Yvonne Muller

31 July 2007

Juli 2007

Auch der Juli stand nochmals ganz unter dem Thema „Visum“. Doch nach den zermürbenden Monaten davor, ging es jetzt plötzlich Schlag auf Schlag. Während ich am 3. Juli mit den Gästen auf Shopping-Tour war, kam ein Anruf von der Fremdenpolizei und 5 Minuten vor Büroschluss bekam ich das offizielle Schreiben, dass ich von Mai 07 bis Mai 08 im Land bleiben darf, solange der Antrag für die Jahresverlängerung in Delhi hängig ist. Das war ja schon mal was. Das hiess, dass ich am 9. Juli das Land nicht verlassen musste – hatte mich ehrlich gesagt auch nicht darauf eingestellt – doch auf der anderen Seite darf ich Indien nicht mehr verlassen, bis ich die Bewilligung der Verlängerung habe. Sonst gibt es wieder ein solches Durcheinander wie im letzten Dezember. Dafür darf ich mich wieder im Land bewegen, was bis anhin auch nicht möglich war.
Nur wenige Tage später kam ein weiterer positiver Bescheid von der Frepo, dass der Rapport abholbereit sei und ich fuhr noch am gleichen Tag damit zum Collector. Der musste nur seine Unterschrift geben und da ich ihn von der Einweihung vom Kindergarten her kannte, war das keine grosse Hürde gewesen. Die dritte und letzte Amtsinstanz in Trivandrum war das Home Department, die den Abschlussbericht für Delhi aufsetzen mussten. Auch das dauerte nicht sehr lange und ich konnte das Schreiben nach einigen Tagen abholen und bekam eine persönliche Kopie davon.
Somit war in Trivandrum alles erledigt. Es hatte sich wirklich gelohnt, dass ich mich persönlich um alles gekümmert habe, da ich den ganzen Papierkram dieses Mal innert knapp zwei Monaten geschafft habe, während die gleiche Prozedur im letzten Jahr acht Monate dauerte!
Inzwischen sollte mein Rapport in Delhi eingetroffen sein und ich konnte jemanden damit beauftragen, dass beim zuständigen Amt Dampf aufgesetzt wird, damit mein Dossier nicht wieder irgendwo verloren geht und so schnell wie möglich bewilligt wird.
Ich bin also auf gutem Weg und werde die Sache hoffentlich in etwa zwei Monaten defintiv abschliessen können. Damit hätte ich bis Mai 08 endlich Ruhe von diesem leidigen Thema.

Sonst war nicht sehr viel los gewesen und deshalb konnte ich mich neben dem Lauftraining um mein neues Yoga-Programm kümmern. Dank der Yoga-Woche im Mai war ich dermassen motiviert, wieder intensiver und aktiver zu trainieren als bis anhin, dass der Acharya und Gopalakirshnan für mich ein neues Programm zusammen stellten. Puh, das hatte es ganz schön in sich und ich wurde ziemlich gefordert. Ehrlich gesagt dachte ich bis anhin immer, Yoga sei mehr zum Entspannen und Dehnen, doch das kann ganz schön anstrengend und kräfteraubend sein! Sogar Liegestützen will Gopalakrishnan von mir sehen! Die sind extrem schwierig, da ich Oberarme wie Gummibärli hatte, aber ich werde dran bleiben und hoffe, dass aus den Bärli bald Bärenkräfte werden. Bis ich alle Übungen intus hatte, bekam ich jeden Tag eine Privatlektion und es hat richtig Spass gemacht. Zu Hause höre ich dazu flotte Musik und so strotze ich im Moment vor Engergie und könnte Bäume ausreissen. Es geht mir einfach gut und ich hätte nicht gedacht, dass der Körper dermassen schnell flexibel wird durch das regelmässige Training. Dabei war ich vorher ja auch nicht ganz untätig gewesen. Ich geniesse dieses Privileg noch immer, 2 bis 3 ½ Stunden täglich nur für mich zu haben und etwas für meine Gesundheit zu tun.

Bis am 10. Juli war ich noch als Gästebetreuerin engagiert und war oft bei Susanne, Bea und Volkhard im Geethanjali drüben. Wir fuhren zusammen zum Shopping und Sightseeing in die Stadt, ich lud sie zum Tee zu mir nach Hause ein und Susanne und ich gönnten uns einen schönen Abend in Kovalam mit anschliessendem candle-light dinner am Pool vom Taj-Hotel. Kulturell lief in dieser Zeit nicht viel in der Stadt und so fuhren wir mit Gopikas und den Gästen zum Veli-Park, sind mit dem Boot durch die Backwaterkanäle gefahren und zum Abschluss gabs ein Nachtessen in der Stadt. Bis Riki aus Wien eintraf, waren alle drei Zimmer für 10 Tage von einheimischen Patienten belegt.

Das KIMS Hospital lud zum „International Meeting“ ein und als Aktionärin war ich natürlich auch dabei. Bevor es los ging, wurde ich zu einem TV-Interview gebeten und musste ein „statement“ abgeben über das modernste Spital in Trivandrum. Ich war zwar überhaupt nicht vorbereitet, doch es fiel mir nicht sehr schwer, weil wir das KIMS ja seit der Eröffnung kennen und so quasi zur „KIMS-Familie“ gehören.
Natürlich war ich sehr gespannt auf die neue 9. Etage, welche als „executive floor“ extra für Patienten aus dem Ausland konzipiert wurde. Das sah aber toll aus! Nicht wie in einem Spital – eher wie in einem 5-Sterne Hotel mit den gleichen Annehmlichkeiten. Die Privatzimmer sind als deluxe room, junior suite oder executive suite ausgestattet, wo die halbe Familie beim Patienten wohnen kann. Ist vor allem für die arabischen Patienten wichtig. Die Patientenbetten sind verstellbar, es gibt ein Bett für die Begleitperson oder gleich ein Doppelzimmer für die Familienangehörigen, Wohnbereich mit Lederpolstergruppe, Flachbildschirm und Internetanschluss, Kitchenette mit Kühlschrank, Kaffee-/Teemaschine und Essecke, ein verglastes Badezimmer und weitere Extras gehören zum Service in jedem Zimmer. Natürlich hat das alles seinen Preis und wie in den Hotels wird in USD bezahlt. Doch sie haben regen Zuspruch und ich denke, dass in Zukunft immer mehr Ausländer nach Indien kommen werden, weil der Health-Tourismus extrem gefördert wird. Bis jetzt waren schon Patienten da aus den Arabischen Ländern, von den Malediven, Sri Lanka, diverse Staaten in Europa, Australien und Amerika.

Das ist natürlich ein krasser Unterschied zu den allgemeinen Krankensälen in den öffentlichen Spitälern, wo es einem fast schlecht wird, wenn man sieht, unter welchen Bedingungen die Patienten dort von ihren Angehörigen gesund gepflegt werden. In den Sälen sind oft bis zu 50 Pritschen – nichts von verstellbaren Betten! – und die sind meist dermassen überbelegt, dass die übrigen Patienten auf Reismatten am Boden und im Gang liegen. Dazu braucht jeder Patient eine Begleitperson, weil die Krankenschwestern nur den Ärzten assistieren. Die Bystander „hausen“ neben der Pritsche am Boden auf einer Reismatte und alles Gepäck wird unter dem Bett verstaut. Sie waschen ihre Angehörigen, sie füttern sie, verabreichen die Medizin und kümmern sich um alles. Zudem muss von zu Hause das Essen organisiert werden, weil es keine Spitalkantinen gibt. Ein grosser Aufwand für eine Familie, wenn jemand im Spital ist. Zudem riechen die Toiletten übel in den Saal und sind natürlich weder sauber noch sonst hygienisch. Ehrlich, da werden wir schon krank vom blossen zusehen. Gerade im Moment sind alle Spitäler wieder einmal überbelegt mit Viren-Fieber-Fällen – sie sprengen die Kapazitäten und es mussten schon spezielle Fieber-Abteilungen erstellt werden. Und jeden Tag werden noch mehr Leute eingeliefert.

Der Monsun hatte uns auch im vergangenen Monat noch stark im Griff. In diesem Jahr waren nicht nur die Küstengebiete von den vielen Regenfällen betroffen, sondern auch die Backwaters, wo ganze Dörfer evakuiert werden mussten. Als auch in den Auffanglagern das Wasser täglich stieg, wurden die über 100'000 Leute in Alleppey untergebracht. Ganze Familien verloren ihre Häuser oder die Gebäude wurden dermassen stark beschädigt, dass sie nicht mehr darin wohnen können. Dazu versanken ganze Reisernten im Wasser und die Schäden sind auch da riesig. Die Zeitungen berichteten, dass die Backwaters seit 16 Jahren nie mehr dermassen vom Monsun betroffen waren, weil das Kanalsystem normalerweise über das Meer reguliert werden kann.

Savitha begleitete mich an einem schulfreien Samstag zum Elterntreffen um die Testresultate der Zwischenprüfungen zu unterschreiben. Bei jeder Fachlehrerin mussten wir antreten und uns anhören, was sie zu den Noten meinte. Die Kinder sind zum Teil vor lauter Scham fast im Boden versunken. Die Kinder, wie auch die Eltern werden dabei ausgeschimpft und das in aller Öffentlichkeit, wo rundherum alle Eltern mit ihren Schützlingen stehen. Eine unmögliche Situation! Da sass jeweils die Lehrerin an ihrem kleinen Pult, umringt von all den vielen Müttern (und ein paar wenigen Vätern) mit ihren Kindern. Wieder einmal ohne Strom war es in den Klassenräumen düster und der Kokosöl-Geruch der frisch frisierten Haare stieg einem direkt in die Nase – wo es sonst schon stickig und heiss war, weil die Ventilatoren still standen. Ich hatte einen Sonderstatus, weil alle Lehrerinnen vor mir einen gewissen Respekt haben – weil sie meist nicht sehr gut Englisch können und so sind sie jeweils froh, wenn es nicht viel zu besprechen gibt. Zudem lässt sich besser in Englisch loben als bemängeln. Und bei den weniger guten Noten habe ich ihnen gleich den Wind aus den Segeln genommen und selber auf das Problem hingewiesen. Was sollen sie dann noch sagen? Aber ich weiss selber, was Savitha leistet und mehr als jeden Tag zur Schule gehen, dazu noch täglich die Tuition danach besuchen, ihre Hausaufgaben machen und lernen kann sie wirklich nicht. Da muss ich nicht auch noch mit dem Stock hinter ihr her sein! Doch in den meisten Familien gibts nach diesen Elterntreffen regelmässig Schläge zu Hause... Savitha war auch sichtlich erleichtert, dass ich mich für sie eingesetzt habe und dass sie auch in Zukunft alleine und ohne Druck lernen kann.

Einen Tag später hat der Fieber-Virus auch sie erwischt. Von einer Stunde auf die nächste hatte sie über 39° Fieber – wie angeworfen. Der Zeitpunkt war absolut ungünstig, da sie ihre Unit-Tests gehabt hätte – den „Käfern“ hingegen war das piepegal. Doch bevor ich sie in ein Spital brachte, wie ich es oben geschildert habe, behielt ich sie lieber zu Hause, wo wir ihr Dr. Gopikas Medizin verabreichten und sie wurde von Parvathy-Amma und mir gesund gepflegt. Zwei lange Tage und Nächte konnten wir das Fieber nicht senken, doch die Essigsöckli (ein Tipp von Mami!) haben dann geholfen und es ging ihr dann am dritten Tag etwas besser. Sie war danach aber dermassen schwach und schlapp, dass wir sie noch die ganze Woche zu Hause aufpäppeln mussten, bis sie wieder fit war für die Schule.

Ich war wirklich froh, als dann alles vorbei war und wir deswegen nicht ins Spital mussten. Ich brauche ehrlich gesagt auch keinen 5-Sterne-Luxus, aber ich möchte ein Einzelzimmer in einem sauberen, hygienisches Spital mit guten Ärzten - wie im KIMS. Und wenn ich tatsächlich mal mit Savitha ins Spital muss, werden wir uns auch für sie ein Einzelzimmer leisten – auch wegen mir, damit ich als Bystander bei ihr sein kann und wir unsere Ruhe haben von all den Geräuschen und Gerüchen und zudem kann ich wirklich nicht in einem überbesetzten Saal bei ihr am Boden schlafen!

Das Problem mit der Angestellten konnten wir auch im Juli noch nicht zur Zufriedenheit lösen. Die Nachfolgerin von Parvathy-Amma wurde mir zuerst auf den 5. Juli versprochen, dann hiess es, dass die neue Frau noch im Spital sei (auch wegen Viral Fever) und ich wurde auf den 13. und später auf den 20. Juli vertröstet. Doch beide Termine verstrichen und so ist Parvathy-Amma nun schon seit über zwei Monaten bei uns. Trotz heftigen Rheuma-Schmerzen bleibt sie noch bei uns, bis die neue Frau kommt. Unsere Marmorböden sind jetzt während der Monsunzeit wirklich sehr kalt und sie läuft halt immer barfuss herum, rüstet das Gemüse hockend auf dem Boden und isst auf dem kalten Fussboden. Ich konnte sie dann wenigstens dazu bewegen, tagsüber Schlappen im Haus zu tragen, für die Nacht gab ich ihr Socken (die ersten in ihrem Leben!) und Savitha massierte ihr jeden Abend den Rücken mit Medizin von Dr. Gopika.

Weil es noch keinen Trullala-Wechsel gab, konnte ich dafür meine Ayurvedakur noch im Juli geniessen und ging für 10 Tage ins Geethanjali. Ich habe mich riesig gefreut auf die Auszeit mit Behandlungen im Madom, Yoga auf Sparflamme, Meditation, vegetarische Kost, bittere Medizin und viel, viel Ruhe! Ich genoss die Tage mit Riki sehr und wir liessen uns gerne verwöhnen. Einmal im Jahr tut so eine Kur einfach gut und das gönne ich mir! Dr. Gopika hat mir für die ersten 3 Tage einen Ölguss verschrieben und danach 7 Tage lang die gefüllten Baumwollsäckli mit Reis und Kräutern, die auf die Haut aufgetupft und einmassiert werden. Eine absolute Wohltat! Ich geniesse zwar die wöchentlichen Behandlungen sehr und bin ja auch gesund, doch so eine Kur mit allem Drum und Dran ist trotzdem etwas anderes. Zudem lässt es sich im Gästehaus herrlich entspannen. Derweil schaute Parvathy-Amma zu Haus und Hof. Sie hatte nicht viel zu tun, doch es ging mehr darum, dass sie präsent war und Savitha und Jimmy verköstigt wurden. Dazu hat sie noch Savithas Kleider gewaschen und ab und zu die Böden gewischt. Fertig. Aber ohne sie hätte ich nicht kuren können.

Am 28. Juli fand das jährliche Bach-Konzert statt von Julian, der seit einem Jahr an einer Musikschule in England studiert. Er hat unglaubliche Fortschritte gemacht und heimst immer wieder Preise ein bei diversen Wettbewerben und Auftritten. Er hat sich enorm verbessert und auch Riki war begeistert von seinem Talent. Als grosse Überraschung spielte er auf einem neuen Klavier und nicht mehr auf unserem Keyboard. Er hätte einen Auftritt an einem Konzertflügel verdient, aber auch so war der Hörgenuss gross. Das Publikum war von weither angereist und das Auditorium war noch nie so gut besetzt gewesen. Ich war froh, dass das diesjährige Konzert nicht wieder zum Gedenken an Hans arrangiert wurde. Das war vor einem Jahr sehr schön gewesen, aber ich weiss, dass es auch ihm nicht recht wäre, wenn wir seinen Namen an jedem Geburtstagskonzert von Julian in den Vordergrund stellen würden.

Zum Abschluss noch etwas zum Schmunzeln. Parvathy-Amma schnitt die Titelseite vom „The Hindu“ aus und erklärte Savitha, dass sie das grosse Foto ihrer Familie zeigen wolle. Da sei Mama abgebildet und sie sei sehr stolz für mich arbeiten zu dürfen. Savitha klärte sie auf, dass das nicht Mama sei, sondern Sonia Gandhi...

Inzwischen ist Savitha wieder ganz gesund, ich fühle mich fit, frisch und widerstandsfähig nach der Ayurveakur und wir hoffen, dass der August jetzt die gewünschte neue Haushälterin bringt und sich der Regen langsam beruhigt, damit uns keine Schwimmhäute zwischen den Zehen wachsen.

Seid alle lieb gegrüsst
Yvonne und Savitha