayoor für Gopikas sein und so blieben sie zu Hause, wo viele einheimische Patienten seinen Rat suchten und sich konsultieren liessen.
Ich verbrachte auch ruhige Tage zu Hause, da es sehr heiss war und man froh war, keine grossen Sprünge machen zu müssen. Die Ventilatoren liefen auf Hochtouren und in meinem Büro wurde es unter dem Flachdach bis zu 36° - der heisseste Platz überhaupt im ganzen Haus.
Savitha fuhr gleich nach den Prüfungen zu ihrer Schwester ins Heimatdorf, half im Haushalt und kümmerte sich um ihre 3-jährige Nichte Srikutty. Am 17. April holte man das zweite Baby per Kaiserschnitt. Ein Junge, der seinen Namen erst während der Zeremonie zu seinem 41. Lebenstag bekommt. Ich gehe mal davon aus, dass die Eltern wussten, dass es ein Junge wird, denn sonst wäre mit ziemlicher Sicherheit abgetrieben worden und sie hätten es nochmals „probiert“. In den Privatspitälern wird hier praktisch nur noch per Kaiserschnitt entbunden. Ein lukratives Geschäft (Operationskosten und 10-tägiger Spitalaufenthalt) und die Ärzte finden immer einen Grund, die Operation „schmackhaft“ zu machen. Zudem kann der Termin vorbestimmt werden. Und wem das nicht passt, soll doch lieber ins Government Hospital gehen und dort warten, bis sich das Baby meldet. Es liegt jedoch eindeutig auch an den Müttern. Sie wollen sich keinen Schmerzen mehr aussetzen und es scheint zum guten Ton zu gehören, wenn sie erzählen können, sie hätten per Kaiserschnitt entbunden. Keine gute Entwicklung...
Somit war ich abends jeweils alleine zu Hause, was sehr angenehm war und ich habe die Zeit für mich genossen. Auch Jimmy fehlt uns nicht. Ich fühle mich jetzt viel freier und wir müssen nicht ständig seine Fressenszeiten organisieren, wenn wir nicht hier sind. Wir kommen ganz gut ohne ihn zurecht. Ich denke, die Entscheidung war richtig gewesen.
Eine angenehme Abwechslung brachte Tatina aus Bern. Ich lernte sie im März auf dem Flug von Zürich nach Trivandrum kennen und nachdem sie im Ashram war und bis nach Singapore reiste, kam sie auf der Rückreise noch für zwei Tage zu mir und ich besuchte sie später noch in Varkala, bevor sie wieder nach Hause musste. Auch Rosi besuchte mich an einem Nachmittag mit ihrem Sohn Florian und wir verbrachten wie immer einen gemütlichen Nachmittag auf der Terrasse.
Die Alliance Française organisierte ein Jazz-Konzert in der Senate Hall vom University Campus. Ich freute mich sehr auf den Abend und war gespannt auf die neue Direktorin, die ich bei dieser Gelegenheit kennenlernte. Amélie ist mit einem Inder verheiratet und hat vor drei Monaten ihr erstes Baby bekommen. Wie erwartet, war es super laut, doch ich hatte mit Ohrstöpseln vorgesorgt. Der moderne Jazz war jedoch eindeutig zu exotisch für das hiesige Publikum und sie konnten nicht viel damit anfangen. War auch für mich grad so an der Grenze und in einem Land, wo man diese Musikrichtung überhaupt nicht kennt und das Publikum auch aus vielen älteren Leuten besteht, war das ziemlich gewagt. Die Euphorie hielt sich deshalb mehr als in Grenzen, obwohl der Applaus hier nie als Gradmesser gewertet werden kann, weil die Keraliten immer sehr zurückhaltend sind. Sie können einfach nicht ausflippen und sich freuen.
Und schon stand Ostern vor der Türe. Die Feiertage gingen spurlos an mir vorbei, da ich ja in einem Hindu-Quartier wohne mit Muslim-Nachbarn um mich herum und ich war weder in einem Gottesdienst in der Puthenthope, noch in der St. Andrews Church. Dafür genoss ich den Oster-Lunch mit meiner Freundin Margaret im Leela-Kempinsky, da sie eine Woche später nach Europa flog und wir einander erst Ende Juli wieder sehen. Das war mein „Osterhäsli-Event“.
Dieses Jahr fiel „Vishu“ auf den Oster-Dienstag. Die Hindus in Kerala feiern an diesem Tag das neue Jahr im landwirtschaftlichen Kalender, wo der erste Samen auf den Feldern ausgesät wird. Die Hausfrauen richten in den frühen Morgenstunden die traditionelle Öllampe her und nebst den üblichen Opfergaben mit Kokosnüssen, Bananen und Räucherstäbchen, dürfen die Vishu-Flowers nicht fehlen, die nur zu dieser Jahreszeit blühen und die bei uns als Goldregen bekannt sind. An diesem speziellen Tag werden auch Früchte, Gemüse, Süssigkeiten, Goldmünzen, Schmuck, ein Kleidungsstück, ein Spiegel etc. dazu gelegt und die übrigen Familienmitglieder sollen nach dem Aufstehen mit geschlossenen Augen vor das Deepam treten, um zuerst die grosse Pracht zu sehen, in der Hoffnung, dass die Götter einem im kommenden Jahr gut gesinnt sind und einem mit all den dargebotenen Opfergaben reich beschenken. Ich wurde zu diesem Anlass ins Geethanjali eingeladen, wo wir zusammen mit den Angestellten feierten und die Boni verteilt wurden.
Da Gopikas nicht in die Ferien fuhren, haben sie dafür ein schönes Familientreffen in der Stadt organisiert. Sie luden zwei frisch vermählte Paare ein mit ihren Familien, wobei die Bräute mit Geetha verwandt waren und die „Bräutigämmer“ mit Dr. Gopika. Die junge Generation kennt sich untereinander kaum mehr, da viele in den Golfstaaten wohnen und so war es auch für Malu und Kunjunni interessant, ihre Cousinen und Cousins kennen zu lernen. Ich war die grosse Attraktion, da sie alle schon von mir hörten, doch nicht kannten. Es wurde ein sehr vergnüglicher Abend und es war ein schönes Gefühl, als Familienmitglied von Gopikas dazu zu gehören.
Schon seit Wochen warfen die landesweiten Wahlen ihre Schatten voraus und es ging hoch zu und her in Kerala, wie auch in allen anderen Bundesstaaten. Jeden Tag Parteizusammenkünfte an jeder Hausecke und jeder Kreuzung und oft genügte ein Salontischchen als Rednerpult, ein Mikrofon, Lautsprecher und ein paar gemietete rote Stühle, um lauthals Wahlpropaganda zu machen. In der Stadt waren oft ganze Strassenabschnitte wegen Parteimärschen gesperrt und zugepappte Jeeps mit den Konterfeis der Kandidaten und riesigen Lautsprecherboxen auf den Dächern dröhnten tagelang durch die Quartiere. Daneben waren ja auch die Tempelfeste noch in vollem Gang und so ging es den ganzen Monat sehr laut zu und her! Am 16. April war es endlich soweit und ganz Kerala marschierte an die Urnen. Da über 700 Mio Inder ihr neues Parlament wählen, wird in fünf Etappen abgestimmt und somit wird das Resultat erst Mitte Mai bekannt gegeben. Hier ging es ruhig und gesittet zu her, ohne Ausschreitungen und am nächsten Tag gingen alle mit der berühmten blauen Tinte am Finger, als Zeichen, dass sie ihre Stimme in der Heimatgemeinde abgegeben haben, wieder zur Arbeit. Kunjunni war zum ersten Mal dabei, da er im letzten November 18 wurde.
Shashi begrüsste mich am 20. Mai freudestrahlend, überreichte mir einen kleinen Schokoriegel und erklärte, dass sie heute Geburtstag habe. Wie schön! Als ich sie jedoch fragte, wie alt sie sei, lachte sie nur und meinte, das wisse sie auch nicht... Ist offensichtlich nicht so wichtig!!! Sie durfte dafür am Nachmittag früher Feierabend machen und besuchte mit der Familie den Tempel. Überhaupt hat sie während diesem Monat etwas reduziert arbeiten dürfen. Erstens wegen der Hitze und zweitens gibt es weniger zu tun, wenn Savitha nicht hier ist. Da ihre Kinder Ferien hatten, schickte ich Shashi mit ihrer Schwiegermutter und den Kindern mal ins Kino, mal an die Beach, sie war zu diversen Hochzeiten eingeladen und ab und zu war auch eines der Kinder hier, um ihr etwas Gesellschaft zu leisten.
Im Büro gabs für mich auch nicht so viel zu tun, so dass ich mal wieder ausgiebig Zeit hatte zum Lesen. Nur um den Jahresabschluss der Merlotscha Consulting Pvt. Ltd. musste ich mich kümmern. Meine Firmenbuchhaltung ist jedoch relativ übersichtlich und so war auch das innert nützlicher Zeit erledigt und ich konnte alle Unterlagen dem Treuhänder übergeben, der sich um alles weitere kümmern wird.
Jasmi, das Mädchen von unseren Nachbarn, bekam ihre erste Periode und lud mich zur „Mens-Party“ ein. Vor zwei Jahren waren wir am gleichen Anlass von ihrer älteren Schwester Susmi. Zudem kenne ich das Prozedere bereits von Malu und Savitha. Die Mädchen werden beim esten Mal für 7 Tage zu Hause behalten - wo sie sich in einem separaten Zimmer aufhalten, eine spezielle Diät bekommen, sie werden gehätschelt und verwöhnt, bekommen jeweils Besuch von weiblichen Verwandten, dafür gibts keinen Kontakt zu Männern, nicht mal die Väter oder Brüder dürfen das Zimmer betreten und natürlich gibt es noch mehr Restriktionen, je nachdem wie traditionell an den Regeln festgehalten wird. Der Abschluss wird am 7. Tag mit einer Party gefeiert - das erste Mal im Leben eines Mädchens, wo sie im Mittelpunkt steht - und so wurde ich neben allen Verwandten zum traditionellen Biryani-Essen (Reisdurcheinander mit zähem Ziegenfleisch) eingeladen. Als Ehrengast wurde ich zuerst und alleine verköstigt – gehört sich so, auch wenn es weder unterhaltsam noch lustig und auch nicht angenehm ist – aber es ist halt so. Kaum hatte ich die Hände gewaschen, bedankte und verabschiedete ich mich, damit die anderen in Schichten essen konnten. Typisch indische Gastfreundschaft, doch alle waren glücklich, dass „Mama“ dabei war.
Das Goethe-Zentrum in Trivandrum organisierte ein 7-tägiges Filmfest und so war ich an zwei Abenden dabei. Hinter dem aufwändig renovierten Keralahaus, wo sie jetzt einquartiert sind, gibts ein offenes Amphitheater für etwa 150 Personen und ich denke, dass da noch so mancher Anlass auf dem Programm stehen wird. Später wird einmal im Monat ein deutscher Film gezeigt mit englischen Untertiteln. Finde ich toll, dass auch das Goethe-Zentrum neben der Alliance Française und der russischen Kulturgemeinde etwas für die Einheimischen bietet. Sie wollten mich im Februar anfragen, ob ich während den Sommerferien den einen oder anderen Kindernachmittag übernehmen würde, um mit den Kindern zu spielen, die Deutsch lernen wollen. Das hätte ich sehr gerne gemacht, nur war ich damals schon in der Schweiz. Doch wenn es wieder einmal etwas gibt, wo ich in irgendeiner Weise mithelfen kann, bin ich gerne bereit, nur will ich keinen festen Job annehmen, weil mir das zu viel wäre.
Doch DAS grosse Highlight des Monats war die Übergabe vom neuen Firmenauto, meinem Mahindra Scorpio, am 29. April. Das war wirklich ein spezielles Erlebnis gewesen, obwohl Hans und ich ja bereits das eine oder andere Gefährt in Kerala eingeweiht hatten. Zuerst die Vespa, dann der Ambassador, die Rikscha und noch zwei Tata-Sumo. Auf dem Weg mit dem Taxi zur Garage kam uns ein Elefant entgegen, was als gutes Omen gilt. Beim Eingang zum Autohaus war ich namentlich auf einer Tafel erwähnt. Heute standen zwei Auslieferungen an und man wünschte den Neufahrern „good luck“. Für die Schlüsselübergabe wurde eine richtig schöne Zeremonie arrangiert. Das Auto stand mit einem gelben Band dekoriert in der „Übergabe-Ecke“ und Shibu legte vor jedes Rad ein Betelnussblatt mit einer Limone, die beim Wegfahren zerquetscht wurden – als Symbol für eine gute Fahrt. Der General Manager persönlich überreichte mir die Schlüssel, die Autounterlagen und ein Päckli und es kamen viele Schaulustige von der Strasse her. Im Päckli waren Bonbons – auch typisch für hier, damit sich alle erfreuen können. Als wir wegfuhren, winkten uns alle zu und schon begann es zu tröpfeln – die Götter hätten es nicht besser arrangieren können und Dr. Gopika freute sich, dass wir ihren Segen bekamen. Auf der Fahrt überholten wir zwei Elefanten (ein noch besseres Omen, wenn man sie zuerst von hinten sieht!). Beim ersten Tempel liessen wir in meinem Namen eine Pooja beim Priester beten und den Autoschlüssel segnen. Dafür schmissen Dr. Gopika und ich je drei Kokosnüsse an eine Wand und alle zersplitterten in 1000 Stücke – wie könnte es anders sein – auch ein positives Zeichen! Weiter zu einem berühmten Ganesh Tempel und auch da beteten wir für unfallfreie Fahrten und liessen eine Pooja machen. Ein Auto kann wirklich kaum schöner und aufwendiger eingeweiht werden und ich habe mich sehr darüber gefreut. Am nächsten Tag kamen Gopikas Kinder nach Hause, da sie das Auto sehen wollten und ich lud alle zu einem feinen Dinner in die Stadt ein, wo wir das neue Auto und ihre Sommerferien feierten.
Savitha ist noch immer in Bharathanoor bei Saritha und ihrer Familie und ich werde sie voraussichtlich mit Shashi am 7. Mai abholen. Danach werden die Resultate von den letzten Prüfungen bekannt gegeben und wir werden uns um die neue Schule für das 11. und 12. Schuljahr kümmern müssen. Somit wird im Mai eine grosse Entscheidung anstehen und dann??? Ja, dann wirds hoffentlich ganz schnell Juni. Aber ich verrate noch nichts...
Liebe Grüsse und bis in einem Monat
Yvonne
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