Yvonne Muller

30 April 2007

April 2007

Bei mir begann der April nicht mit einem Aprilscherz, dafür mit einem gemütlichen Besuch in Varkala bei einer lieben Schweizer Freundin. Nachdem sie im Februar mein Häuschen besichtigte, war ich natürlich auch auf ihr Zuhause gespannt und wir verbrachten einen herrlichen Nachmittag auf ihrer Terrasse und beim Lunch auf den Klippen. Ich dachte, die Saison sei bereits zu Ende und staunte, als sich noch Touristen am Strand in der Sonne räkelten und in den Wellen spielten. Sogar die Restaurants waren zum Teil noch gut besetzt. Die Kashmiris waren noch da, die Tibeter jedoch hatten ihre Geschäfte bereits geschlossen. Es sah alles sauber und proper aus – noch überhaupt keine Saisonendstimmung. Ich war mehr als angenehm überrascht.

Nach dem idyllischen Sonntag in meiner alten Heimat, wurde am nächsten Tag bei Salina drüben die erste Periode ihrer 12-jährigen Tochter Susmi gefeiert. Ich war gespannt, da wir noch nie zu einer solchen Zeremonie bei einer Muslimfamilie eingeladen waren. Doch auch sie halten sich mehr oder weniger an die Hindu-Regeln. Genau vor drei Jahren haben wir das gleiche Fest für Savitha veranstaltet. Sieben Tage davor setzte die erste Blutung ein und für Susmi wurde sofort ein eigenes Zimmer hergerichtet, welches sie kaum mehr verlassen durfte. Sie hielt sich an eine spezielle Diät, empfing weibliche Besuche von Verwandten, wurde umsorgt, verwöhnt und beschenkt. Dafür durfte der Vater ihr Zimmer nicht betreten und sie durfte selbstverständlich das Haus nicht verlassen. Die Mädchen geniessen es jeweils sichtlich, zum ersten Mal im Leben im Mittelpunkt zu stehen. Später gibt es nur noch die Hochzeit und die Geburt eines Sohnes. Am 7. Tag ist alles vorbei und alle Verwandten werden zu einem Festessen eingeladen. Susmi bekam ihren ersten Goldschmuck und natürlich viele neue Kleider. Da wir bis jetzt nur Salinas Verwandte kannten, die alle hier im Quartier wohnen, wurde ich von „Vapajis“ (Vaters) Verwandten umsomehr bestaunt und umringt. Savitha, Valsala und ich waren die einzigen geladenen Gäste, die nicht zur Verwandtschaft gehörten, doch für die Familie war es selbstverständlich, dass wir dabei waren. Das hat mich sehr gefreut. Dafür hat Valsala auch tatkräftig bei den vielen Kochvorbereitungen geholfen. Ich wurde gleich neben Susmi auf ihr Bett platziert und sofort war ich umringt von vielen Frauen und noch mehr Mädchen. Es gab ein riesiges Geschnatter und wir hatten es lustig in unserem Kauderwelsch zwischen Englisch und Malayalam. Susmi trug ein neues Partykleid und war hübsch zurecht gemacht für ihren grossen Tag. Kaum hatte ich ihr unser Geschenk überreicht, zog sie sich jedoch um und trug danach unseren langen Rock mit dem hübschen Top. War ihr wohl bequemer als das Kunstgewebe mit Rüschen und Spitzen, das überall zwickte und kratzte... Eine eigentliche Zeremonie gab es nicht und so sassen wir fröhlich beisammen, bis wir zum Essen gerufen wurden. Wie immer bei Muslim-Familien, gab es feines Chicken-Biryani und es schmeckte herrlich. Schliesslich wehte der Geschmack schon seit morgens um 05.00 Uhr von der grossen Feuerstelle zu uns herüber...

Zwei Tage vor dem grossen Fest gab es eine grosse Aufregung bei Salina drüben. Ihre Ziege Manikutty hat Junge bekommen. Die ganze Nacht wachte die Familie und hat versucht, Manikutty beizustehen. Drei Zicklein hat sie zur Welt gebracht, wobei leider keines mehr als 24 Stunden lebte. Der Tierarzt musste am Morgen gerufen werden und sie waren am Schluss froh, dass wenigestens die Mutter die Strapazen überlebte. Es hatte nämlich eine Weile nicht gut ausgeschaut. Aber inzwischen hat sich Manikutty wieder erholt und wir sind alle glücklich. Jetzt grast sie wieder jeden Tag gegenüber von unserem Haus, wo Vapaji sie jeweils an eine Palme anbindet und am Abend holt er sie wieder nach Hause. Aber Ziegenmilch mag ich trotzdem nicht!

Und schon stand Ostern vor der Türe. Früher habe ich jeweils einen Osterkorb mit kleinen Geschenken für die ganze Familie gebastelt, den Savitha im Garten suchen durfte, danach gab es einen Osterbrunch, wo wir die bemalten Ostereier tütschten. Im ersten Jahr haben Savitha und ich die Eier mit Wasserfarben bepinselt - hei, gab das eine Sauerei beim Essen! – doch später bekam ich Eierfarben aus der Schweiz und Mami schickte mir jeweils ein paar Osterdekorationen mit Servietten. Doch jetzt machen wir keinen Aufwand mehr deswegen und da es hier weder Schoggihasen gibt – würden eh gleich schmelzen – noch sonstige Süssigkeiten und Dekorationen, geht Ostern mehr oder weniger sang- und klanglos an uns vorbei.

Dafür war offensichtlich das ganze Schweizervolk in frühlingshaftem Aufruhr und alle freuten sich auf sonnige Ostertage und hatten etwas vor über die Festtage. Die einen wollten noch zum letzten Mal auf die Skis und aufs Snowboard, während für die anderen bereits die Bike-, Motorrad- oder Schiffsaison begann. Es zog sie gen Süden ins Tessin, nach Zypern oder sogar bis nach Andalusien zum Golfen. Gärten wurden für den Sommer hergerichtet, die ersten Würste auf den Grill gelegt oder einfach auf der Terrasse oder dem Balkon die Sonne genossen.

Ich hingegen freute mich auf die Ostermesse in einer der Kirchen in der Nähe der Beach. Annette aus Norwegen begleitete mich, die im Geethanjali am Kuren war. Nach dem starken Gewitter in der Nacht, fiel ab 23.00 Uhr der Strom aus und deshalb blieb mir am Morgen nichts anderes übrig, als meinen Sari bei Kerzenschein zu wickeln. Die Kirche war voll und wie üblich sassen die Frauen mit ihren Kindern im Schneidersitz auf dem Boden, während die Männer im hinteren Teil der Kirche standen oder sich auf dem grossen Kirchenplatz aufhielten. Die bunten Saris der Frauen wirkte wie ein Farbenrausch und alle waren zum Ehrentag schön heraus geputzt. Die Mädchen stolzierten in pastellfarbenen Spitzen- und Rüschenröcklein herum und die kleinen Buben waren in westliche Anzüge oder in Kurtas gesteckt worden, in denen sie sich aber offensichtlich nicht sehr wohl fühlten. Von der eigentlichen Messe in Malayalam haben wir nicht viel mitbekommen und zudem sind mir die katholischen Riten nicht geläufig. Die melodiösen Kirchenlieder waren wie meistens Filmmelodien mit christlich vertonten Texten, wie es hier üblich ist. Traditionelle Kirchenmusik gibt es kaum und anstatt einer Orgelbegleitung wird auf dem Keyboard gespielt. Die Musik war wie immer sehr laut, aber lüpfig und animierte fast zum mitschunkeln.

Mit den nächtlichen Sommergewittern begann auch wieder die Zeit der grossen Stromausfälle, denn beim ersten Windhauch und beim zweiten Tropfen Regen fällt immer gleich der Strom aus. Stromausfälle bedeuten nicht nur kein Licht und kein Ventilator, sondern auch kein PC, kein Internet, kein Wasser, weil die Wasserpumpe nicht funktioniert und nach jedem grösseren Regenguss steht unsere Strasse gleich unter Wasser. Sobald der Monsun beginnt wohnen wir demnach nicht mehr an einer Strasse, sondern an den Backwaters. Sofort tummeln sich ein paar Enten in der braunen Brühe und sie lassen sich nicht so schnell von hupenden Autos verscheuchen, sondern geniessen ihr Bad und verteidigen ihr Revier. Aber das kennen wir ja bereits vom letzten Jahr und dieses Jahr wirds wohl auch nicht besser werden. Die Strasse sollte dringend renoviert werden, doch da es sich nicht um eine Hauptstrasse handelt, bilden wir wohl auf der Renovationsliste das Schlusslicht. Dafür gibts kaum Verkehr und nachdem im April noch die letzten Tempelfeste zu Ende gingen, ist es jetzt wieder herrlich ruhig im Quarter. Ich wuste ehrlich gesagt nicht, dass wir sooo viele Tempel in der Nähe haben!

Kaum war Ostern vorbei, stand „Vishu“ vor der Türe. Mit diesem Feiertag wird das landwirtschaftliche neue Jahr eingeläutet, wenn die Reisfelder neu bestellt werden. Zu diesem Anlass wurde am Sonntag, 15. April, in jedem Hinduhaus das Deepam (Öllampe) festlich dekoriert mit allem was der Familie im kommenden Jahr an Wohlstand bringen soll. Nebst den üblichen Opfergaben wie Kokosnüsse, Bananen, Rohreis und Räucherstäbchen, gehörten an Vishu auch Kleider dazu, Schmuck, Geld, Esswaren wie Gemüse und Früchte einen Spiegel, Krishna, der flötenspielende Gott und alles wird mit „Vishu-Flowers“ (Goldregen) geschmückt, der um diese Zeit blüht. Normalerweise trifft die Hausfrau alle Vorbereitungen und am Morgen in der Früh weckt sie die Familie und alle treten mit geschlossenen Augen vor das Deepam, um zuerst die grosse Pracht zu sehen. Damit sollen alle Wünsche für das kommende Jahr in Erfüllung gehen. Ich kam zwar etwas später ins Geethanjali, aber es war auch so schön, die aufwändigen Dekorationen im Haupthaus und im Gästehaus drüben zu bewundern. Malu hatte sich riesig Mühe gegeben und war schon um 03.30 Uhr auf den Beinen, um alles schön her zu richten. Wir trommelten alle Angestellten herbei und auch Claudia, unser Kurgast, war mit von der Partie. Ich verteilte all die Vishu-Geschenke an die Angestellten, weil sie das Jahr über kein Trinkgeld von mir bekommen. Dafür gibts zu Vishu, Onam und Weihnachten neue Kleider, so wie es der Brauch will.

Vishu war gleichzeitig auch das Saisonende fürs Geethanjali und am nächsten Tag fuhr Claudia noch für ein paar ruhige Ferientage nach Varkala, während wir die Angestellten für 10 Tage zu ihren Familien nach Hause schickten und das Geethanjali geschlossen wurde. Gopikas starteten zu ihrer 7-tägigen Tempeltour in Richtung Nordkerala nach Guruvayoor und hinauf bis nach Karnataka, wo sie im Mukhambikha-Tempel eine spezielle Pooja für Malu machten, die im kommenden Jahr das 10. Schuljahr besucht – das schwierigste Schuljahr überhaupt, weil danach anhand der Noten entschieden wird, in welche Richtung sie später studieren kann. Deshalb baten sie die Götter um den Segen. Im letzten Jahr waren wir ja auch mit von der Partie, als Savitha und ich mit Gopikas und der Urne von Hans nach Wayanad fuhren. Dieses Jahr liessen wir die Familie aber lieber alleine reisen, weil sie noch viel weiter fuhren und zudem wird es im Auto für sieben Leute mit Gepäck für eine Woche einfach zu eng und die Reise war ziemlich beschwerlich wegen der Hitze.

Deshalb blieben Savitha und ich lieber zu Hause und sie genoss ihre kurzen Sommerferien – es waren ja nur drei Wochen, anstatt wie üblich zwei Monate – mit Susmi und Jasmi und auch Daniel, der Neffe von Valsala, war für ein paar Tage bei uns. Doch da er jetzt in einem Alter ist, wo er gerade den Stimmbruch bekommt und er noch scheuer ist als sonst, fühlte er sich nicht sehr wohl in unserem „Frauenhaus“ und ging nach dem Wochenende wieder nach Hause, was ich auch verstand. Zudem musste er sich bei einer neuen Schule bewerben, Prüfungen ablegen und die Tuition begann für ihn, so dass er nicht länger bleiben konnte. Dafür kam seine jüngere Schwester Alma, die liebend gerne ihre Sommerferien bei uns verbringt. Savitha genoss den Status der älteren Schwester der drei Mädchen und es war immer etwas los. Wegen der Hitze wurde immer in der Wohnhalle auf Reismatten geschlafen, wo es auf dem Marmorboden am kühlsten war.

Als Ferienüberraschung wollte ich mit Valsala, Salina und den vier Mädchen gerne mal ins Kino, nach Varkala zum Sunset an den Strand, nochmals in den Veli-Park, von mir aus in den Zoo, oder wo auch immer. Aber ehrlich gesagt, war es uns allen zu heiss und so blieben wir wenn möglich zu Hause und liessen die Ventilatoren über unseren Köpfen auf Hochtouren schwirbeln – sofern wir überhaupt Strom hatten...

Aber ein tolles Ereignis gab es doch noch. Die Indian Air Force aus Delhi bot in Trivandrum eine geniale Flugshow, die ich mir nicht entgehen lassen wollte. Savitha und Alma durften mich an die Shankhamukham Beach begleiten. Hei, das war toll! Sogar die Mädchen waren ganz aufgeregt. Zuerst gab es eine Helikoper-Show, danach starteten vom nahen Flugenhafen aus die Kampfflugzeuge, die ihre Kunststücke am blauen Himmel über dem Meer vorführten und grün-weiss-rote Farbe hinterliessen. Und zum Abschluss sprangen Fallschirmspringer ab und landeten am Strand vor den VIP-Tribünen. Natürlich hatte es sehr viele Leute, doch wir fanden ein schattiges Plätzchen inmitten der Frauen und hatten es lustig. Die Babies um uns herum waren aber mehr an der weissen Frau interessiert, weil die Flieger für sie zu weit weg waren. Leider habe ich dann am Abend das Militärkonzert in der Stadt verpasst. Wäre da auch gerne dabei gewesen. Hans und ich hatten vor Jahren mal ein solchen Konzert erlebt und waren begeistert gewesen, obwohl es natürlich nicht an ein Schweizer Militärmusik-Konzert heran kam. Aber da die hiesigen Dorfmusikformationen jeweils für unsere Ohren mehr nach Faschingsmusik tönt – wir nennen es Guggenmusik – war das schon ein spezieller Ohrenschmaus gewesen.

Und schon bereitete sich Savitha wieder auf das neue Schuljahr vor. Wir freuten uns sehr, dass sie die Prüfungen der 8. Klasse bestanden hat. Details gibt es nicht, auch kein schriftliches Zeugis wird ausgehändigt. Aber bestanden ist bestanden! Wir holten die Schulbücher ab, waren in der Stadt und kauften den Stoff für ihre neue Uniform und am 25. April begann für sie bereits das neue Schuljahr. Sie nennen es „Summerclass“. Für die Schüler der 9. und 10. Klasse beginnt das Schuljahr immer so früh, weil sie sonst mit dem Schulstoff nicht durchkommen, wegen den vielen Frei- und Feiertagen und den Streiks. Mit der Maths-Tuition hat sie bereits an Vishu angefangen, weil dieser Tag als gutes Omen gilt, etwas Neues an beginnen und mit der Physics und Chemistry Tuition ging es am 23. April los. Somit hat sie ab jetzt nach der offiziellen Schule von 09.00 – 15.00 Uhr noch jeden Abend 1 – 1½ Stunden Nachhilfe-Unterricht. Ohne geht es nicht und alle gehen irgendwohin in die Gruppentuition. Das ist übrigens DAS Business für die Lehrer, weil sie in den Schulen nicht viel verdienen, doch zu Hause machen sie am Abend das grosse Geld. In meinen Augen eigentlich bescheuert, aber das ist das hiesige System und es gibt nur eines: mitmachen! Aber Savitha ist guter Dinge und wenn sich alles mal eingespielt hat – auch mit den Transporten - wird es schon gehen. Dafür halte ich ihr zu Hause den Rücken etwas frei und sie muss nicht mehr gross helfen. Es bleibt einfach keine Freizeit mehr, denn die Hausaufgaben müssen auch noch gemacht werden. Die kommenden zwei Jahre werden die härtesten sein, aber ich hoffe, dass sie es schaffen wird.

Am 26. April kamen die Angestellten wieder ins Geethanjali und die neue Saison begann. Dr. Gopika und sein Team kümmerte sich um drei indische Patienten, bevor dann am 4. Mai offiziell die neue Saison mit dem ersten Gast aus der Schweiz beginnt. Gegen Ende Mai sind wieder alle drei Zimmer mit Gästen aus Europa besetzt. So hoffen wir auf eine gute und erfolgreiche Saison 07/08. Bis jetzt sieht es mit den Buchungen jedenfalls vielversprechend aus und wir sind alle zuversichtlich und freuen uns auf die neue Ayurveda-Saison.

So ging der heisse April vorbei und wir hoffen dringend auf Regen im Mai! Alles ist völlig ausgedörrt, die Stauseen sind bald leer, das Grundwasser liegt tief und so wäre der Regen mehr als willkommen und nötig. Es gibt in der Stadt Stromengpässe, zum Teil kein Wasser mehr und lansgam wird es kritisch. Aber wir hoffen, dass wir den Mai auch noch gut überstehen und danach beginnt hoffentlich rechtzeitig der Monsun am 1. Juni, so wie es sich gehört...

Vor einem Jahr um diese Zeit waren wir noch mitten in den Umzugsvorbereitungen. Ich bin froh, dass wir das alles hinter uns haben und wir uns hier am neuen Ort so gut eingelebt haben. Ich kann mir ein Leben in Varkala gar nicht mehr vorstellen. Hier stimmts wirklich für uns und wir sind glücklich und zufrieden.

Ich wünsche euch allen einen wunderschönen Frühling und dass das Wetter hält, wie bis anhin. Ist ja völlig ungewöhnlich!

Liebe Grüsse und bis in einem Monat
Yvonne und Savitha