Yvonne Muller

30 September 2007

September 2007

Savitha und ich starteten den neuen Monat mit einem gediegenen Abend im luxuriösen Taj Hotel in Kovalam und liessen uns so richtig kulinarisch verwöhnen. Diesen Abend haben wir uns auch redlich verdient. Wir haben seit Ewigkeiten nichts mehr zusammen unternommen und auch nicht gefeiert. Weder Onam, noch mein 11. Jubiläum in Kerla, nicht den Hochzeitstag und auch sonst gingen alle Feiertage an uns vorbei. Wir konnten uns nicht einmal daran erinnern, wann wir zwei alleine das letzte Mal schön auswärts essen gingen! Deshalb freuten wir uns umsomehr auf unseren gemeinsamen Abend und stürzten uns in grosse Garderobe. Savitha sah in ihrem reich bestickten Laja mit langem Rock, kurzem Top und Schal wie eine Prinzessin aus und ich wagte mich in die neuen hochhakigen Pailletten-Sandaletten aus Cochin. Wow! Es wurde ein wunderschöner Abend bei Kerzenlicht am Pool, wobei wir Papa schmerzlich vermisst haben. Wussten wir doch, wie gerne er seine beiden hübschen Damen ausgeführt hätte. Bestimmt hätte er sich für eine Portion Spaghetti Carbonara entschieden, die im speziellen „Pasta-Corner“ fürs Publikum sichtbar, frisch zubereitet wird. Und zum Dessert wäre nur die „Chocolate Temptation“ in Frage gekommen!

Für Savitha begann am 4. September wieder die Schule und noch immer waren wir auf grosser Suche nach einer Angestellten. Langsam wurde es knapp. Während den Ferien konnten wir uns noch alleine durchwursteln, doch wenn sie zur Schule muss, braucht sie eine Lunchbox mit indischem Essen und deshalb kann ich ihr keine Teigwaren, Polenta oder Rösti mitgeben. Das mag sie zwar alles, ist aber für die Schule zu exotisch und sie käme gar nicht zum Essen vor lauter Erklärungen und Neugierde der Mitschülerinnen. Zudem hätte ich gerne auf den 1. September jemanden gehabt, damit Savitha noch drei Tage Zeit gehabt hätte, die Frau einzuführen. Doch es sollte nicht sein und so bekam sie jeweils ihre Lunchbox vom Geethanjali.

Im Juli las ich in der Zeitung einen Artikel über den „Verein deutsche Sprache“ in Trivandrum. Ich wusste gar nicht, dass es Inder gibt, die sich für diese Sprache interessieren. Aufgrund von diesem Artikel habe ich die Präsidentin aufgesucht und fand Latha Thampi im „German Department“ der Uni Trivandrum. Sie lud mich zum nächsten Treffen am 8. September ein, dem „Tag der deutschen Sprache“. Ich dachte an eine gemütliche Teerunde im kleinen Kreis bei Latha zu Hause, doch was ich vorfand, glich schon fast einer Grossveranstaltung. Von den etwa 55 Mitgliedern, trafen sich über 30 bei Latha zu Hause, die in einem tollen Haus etwas erhöht in Trivandrum wohnt, mit einer atemberaubenden Aussicht über die ganze Stadt. Sehr nobel!!!
Frather Matthew begrüsste die Leute und zusammen wurde über die deutsche Sprache diskutiert und gelernt. In Gruppenarbeiten versuchten wir, Gedichte von Johann Wolfgang von Goethe und Heinrich Heine ins Malayalam zu übersetzen. In unserer Gruppe hatten wir einen „Dichter und Sänger“, welcher die übesetzte Version gleich singend vortrug.
Ich habe mich gewundert, dass sich so viele für Deutsch interessieren. Entweder aus privaten Gründen, wie bei der Medizinstudentin Wilbee. Ihr Bruder arbeitet in Deutschland und ist mit einer Deutschen verheiratet. Um ihre Schwägerin besser zu verstehen, besucht Wilbee den Kurs. Oder Céline, die als Krankenschwester über 30 Jahre in Deutschland gelebt hat und nach der Pensionierung wieder nach Hause kam und hier „spoken german“ gibt, um die Sprache weiterhin zu pflegen. Andere arbeiten für deutsche Firmen hier oder wollen nach Deutschland und im Tourismus wie im IT-Bereich sind offensichtlich Übersetzer gefragt. Die russische Kulturgemeide und vor allem die Alliance Francaise sind hier sehr aktiv, bieten Sprachkurse an und organisieren kulturelle Veranstaltungen, doch von einer deutschen Sektion habe ich noch nie etwas gehört. Ich habe an diesem Nachmittag sehr viele neue und interssante Leute kennen gerlernt, dich ich gerne beim nächsten Mal wieder treffe.

Endlich, am 10. September hat Shashikala bei uns angefangen! Wir zählten bald die Tage bis sie kam und unseren Haushalt wieder auf Vordermann brachte. Sie ist eine liebe Frau aus der Umgebung und ist jeweils nach einem halbstündigen Fussmarsch um 06.30 Uhr bei uns. Sie arbeitet bis 16.00 Uhr und kehrt danach zu ihrer Familie zurück. Die beiden Kinder (Tochter 7 und Sohn 5) werden in der Zwischenzeit von der Grossmutter betreut und vom Vater, der nicht mehr voll arbeiten kann und der mehr oder weniger zu Hause ist. Wenn ich ausnahmsweise später nach Hause komme oder sogar mal über Nacht weg bleibe, ist sie bereit, bei Savitha zu bleiben. Wir werden sehen, wie sich alles einpendelt, denn im Hintergrund rotieren Gopikas noch immer für eine Fau, die bei uns wohnt. Nur sind die schwer zu finden und in der Zwischenzeit haben Savitha und ich gemerkt, wie schön es ist, am Abend alleine zu sein. Es hat eben alles seine Vor- und Nachteile. Shashi putzt prima, nur mit der Kocherei klappt es noch nicht so gut. In dieser Hinsicht wurden wir von Valsala extrem verwöhnt. Sie kochte mit viel Liebe, hat immer wieder etwas Neues ausprobiert, hatte Fantasie und alles sah schön angerichtet und appetitlich aus. Es wird nie mehr eine zweite Valsala geben, aber ich hoffe, dass ich in dieser Richtung noch etwas aus Shashi heraus kitzeln kann. Sonst bin ich jedoch sehr zufrieden mit ihr und wie ich gehört habe, gefällt es ihr bei uns. Ich denke, sie hat sich bestimmt keine schlechte Arbeitgeberin ausgesucht! Die Kommunikation ist etwas schwierig, da sie keinen Ton Englisch spricht und mein Malayalam mehr als dürftig ist. Ich war in diesem Monat praktisch immer zu Hause und habe sehr viel Zeit aufgewendet, sie einzuarbeiten. Doch es hat sich gelohnt und in Zukunft wird sie hoffentlich selbständig arbeiten können.

Das ergreifendste Ereignis war sicher Valsalas Hochzeit. Zwar kein grosser Anlass – im Gegenteil – die kleinste Hochzeit, die ich je in Indien erlebt habe! Bei einer bescheidenen Hochzeit sind jeweils um die 500 Personen eingeladen, zu einer durchschnittlichen Feier 1’000 bis 2’000 Leute und eine grosse, prunkvolle Hochzeit zählt 3'000 und mehr Gäste. Aber 25 Personen, das ist wirklich die Ausnahme. Das Oberhaupt der Familie hatte Mühe, einen passenden Mann für Valsala zu finden, denn mit ihren 34 Jahren war sie natürlich längst zu alt für den Hochzeitsmarkt. Und da ihre jüngere Schwester bereits verheiratet ist, war das nochmals ein Makel. Da gibt es nur noch einen Mann 3. Wahl. In ihrem Fall wäre die zweite Wahl ein Witwer oder Geschiedener gewesen, doch die 3. Wahl ist ein Geschiedener, der noch nicht offiziell geschieden ist... Aber wenigstens ist er aus der gleichen Religionsgemeinschaft – Pfingstgemeinde – was natürlich in ihrem Fall ganz wichtig war. Und sonst? Sehr dunkelhäutig, etwas mollig, kaum grösser als die kleine Valsala, doch er hat einen festen Job als Planierraupen-Fahrer bei der Bahn. Er kommt aus dem gleichen Dorf wie Valsala, ist aber an der Südspitze Indiens stationiert. Valsala musste keine Mitgrift mitbringen, was der Hauptgrund war, warum man ihn gewählt hat. Es wurde nicht einmal mehr darüber diskutiert, ob sie eine neue Stelle annimmt. Nein. Verheiraten und dann möglichst weit weg abschieben.
Die Feier fand im Elternhaus von Valsala statt, wo der „Prayer schon in vollem Gange war, als Savitha und ich eintrafen. Meine alte Polstergruppe kam zu neuen Ehren und diente auf dem überdeckten Vorplatz als Sitzgelegenheit für die Priester und das Salontischchen mutierte als Altar. Nur hätten sie alles noch etwas abstauben sollen...
Valsala trug einen elfenbeinfarbenen, glänzenden Sari mit Goldstickereien. Wie üblich in ihrer Religion trug sie keinen Schmuck, aber auch keine Blumen im Haar, nicht mal eine dekorative Haarspange und sie hatte auch keinen Blumenstrauss – nichts! Wenn man sie mit den sonst üblichen indischen Bräuten verglich, die wie Christbäume behangen sind, sah Valsala mehr als bescheiden aus, fast schon armselig. Das Paar gab sich kein Eheversprechen, es wurden keine Ringe ausgetauscht, auch keine Hochzeitskette, nicht mal die Hände reichten sie einander. Einfach nichts! Das Paar wurde nur gesegnet. Diese Szene wirkte sehr fanatisch, da die Leute völlig in Ekstase gerieten. Sie zitterten, weinten, zuckten unkontrolliert während sie um Gottes Segen baten. Doch so inbrünstig es zu und her ging, so abrupt hörte alles auf und es wurde wieder gelacht und man kam zum gemütlichen Teil.
Valsala fuhr noch am gleichen Nachmittag mit ihrem Mann nach Nagercoil in ein gemietetes, leeres Haus, wo sie wahrscheinlich die Hochzeitsnacht auf einer Reismatte verbrachten. Valsala war ziemlich aufgeregt und natürlich machte sie sich auch Sorgen um die Zukunft. Sie wird da ganz alleine in diesem Häuschen sein, darf nicht arbeiten gehen und ihr Mann ist nicht immer in Nagercoil stationiert, sondern da, wo gerade Arbeit ist. Sie wird also weit weg sein von ihrer Familie, in einem anderen Bundesstaat, wo sie zwar die Sprache versteht, aber nichts lesen kann und es ist nicht ihre Heimat. Da kann ich ihr nur wünschen, dass sie schwanger wird und so eine Beschäftigung hat. Ich nahm sie noch ein letztes Mal in die Arme und hoffe wirklich, dass ihr Mann gut zu ihr schauen wird. Ich weiss von Savitha, dass sie sich ihre Heirat gaaanz anders vorgestellt hat und sicher hat sie in den letzten Monaten viel an ihr schönes Leben bei uns gedacht, wo es ihr an nichts gefehlt hat. Sie wurde wie ein Familienmitglied behandelt, hatte ihr eigenes Zimmer mit TV und sogar ein Handy. Es ging oft lustig zu und her im Drei-Mädel-Haus und die Hunde waren ihr Babyersatz gewesen. Das ist jetzt alles vorbei. Die Familie wollte sie offensichtlich für ihr Tun bei mir bestrafen. Jetzt zählt nur noch, dass sie unter der Haube ist und weg kommt. Alles andere interessiert nicht mehr. Dabei ist die junge Ehe bereits mit Sorgen überschattet. Wird die erste Ehefrau vor Gericht der Scheidung zustimmen? Wenn ja, kann die Ex-Frau Alimente für sich und die beiden Töchter beantragen. Wenn nicht, ist die Ehe mit Valsala ungültig. Keine rosigen Aussichten für ein junges Glück!

Wegen einem Tief über der Bay of Bengal fiel der Regen intensiver aus als normalerweise während dem Nordmonsun, der eigentlich erst im Oktober einsetzen sollte. In dieser Zeit gibts jeweils während den kühlen Nächten starke Regenfälle, tagsüber ist es sonnig und warm. Doch wo ist heutzutags das Wetter noch normal??? Trotzdem hielt sich der Monsun in Grenzen und es gab keine Überschwemmungen wie im Norden. Zudem sind wir ja auf das Grundwasser angewiesen und so tat der Regen gut und wir mussten unsere Blumentöpfe kaum wässern. Seit Valsala nicht mehr hier ist, verkümmert unser Grünzeug ums Haus herum, doch wir sind dran, alles mit wenig Aufwand wieder in Schuss zu bringen, so dass die Gartenarbeit möglichst entfällt.

Meinen Augen gehts immer besser und ich kann inzwischen wieder normal arbeiten und habe mich an die neue Lese-/PC-Brille gewöhnt. Zudem freue ich mich, dass ich endlich tolle Sonnenbrillen tragen kann. So habe ich jetzt die grössere „Hantiererei“ mit den Brillen als vorher ;-). Ein herrliches Gefühl, kein blindes Huhn mehr zu sein!

Endlich konnte ich die kleinen Knirpse im Kindergarten besuchen. Wegen meiner Operation und wegen Onam musste der Termin immer wieder verschoben werden. Prashanth lud auch die Mütter ein, die neugierig mit ihren Babies kamen und sogar die älteren Geschwister wollten dabei sein, als „auntie“ kam. Es herrschte grosse Freude und die Kinder sangen ein paar Lieder zur Begrüssung - nicht richtig, aber schön laut! – und sogar ein Fotograf war im Einsatz. Der vordere Teil des Gartens ist fertig und sie haben vorerst mal eine Doppelschaukel bekommen, wo vier Kinder gleichzeitig darauf sitzen können. Zu Weihnachten soll es dann hinter dem Haus eine Rutschbahn geben und später gibt es sicher noch mehr Gelegenheiten, das eine oder andere Spielgerät anzuschaffen. Sie freuten sich über die Spiele für drinnen und es ging lustig, laut und heiss zu und her in dem kleinen, überfüllten Raum.
Von den 25 Kindern fühlte sich eines offensichtlich sehr unwohl in meiner Gegenwart. Das Mädchen schaute mich nie an, sondern stierte immer nur seitwärts auf den Boden. Sogar als ich den Kuchen verteilte und es Tee dazu gab, verbröselte sie alles im Schoss, ass aber nichts davon und schaute nur auf die Krümel. Was hatte sie? Die Lehrerin meinte, sie sei sonst sehr aufgeweckt und „very smart“, doch für sie kam ich anscheinend von einem völlig anderen Planeten und sie konnte damit nicht umgehen. Ich hoffe, dass sie sich in Zukunft etwas an mich gewöhnen wird und ich nicht mehr ein Alien für sie sein werde.
Dafür waren die anderen umso neugieriger. Sie staunten mit grossen Augen und ständig spürte ich kleine Hände an meinen Füssen, die weisse Haut fühlen wollten. Zum Abschied gab es ein Bonbon für jedes und wir riefen einander noch lange „tata“ zu, bis ich mit der Riskcha um die Ecke bog. Das war ein toller Nachmtitag gewesen!
Zwei Tage später schaute ich nochmals kurz vorbei. So erlebte ich die Kinder beim normalen Unterricht. Das war natürlich noch viel spannender. Sie sassen schön in einer Reihe auf ihren kleinen, bunten Plastikstühlen und sie lernten gerade ein neues Lied mit der Lehrerin. Ein Junge weinte bitterlich – er kam zum ersten Mal und schrie nach seiner Mutter. Doch kaum war ich da, fand er das aufregend und die Mutter war schnell vergessen und die Tränen versiegten. Er staunte nur so und war ganz still und aufmerksam. Ich weihte die neue weisse Wandtafel ein und alle freuten sich über das Bild aus meiner Heimat, das ich ihnen schnell gemalt habe. Ein Haus mit Apfelbaum und Gartenzaun, (Papis)-Häsli und die Sonne schien von den hohen Bergen herunter. Schweizer Idylle! Es war erst ein kleines Grüpplein da, denn bis alle am Vomittag eingetrudelt sind, dauert es offenbar... Danach wollte ich nicht mehr länger stören und überliess die Kleinen wieder der Lehrerin.

Eigentlich ein ruhiger Monat – der September. Ich war fast immer zu Hause und der übliche Alltagsärger liess sich auch irgendwie bewältigen. Die Wasserpumpe wollte an einem Sonntag nicht mehr, die Stromprobleme sind eh nichts Aussergewöhnliches mehr, der PC streikte wieder und das Internet spuckte auch ab und zu. Und wenn ein Neonlicht den Geist aufgibt, kann ich nicht einfach die Röhre ersetzen (würde ich grad noch schaffen!), nein, die ganze Apparatur muss ausgewechselt werden! Zudem hatte Jimmy eine Katze gerissen, die entsorgt werden musste und so war ich wieder ständig dran, Handwerker, Techniker und Nachbarn aufzubieten. Aber inzwischen habe ich mir ein gutes Netz aufgebaut, so dass bei Bedarf der richtige Mann aufgeboten werden kann. Ist ja wichtig, wenn frau weder technisch noch handwerklich sehr begabt ist...

Das Geethanjali lief auch ohne mich und ich war wegen Shashi sehr selten drüben. Nicht mal zu meinen wöchentlichen Behandlungen kam ich regelmässig. Aber ab Oktober wird sich das hoffentlich wieder ändern.

Wir wünschen allen einen goldenen Herbst und schicken liebe Güsse aus dem warmen Kerala
Yvonne und Savitha