Yvonne Muller

02 July 2008

Juni 2008

Die ersten Junitage verstrichen ruhig und ich war mehr oder weniger immer zu Hause beschäftigt. Am Morgen des 9. Juni erfuhr ich aus der Zeitung, dass die Maharani im Alter von 92 Jahren am Vortag verstarb. Zum 90. Geburtstag gab ihr Enkel ein Konzert und ich war damals ihre Sitznachbarin. Sie wirkte immer sehr zerbrechlich, war klein und bucklig, konnte aber trotzdem ganz schön bestimmend sein und war noch immer an allem interessiert, was in ihrem Umfeld passierte und in der Welt lief. Zudem trug sie den Sari noch als einzige über die Brust gebunden, wie es früher Tradition war. Vor drei Monaten musste sie hospitalisiert werden und kam nicht mehr nach Hause. Sie wurde noch am gleichen Tag nach Hinduriten eingeäschert und ich fuhr am nächsten Tag mit Shibu in den Palast, um der Familie zu kondolieren. Ich sass mit der Prinzessin und ihrem Mann im Empfangszimmer und wir unterhielten uns angeregt, bis ein weiterer Besucher kam und ich mich verabschiedete. Die Prinzessin begleitete mich zum Ausgang und wartete, bis Shibu vorfuhr und ich einstieg.

Noch am selben Tag begann der langersehnte Monsun. In ganz Kerala gab es Regen, nur Trivandrum blieb bis auf ein paar wenige nächtliche Regenschauer weiterhin trocken.

Am 14. Juni kam endlich wieder Leben in unser Häuschen und ich freute mich riesig auf meine Freundin Monika aus der Schweiz. Sie war schon 10x in Indien, davon 8x in Kerala und 7x bei uns. Das letzte Mal vor fünf Jahren. Sie ist völlig vernarrt in Indien und für mich war es toll, mit den Erklärungen nicht bei „Adam und Eva“ beginnen zu müssen, da ihr das ganze indische Drum und Dran sehr vertraut war. Wir schwelgten in Erinnerungen an unsere Treffen in Varkala und natürlich interessierte sie sich sehr für meine neue Umgebung, meine Arbeit und mein gesellschaftliches Leben hier, an dem auch sie teilhaben durfte. Es standen uns aufregende zwei Wochen bevor und die Einladungen flatterten nur so herein.

Bereits am Ankunftstag blieb ihr kaum Zeit, sich auszuruhen, da wir vor dem Mittagessen bereits in die Stadt fuhren zur Zusammenkunft des „Verein Deutsche Sprache“. Das letzte Mal trafen wir uns bei der Präsidentin zu Hause, was natürlich der persönlichere Rahmen war, als hier in der grossen Halle hinter dem Bischofspalast in Trivandrum. Trotzdem war es toll und ich habe mich gefreut, bekannte Gesichter zu sehen und neue kennenzulernen. Es wurden Kurzvorträge gehalten und Gruppenarbeiten gelöst, bevor Kaffee und Snacks serviert wurden. Bald soll ein Goethe-Center in Trivandrum eröffnet werden. Wäre sicher auch kulturell eine Bereicherung für die Stadt, wenn nebst der Alliance Francaise und der russischen Kulturgemeinde auch die Deutschen was bieten würden.

Nach dem aufregenden ersten Tag, genossen wir einen beschaulichen Sonntag in Kovalam beim Shopping und danach beim ausgedehnten Brunch mit Live-Musik im „Leela-Kempinski“ Hotel, wo wir nach dem üppigen Mahl noch einige Runden im Pool schwammen.


Wir wollten unbedingt nach Varkala, um alten Erinnerungen nachzuhängen und so besuchten wir Mani, unsere frühere Nachbarin, die sich überschwänglich freute, Monika-auntie zu sehen. Früher wurden wir jeweils in ihrer Küche bewirtet, wo sie die Snacks auf Zeitungen ausgelegte, ab und zu verirrte sich ein Huhn ins Haus und pickte die Brosamen auf und die Ameisen waren schnell zur Stelle für den grossen Schmaus. Inzwischen hat Mani einen grossen Wohnzimmertisch und es ist nur noch halb so abenteuerlich bei ihr. Sie zeigte uns stolz die Fotos von sich und den beiden Buben, die inzwischen schon bald 20 sind. Sie plauderte fröhlich in Malayalam auf uns ein und wir lachten und schwatzten in Englisch – eine lustige Frauenrunde, die sich prächtig verstand – wenn auch nicht wortwörtlich. Mani vermisst uns sehr, da sie mit den neuen Nachbarn keinen so guten Kontakt mehr hat.

Inzwischen hatte sich in unserem früheren Quartier herumgesprochen, dass „Mama“ da ist und so mussten wir uns überall verneigen, Hände schütteln und alle freuten sich, mich zu sehen. Auch für Monika war es spannend, da sie die meisten Shops kannte und für mich war es eine gute Gelegenheit, mich im Dorf zu zeigen. Wenn ich mit den Gästen unterwegs bin, reicht die Zeit dafür nie. Vom Medical Shop, über den Gemüsehändler, den Flowerman, Fotostudio und Optiker bis zum Blechshop, Bankmanager und den Marktfrauen - alle fragten nach unserem Wohlbefinden, was Savitha macht und welche Klasse sie in welcher Schule besucht. Schön, dieses Gefühl zu spüren, noch immer ein Teil des Dorfes zu sein. Die 10 Jahre in Varkala waren wirklich unvergesslich, auch wenn ich jetzt nicht mehr tauschen möchte.

Wir blieben zwei Nächte im Preeth-Hotel, wo wir die einzigen Gäste waren, was uns aber nicht störte. Auch auf den Klippen war alles wie ausgestorben. Bis auf zwei oder drei Restaurants und Shops war alles geschlossen und es sah ziemlich trostlos aus. Da war in Kovalam weit mehr los gewesen und es herrschte trotz tiefster Zwischensaison eine aufgeräumte Stimmung. Unser Varkala-Aufenthalt beendeten wir mit einer abenteuerlichen Busfahrt nach Hause. Eine Lehrerin vom Blindenheim in Varkala sass neben uns, nickte aber bald ein – sicher vom Geschaukel, der Hitze und dem anstrengenden Arbeitstag.

Shashis Schwester lud uns zur Hauseinweihung ein, doch da ich zum Flughafen musste, nahm Shashi Monika mit und die ganze Familie war völlig aus dem Häuschen wegen dem hohen Gast „from Switzerland“. Monika wurde umringt von Frauen und Kindern, sie musste fotografieren und alle wollten sich auf dem Display sehen. Sie war der absolute Mittelpunkt und noch wichtiger als das neue Häuschen.

Endlich war Zeit für die grosse Shoppingtour in Trivandrum. Den lieben langen Tag waren wir unterwegs, hatten viel Spass bei unseren tollen Einkäufen (vom Goldschmuck bis zur indischen „Beldona“) und Shibu war ein geduldiger Fahrer. Im „Casa Bianca“ bei der Schwedin Ingrid stärkten wir uns für die zweite Tour, doch damit war der Tag noch lange nicht zu Ende. Um 17.00 Uhr trafen wir Gopikas mit Dieter vor dem Kino. Nur mit Müh und Not konnten sie im Vorverkauf Tickets für uns besorgen, da der Film ganz neu in Trivandrum lief. Die ersten Sequenzen deuteten auf ein indischen Monumentalfilm aus dem 18. Jahrhundert hin, doch dann gabs einen Schnitt in die Gegenwart und aus dem Heldenepos wurde ein Action Thriller. Puh, ganz schön brutal, so dass wir oft weg schauten oder nur zwischen den Fingern hindurch „güggselten“. Und natürlich hatten Monika und ich die Ohren gestöpselt - der irre Sound wäre sonst nicht zum Aushalten gewesen. Der Streifen war zwar nicht unbedingt nach meinem Geschmack, trotzdem wars aufregend und ein Erlebnis, die Leute zu beobachten, wie sie sich begeistern können, sich mitreissen lassen, gröhlen, kreischen und klatschen. Die Filmmusik ist bereits DER grosse Hit und auch bei uns läuft die Musik nonstop vom CD-Player. Wie immer dauern indische Filme unendlich lange und deshalb wurde es Mitternacht, bis wir nach dem Dinner nach Hause kamen.

Zur zweiten Flughafentour diese Woche wurde ich von Monika begleitet, da sie die Stimmung und die Spannung der Wartenden erleben wollte. Ganze Verwandtschaften warten auf Ehemänner, Väter, Brüder, Onkel oder Cousins aus den Golfstaaten, die viel Geld mitbringen und noch mehr Geschenke. Für die Heimkehrenden haben sich alle schön herausgeputzt. Die Familien haben oft stundenlange Autofahrten hinter sich und dementsprechend müde und quengelig sind oft die kleinen Kinder. Nicht selten stecken die Buben in westlichen Anzügen mit Krawatte oder gar einer Fliege und die Mädchen in Tüll- und Polyesterträumen mit viel Glitter und Flitter. Faszinierend sind immer die Begrüssungen – meist werden nur die kleinen Kinder geküsst, die Männer begegnen sich mit Handschlag und umarmen sich und die Frauen müssen sich mit einem Augenaufschlag begnügen. Auch ich mag diese Aufregung, wenn neue Gäste kommen, mit denen man zum Teil schon sehr intensiv korrespondiert hat, einander jedoch noch nicht persönlich kennt.

Am Abend war auch Savitha mit von der Partie, als Monika uns zu einem feinen Essen im Taj Hotel in Kovalam einlud. Wir haben den Frauenabend sehr genossen und schwelgten in Erinnerungen an den 75. Geburtstag von Papa und wir wären vielleicht auch mit ihm am 10. Juni hierher gekommen, um den 20. Hochzeitstag zu feiern.

Keine Spur von lange ausschlafen am Sonntag! Um 08.00 Uhr erwartete uns die Nachbarin Sreedevi zur Hauseinweihung. In den letzten Tagen wurde Tag und Nacht gearbeitet und am Vorabend alles mit bunten Lichtergirlanden dekoriert. Es herrschte grosse Aufregung und Freude, als wir kamen und wir wurden wie immer umringt, ausgefragt, angelächelt oder angestarrt. Uns hätte die Pooja und die Milchzeremonie interessiert, doch das ging alles in der Nacht über die Bühne. Die Gäste wollten lediglich das bescheidene Häuschen besichtigen und verköstigt werden. Auch für uns gab es Barotha mit Eier-Curry, so dass wir uns nicht ums Frühstück kümmern mussten. War uns grad recht, da Shashi für fünf Tage ausfiel, weil ihre Schwiegermutter gestorben war und so mogelten wir uns durch die Mahlzeiten, damit wir nicht gross kochen mussten. Als Shashi wieder kam, waren wir alle froh, dass sie das Zepter übernahm und sich um den Haushalt kümmerte.

Noch am selben Vormittag fuhren Monika und ich ins Waisenhaus. Sie kannte das Heim bereits, doch inzwischen hatte es grosse bauliche Veränderungen gegeben, die ich ihr zeigen wollte. Wir wurden von einer Gruppe Mädchen begleitet, wobei uns jedes nah sein wollte und Zuwendung erwartete. Wir hatten viel Spass mit den süssen Girls für die ich noch immer das „Varkala-auntie“ bin. Gegessen wurde mitten im Speisesaal, wo es trotz 144 hungrigen Mädchen sehr diszipliniert zu und her ging und anschliessend waren wir beim Heimleiterehepaar in der Privatwohnung zu Kaffee und Kuchen.

Nach einem Ruhetag im Geethanjali mit Sunset-Spaziergang dem Backwaterkanal entlang vom Veli-Park, gabs am nächsten Tag eine kleine Sightseeing-Tour durch unser Dorf, welches direkt am Highway liegt. Wir schauten auf dem grossen Markt vorbei, schlenderten durch die vielen kleinen Einkaufsgassen und überall gab es etwas zu sehen und zu entdecken. Auf der Heimfahrt besuchten wir den Kindergarten in meinem Quartier. Ein kleiner Junge sah uns und brach gleich in Tränen aus. Wir schienen für ihn von einem anderen Planeten zu kommen und so steckte er die ganze Gruppe an und alle heulten gemeinsam... Das hat es noch nie bei einem Besuch gegeben, doch es passiert mir oft, dass Babies zu weinen beginnen, wenn sie mich sehen und ich kaum eines auf den Arm nehmen kann. Wir sind halt mit unserer weissen Haut absolut exotisch und sie fürchten sich vor dem Unbekannten, was durchaus verständlich ist.

Die letzten Einkäufe wurden noch in der Stadt erledigt und bei dieser Gelegenheit besuchten wir unsere frühere Angestellte Valsala, die hochschwanger im Spital liegt, weil sie zu wenig Blut hat. Es war ein Abenteuer sie zu finden, da wir uns auf allen Etagen in den offenen Sälen umschauen und uns durchfragen mussten. Dafür haben wir einen guten Einblick bekommen, wie die Frauen hier untergebracht sind. Alles machte einen sauberen und guten Eindruck, auch wenn ich hier nicht unbedingt ein Baby zur Welt bringen möchte. Monika kennt Valsala sehr gut und so freuten sich beide, einander wieder einmal zu sehen. Wir waren danach DAS grosse Gesprächsthema auf der Etage, weil sich sonst wohl kaum Ausländer hierher verirren.

Monika hat die prächtige Hotelanlage vom „Travancore Heritage“ in Kovalam noch während der Bauphase erlebt, deshalb war sie begeistert, als ich vorschlug, dort zu lunchen und uns die Kerala Cottages und die Zimmr im neuen Block zeigen zu lassen, wo mein Bruder Rolf und ich im Dezember unvergessliche Tage verbrachten. Da wir gerade aufgelegt waren, Resorts und Spitäler zu besichtigen, zeigte ich ihr noch das „Thapovan Heritage“ von Andreas, da sie wusste, dass ich dort mit den Gästen kulturelle Anlässe besuche.

Den letzten Halt legten wir beim KIMS-Hospital ein um ihr zu zeigen, wo ich mich behandeln lasse, wenn mir was fehlt. Da lagen natürlich Welten zwischen den beiden Krankenhäusern, doch die medizinische Versorgung ist überall gut und für alle Budgets gibt es was Passendes.

Obwohl wir bereits den ganzen Tag unterwegs waren, war der Tag war noch lange nicht zu Ende. Uns blieb nur Zeit, um zu duschen und uns umzuziehen für den Abend, da wir mit Gopikas und den Gästen noch einen Tempel besuchten und danach zum Dinner in ein typisches indisches Restaurant eingeladen wurden, wo jede Partei in einem separaten Häuschen speist. Es schmeckte wie immer prima und während wir auf das Essen warteten, wurden wir sogar von einem Zauberer unterhalten.

Das Ferienende nahte, doch noch immer flatterten Einladungen herein. Am zweitletzten Tag wurden wir als Ehrengäste zu einer Shoperöffnung im Quartier gebeten. Ich hatte die Ehre, den neuen Fancy-Shop zu eröffnen und durfte das Band durchtrennen und den ersten Kauf tätigen. Wenn sie jeden Vormittag einen so guten Umsatz machen (4 Euro) wird der Laden der Quartierrenner – ich wünsche es den Leuten.

Neben den grossen Ereignissen füllten wir die Tage mit kleinen Unternehmungen und begleiteten Shashi nach der Arbeit nach Hause. Wir durften ihr Häuschen besichtigen, wo in jeder Ecke etwas von „Mama“ zu finden war – von der Doppelbett-Matratze über alte Pfannen bis zu unserem Weihnachtsfoto neben ihrem Hochzeitsfoto an der Wand. Gopalakrishnan gab uns eine Yogastunde im Geethanjali während die Gäste in der Stadt waren und natürlich blieb auch immer genug Zeit für intensive Gespräche auf der Dachterrasse, so dass die EM völlig an uns vorbeiging. Ich hatte mir nur das Eröffnungsspiel in Basel angeschaut und für das Finale blieb ich die halbe Nacht auf wegen der Zeitverschiebung.

Sogar am letzten Ferientag hätte ich Monika noch ein absolutes Highlight bieten können – eine Hindu-Hochzeit - doch leider wurde in ganz Kerala gestreikt und so blieb uns nichts anderes übrig, als die Dachterrasse zu geniessen und sie begann, ihre 7 Sachen zu packen. Gegen Abend spazierten wir bis zu Gopikas Reisfeldern hinter dem Geethanjali, wo wilde 4-blättrige Kleeblätter in Hülle und Fülle wachsen. Auch ein schöner Ferienabschluss und um 01.00 Uhr in der Nacht begleitete ich sie zum Flughafen.

Wir hatten die ganzen zwei Wochen den Schirm nicht einmal aufspannen müssen und es blieb bei ein paar nächtlichen Schauern. Doch kaum hatte ich mich schweren Herzens von Monika am Flughafen verabschiedet, weinte auch der Himmel. Am Vormittag blieb es noch vorwiegend trocken und sonnig, doch nach dem Mittagessen verdunkelte sich der Himmel und es goss in Strömen. 10 Minuten später war auch der Strom weg – und das für 6 Stunden! Typisch – der Regen kommt – der Strom geht! Zudem wurden wegen der Wasserknappheit in den Reservoirs wieder abendliche halbstündige Powercuts eingeführt. Die sind jedoch zu festgelegten Zeiten, so dass man sich drauf einstellen kann und die romantische halbe Stunde bei Kerzenlicht geniessen Savitha und ich immer auf der Terrasse oder in meinem Bett, bis das Leben wieder weiter geht.

Da ich ab 20. Juli zum Teil abwesend sein werde und im August meine jährliche Ayurvedakur im Geethanjali mache, wird es wahrscheinlich erst Ende August wieder einen Newsletter geben.

Somit wünsche ich euch bis dahin eine tolle Zeit, geniesst den heissen Sommer und jetzt wo die EM vorbei ist, wird es sicher wieder etwas ruhiger...

Liebe Grüsse
Yvonne & Savitha