November 2007
Wo sind all die Tage und Wochen geblieben? Da hatten wir doch erst den 1. November und jetzt liegt der Monat bereits wieder hinter uns. Jeden Tag war grosses Programm angesagt und ich war mehr im Geethanjali drüben als zu Hause. Und sonst war ich mit den Gästen unterwegs. Ob in Kovalam, in Varkala oder bei diversen Shopping-Touren in der Stadt. Zudem besuchten mich viele Freunde aus der Schweiz und so genossen wir einen ausgedehnten Schwatz im „Somatheeram“, den Pool vom „Coconut-Bay“ oder vom „Taj Green Cove“, bevor es zu mir nach Hause ging zur Hausbesichtigung und zum Tee ins Geethanjali mit Führung durch die Anlage. Das nenne ich Lebensqualität, wenn man die Tage nach eigenem Gutdünken einteilen kann, kein Terminstress und Druck, nur das tun, was man selber gerade möchte, auch mal nein sagen können und wo die Gästebetreuung kein Job mehr ist, sondern einfach ein Zusammensein mit lieben Freunden. Zu Hause werden per e-mail oder Telefon die Kontakte im Ausland gepflegt oder zur alten Heimat, die Büroarbeit kommt auch nicht zu kurz und die Abende gehören Savitha und mir. Wir „basteln“ uns jeweils etwas zum Nachtessen, denn kochen kann man das kaum nennen und danach gibts die eine oder andere Rommée-Runde zwischen ihren Hausaufgaben. Ab und zu einen kulturellen Abend mit Gopikas und den Gästen – ein schönes und sehr privilegiertes Leben, welches ich führen darf. Ich bin mir dessen auch jeden Tag bewusst und geniesse es extrem, mich frei und trotzdem in der Familie Gopika aufgehoben zu fühlen. Natürlich gibt es nicht nur sonnige Tage, aber die kleinen Alltagssorgen gehören halt auch dazu, sind aber zu bewältigen, wenn rundherum alles stimmt.
Savithas 16. Geburtstag feierten wir im Oktober, für meine Torte hätten wir am 6. November 30 Kerzen mehr anzünden müssen. Wir machten deswegen aber keine grosse Party und es ging ohne Kuchen, Kerzen und Geschenke. Dafür freute ich mich sehr über Savithas bunte Karte, die sie mir gestaltete und dazu sogar einen Vierzeiler dichtete:
You are my love
Love is Mama
Mama is me
And I am only yours
Da floss wieder einmal mein Mutterherz über. Ja, was würde ich machen, ohne meinen kleinen Sonnenschein? Wir beide sind wirklich ein gutes Team und wir brauchen einander sehr.
Der Freudentag verlief dann zwar nicht ganz so, wie geplant, denn schon beim morgendlichen Gang in den Tempel begann es während der Gebetszeremonie dermassen zu giessen, dass der Yogalehrer jede „Grazie“ unter dem Regenschirm bis zum Auto begleiten musste, damit wir nicht innert Sekunden pitschnass wurden. Dr. Gopika konnte uns leider wegen einem Todesfall nicht begleiten und so machten der Yoga-Acharya und ich die Führung. Da es den ganzen Tag ausnahmsweise trüb blieb, habe ich mein Geburtstagsessen mit Savitha und Simi um ein paar Tage verschoben. Leider hat Savitha dann kurzfristig abgesagt, da sie das Tanztraining für den nächsten Childrens-Day nicht verpassen wollte. Deshalb genossen Simi, Marion und Gabi das gediegene Essen im Taj Hotel alleine und es wurde eine lustige Weiberrunde. So fröhlich habe ich meinen Geburtstag schon lange nicht mehr gefeiert!
Der 15. November wird Simi und mir in unvergesslicher Erinnerung bleiben. Wir machten einen Abstecher nach Kovalam, nachdem wir bereits einen Tag in Varkala verbrachten, während x Shopping-Touren in Trivandrum die Geschäfte unsicher machten und immer ging es lustig zu und her. Im „Swiss Café“ stärkten wir uns zum Lunch und im „Fusion“ gabs einen speziellen Drink, während wir darauf warteten, dass der Schneider eine Hose für mich anfertigte. Es blieb ihm nicht mal eine Stunde Zeit dafür – doch hier lautet das Motto immer: no problem!
Auf der Heimfahrt legten wir einen Halt ein bei einem berühmten Devi-Tempel, wo Dr. Gopika für Simi eine spezielle Pooja organisierte. Normalerweise ist es um die Abendzeit ziemlich voll in den Tempeln und nachdem man die Pooja-Tickets auf die goldenen Stufen vor dem Sanktum Sanktorum gelegt hat, umrundet man meist den Tempel, verneigt sich vor jeder Gottheit in den diversen Nischen und holt danach das Prasadam beim Priester ab. Doch dieses Mal war alles anders und es hatte praktisch keine Leute, so dass der Priester nur Simis Gebetszeremonie machte und wir konnten ihm zuschauen, wie er das rote Tuch, welches sie als Opfergabe spendete, schön drapierte und es Devi um die Hüften legte. Wir waren dabei, als er sich vor die Göttin setzte und ihr Blumenblüten zuwarf, während er die Mantras sang. Mit gefalteten Händen warteten wir sehr ergriffen und gerührt und wir nahmen alles nur noch durch einen Tränenschleier wahr. Ich habe noch selten einen Tempelbesuch dermassen tief erlebt. Und Simi erging es genauso. Shibu hat sich bestimmt gewundert, dass wir beide auf der Rückfahrt so still waren, da sonst fortwährend geplappert wurde. Simi hat vier Wochen gekurt und während dieser Zeit haben wir stundelange tolle Gespräche geführt, viel zusammen erlebt und unternommen und ich habe in ihr eine neue Freundin gewonnen, die ich nicht mehr missen möchte.
Da war ich gerade mit Simi in Kovalam gewesen, als ich schon wieder an die berühmteste Beach in Kerala fuhr. Dieses Mal wurde ich als Ehrengast zur Einweihung der neuen Ambrosia-Filiale eingeladen. Das Hauptgeschäft in der Stadt mit Bäckerei, Konditorei und Café kenne ich seit der Eröffnung und ich bin immer in nettem Kontakt mit der Eigentümerfamilie. Für eine Pizza, mal einen Hamburger, ein Sandwich oder Hot-Dog ist man hier an der richtigen Adresse und mein grosser Favorit ist „cold coffee with ice cream“. Nach einer ausgiebigen Einkaufstour mit den Gästen komme ich oft hierher, um uns wieder zu stärken. Hier bekomme ich sogar richtiges Vollkornbrot und sie sind berühmt für ihre Torten. Hier treffen sich die College-Studenten, man sieht Mädchen in engen Jeans und Tops und hier dürfen sie sich auch mal mit dem anderen Geschlecht treffen und einander etwas anhimmeln, was sonst natürlich absolut verpönt ist.
Ich habe mich sehr gefreut, dass ich den ersten Docht der Öllampe anzünden durfte und ich hoffe, damit den Grundstein gelegt zu haben für ein erfolgreiches Business in Kovalam.
Zwei Todesfälle, die ich persönlich kaum kannte, gingen mir sehr nah. Zum einen war das der Society Präsident gewesen, der damals die Einwilligung gab, dass Hans auf dem Grundstück von Gopikas verbrannt werden durfte und der auch bei allen Zeremonien dabei war und Gopikas im Hintergrund zur Seite stand. Ich begleitete Dr. Gopika und Geetha zum Ritual, wo nochmals alle Familienmitglieder dem Verstorbenen die letzte Ehre erwiesen, bevor er hinter dem Haus nach Hindu-Regeln eingeäschert wurde.
Der Grossvater von Julian war schon lange sehr krank und für ihn war es eine Erlösung gewesen, dass er endlich loslassen durfte. Julian konnte leider nicht an der Abdankungsfeier dabei sein. Er war mitten in den Prüfungen der Musikschule und ein wichtiges Konzert stand an. Er heimst unheimlich viele Preise ein und wo er auftritt begeistert er Jury und Publikum. Er wird seinen Weg als Pianist machen!
Zwei Stunden vor dem Gottesdienst schickte mir Vater Willy ein SMS. Ich bot sofort Shibu auf, der mich nach Trivandrum in eine Kirche fuhr. Bis jetzt war ich nur in katholischen Kirchen gewesen, die hier immer sehr bunt, kitschig und überladen sind. Da ich reformiert bin, sind mir zudem die Rituale auch nicht sehr vertraut. Doch hier war alles ganz schlicht und wohltuend ruhig, wobei ich erst später realisiert habe, dass es sich um eine evangelische Kirche handelte. Ich fühlte mich hier extrem aufgehoben und ich merkte, dass mir da meine Kultur nahe ist. Während ich dem Gottesdienst lauschte, kam wieder so vieles hoch und ich hatte Mühe, die Tränen in Schach zu halten. Wenn ich von dieser Kirche gewusst hätte, hätten wir die Abdankungsfeier für Hans vor bald zwei Jahren hier abgehalten, anstatt in Puthenthope. Es war schwer, nach der Feier dem Sarg auf den Friedhof zu folgen und ich liess meinen Tränen freien Lauf. Die Trauerfamilie nahm mich in ihre Mitte, fing mich wieder auf und sie verstand auch, dass ich mich noch vor dem Tee mit Snacks verabschiedete und nach Hause wollte. Es war einfach ein bisschen viel gewesen.
„Diwali“, das Lichterfest, welches in Nordindien DAS Fest des Jahres bedeutet, wird in Kerala nur im kleinen Rahmen gefeiert. Ausser lauten Krachern in der Nacht vor Diwali gibt es nichts Besonderes. Dafür freuen wir uns jeweils auf „Karthiga“, das Lichterfest in Kerala. Da wird nicht geknallt und geballert, dafür alle Häuser wunderschön mit Ölschälchen und Kerzen dekoriert. Die Einfahrten, die Hauseingänge, Terrassen und Mauern. Kurz vor Sonnenuntergang begann es aus der Ferne zu donnern und ein Gewitter zog rasch näher. Plötzlich goss es wie aus Kübeln und das Unwetter wollte sich kaum mehr entfernen. Oje, damit fiel Karthiga ins Wasser. Trotzdem haben Savitha und ich beim Autounterstand die tönernen Öllämpchen schön arrangiert und alles angezündet – sogar Jimmy freute sich über das Geflacker und Gerauche. Anstatt die Kerzen auf dem Geländer der Dachterrasse anzuzünden, haben wir halt den Boden unter dem Terrassendach dekoriert und während wir zuschauten, wie die Kerzen langsam herunter brannten, knabberten wir Weihnchtsguetzli aus der Schweiz. So haben wir trotz dem Regen ein richtig schönes Karthiga erlebt. Der Strom hielt noch bis nach dem Nachtessen. Danach war Schluss und es blieb dunkel bis am nächsten Tag.
Im Geethanjali gab es auf Ende Monat einen grossen Personalwechsel. Wegen einem Techtelmechtel zwischen einer Masseuse und einem Masseur mussten Gopikas beide auf der Stelle entlassen. Als Arbeitgeber ist man den Eltern der unverheirateten Mädchen gegenüber verantwortlich, dass nichts „passiert“. Deshalb war klar: beide wurden nach Hause geschickt. Ein grosses Risiko, welches die beiden eingegangen sind und die Konsequenzen waren auch ihnen bewusst. Die beiden würden auch ausserhalb vom Geethanjali nie zusammen finden, weil das Mädchen aus einer sehr traditionellen Muslimfamilie stammt und er ist Hindu und zudem jünger als sie. Der zweite Fall traf Gopikas viel mehr als die Liebelei, weil sie von einer Angestellten bestohlen wurden. Auch da gab es nur eine Lösung – Entlassung. Wir hatten dann aber das Glück, schnell guten Ersatz zu finden, was auch wichtig war, da wir alle drei Zimemr besetzt hatten.
Noch immer wird am Medical Shop zwischen dem Haupthaus und dem Madom im Geethanjali gebaut. Aber er nimmt Gestalt an und wird sehr schön. Wie auch der Behandlungsraum und das Gästehaus, wurde nach Vasthu-Regeln (eine Art Feng-Shui) gebaut. Wir wollten den Shop gerne noch im alten Jahr einweihen, doch der Astologe meinte, wir müssen uns noch bis zum zweiten Todestag von Hans gedulden. Erst danach werde er ein passendes Datum finden. Das wird ja demnach Ende Januar! Doch der Astrologe hat das letzte Wort...
Inzwischen ist meine Schwägerin Ina zur Kur gekommen und so werde ich auch die kommenden Tage sicher viel im Gästehaus drüben sein. Ganz besonders freue ich mich natürlich auf den 8. Dezember, wenn mein Bruder Rolf kommt. Der einzige Mann im 3-Mädel-Haus, der hier wohnen darf! Savitha erzählt bereits im Quartier herum, dass „Mamas brother“ kommt – nicht dass die Leute auf falsche Gedanken kommen...
Und mein Visum? Es ist noch nicht „geboren“, doch man hat in der Zwischenzeit tatsächlich mein Dossier gefunden – halleluja! Es ist in Bearbeitung und im Moment sieht es danach aus, dass ich nicht extra nach Delhi reisen muss deswegen. Wenigstens etwas! Ich hoffe ganz fest, dass ich bis Ende Jahr doch noch meinen lang ersehnten Stempel in meinen Pass bekomme und ich danach wieder ein- und ausreisen kann, wie es mir gefällt. Im Moment bin ich nämlich noch in der unkomfortablen Lage, dass ich das Land nicht verlassen darf, weil ich von keinem Ort der Welt ein neues Einreisevisum für Indien bekäme... Also muss es einfach klappen!!!
Wie wir gehört haben, hat der Winter in Europa bereits Einzug gehalten und so wünschen wir allen eine besinnliche Adventszeit, frohe Weihnachten und aufs Jahresende melden wir uns wieder.
Herzlichst
Yvonne und Savitha
<< Home