Yvonne Muller

01 January 2009

Dezember 2008

So schnell wie der November vorbei war, flog uns auch der Dezember um die Ohren. Ich begleitete die Gäste auf diverse Halb- und Ganztagestouren und habe dieses Segment etwas mehr ausgebaut, was mir sehr Spass macht und die Leute schätzen meine Begleitung. Voraussichtlich teste ich im Januar eine Sunset-Backwatertour in der Nähe vom Geethanjali und eine Fahrt nach Ponmudi, dem „Hausberg“ von Trivandrum, um mein Angebot zu erweitern.

Diese Backwater-Gegend habe ich während einer Hausbesichtigung entdeckt. Ich bin nicht auf der Suche nach einem neuen Daheim, da es uns im „Vishakham“ nach wie vor super gefällt und ich werde den Vertrag, der im Mai 09 ausläuft, voraussichtlich verlängern lassen. Die Eigentümer sind in ein neues Haus an unserer Strasse umgezogen, doch als ich sie kennenlernte, wollten sie mir unbedingt ihr vorheriges Haus zeigen, welches sie vermieten möchten – am liebsten natürlich an Ausländer. Wie erwartet war es total verlebt, es müsste extrem viel renoviert werden und wer will schon direkt an der Strasse wohnen mit einem Balkon, der so quasi über die Strasse hängt? Es gibt weit und breit keine touristische Infrastruktur, nicht einmal ein Dorf. Aber egal, bei dieser Gelegenheit habe ich einen wunderschönen Backwatersee entdeckt und von da aus erstreckt sich das Kanalsystem bis zum Meer. Das will ich unbedingt näher auskundschaften.

Am 5. Dezember rief Amma an und bat Savitha, sofort in ihr Heimatdorf zu kommen, um sich von der Grossmutter zu verabschieden, die im Sterben lag. Im ersten Moment war Savitha nicht begeistert, sie hatte schliesslich Schule, Tuition und die Weihnachtsprüfungen lagen vor ihr. Doch sie erklärte mir dann, dass sie die Mutter von ihrem verstorbenen Vater doch noch sehen möchte, weil sie sich immer sehr lieb um sie kümmerte, während sie unter ihrem alkoholsüchtigen Vater und der bösen Stiefmutter litt. Nur Ammuma war jeweils für sie dagewesen. Savitha schlug vor, den Besuch für den nächsten Tag zu planen, entschied jedoch kurzfristig aus dem Bauch heraus, noch am selben Abend nach der Schule mit Shahsi in einer Rikscha nach Bharathanoor zu fahren. Die Grossmutter lag im Spital, wo sie bereits niemanden mehr erkannte, doch Savitha hatte das Gefühl, sie hätte reagiert, als sie bei ihr auf dem Bett sass. Am nächsten Tag kam der Anruf, dass die Grossmutter in Ruhe eingeschlafen sei. Wie froh waren wir, dass Savitha sie am Vorabend noch besuchte. Sie hatte es wieder einmal gespürt, wie damals vor drei Jahren, als ihr Vater sich das Leben nahm.

Mein Weihnachtsgeschenk habe ich vom 9. – 17. Dezember eingelöst – eine Woche Ferien in Dubai mit Jimmy aus Bern, den ich übers Internet kennenlernte. Wir waren uns im Vorfeld per Telefon, mail und SMS sehr nah gekommen und deshalb entschieden wir uns spontan für ein „blind date“ um Mittnacht auf dem Flughafen in Dubai bei der Gepäckausgabe. Nicht gerade ein 08/15-Treffpunkt!!!

Das 5-Sterne-Hotel „Hilton Resort and Spa“ lag eine Stunde nördlich von Dubai in Ras al Khaimah. Wunderschön gelegen an einer Privatbucht mit herrlicher Parkanlage, zwei Pools, Restaurants und Bars, grossem Spa-Bereich – alles im arabischen Stil gebaut – wirklich wie in 1001 Nacht! Wir waren in einem 4-er Bungalow direkt am Meer mit Terrasse, Rasen, dem Strand vor der Nase und dank einem upgrading residierten wir sogar in einer Juinor-Suite! Es war absolut genial! Jimmy musste mich ganz schön warm halten, da ich mich andere Umgebungstemperaturen gewohnt bin als nur 25° bei Sonnenschein und kühlen Winden und bei Wassertemperaturen von 23° im Meer und in den Pools... Ich war aber wirklich die einzige, die so empfand und über dem Badeanzug ständig ein T-Shirt trug und mich unter Frottéetücher kuschelte.

Wir haben die Ferien extrem genossen, auch wenn wir beide eingesehen haben, dass unsere Leben nicht kompatibel sind und Jimmy nicht indien-tauglich ist. Es stimmt sehr vieles, aber nicht genug für eine Beziehung auf Dauer in meiner Umgebung. Inzwischen hat mich der Alltag wieder mit meinem ganzen indischen Umfeld, welches ich so liebe, auf der anderen Seite hat es extrem gut getan, den indischen Fesseln mal zu entkommen. Ja, einfach mal tun und lassen was frau will und nicht ständig Regeln beachten zu müssen. Die gemeinsamen Tage haben uns sehr gut getan, wir haben die Nähe ausgekostet und einander das gegeben, was sich jeder wünschte. Vielleicht wäre das eine etwas andere Art einer Beziehung, wenn man sich einfach 3-4 mal im Jahr sieht, schöne Ferien zusammen geniesst und daneben jeder sein eigenes Leben lebt. Die Treffen würden jeweils ausserhalb von meinem Wirkungskreis stattinden, wo ich keine Rücksicht nehmen muss auf die indische Kultur. Nur dann fühle ich mich wirklich frei und ich denke, das wäre gar keine so schlechte Lösung. Denn ehrlich gesagt, meinen Alltag manage ich eigentlich ganz gut alleine, Savitha, Gopikas und die Gästen füllen mein Leben aus und dazu brauche ich nicht wirklich einen Mann. Dazu kommt, dass ich mit meinem Witwen-Status hier sehr gut lebe. Ich stelle offensichtlich dermassen hohe Anforderungen, weil einfach alles perfekt sein sollte – für mich und mein Umfeld. Zudem weiss ich, dass ich genau schauen muss, wen ich in mein Leben hier lasse. Vielleicht ist dieser Mann noch gar nicht geboren oder muss zuerst noch „gestrickt“ werden hihihi... Indien ist einfach anders und eine absolute Herausforderung für einen Mann.

Wegen den Dubai-Ferien habe ich leider das „13th International Film Festival of Kerala“ mehr oder weniger verpasst. Gopikas nahmen die Gäste mit an die Eröffnungsfeier und schauten sich danach noch fünf oder sechs Filme an, welche von einer internationalen Jury bewertet wurden. Wegen den Terrorattacken in Mumbai waren sie sehr streng mit den Sicherheitsvorschriften und wir konnten die Gäste nicht einfach spontan mitnehmen, weil man im Vorfeld des Festivals persönliche Eintrittspässe mit Fotos und Adressen organisieren musste. Kaum war ich zurück, gönnten Dr. Gopika, Geetha und ich uns einen tollen Kinoabend mit einem türkischen Film. Dafür organisierten Dr. Gopika und ich für den Abschlussabend VIP-Tickets für unsere Gäste. Es wurde ein ganz spezieller Abend, da die Verteilung der Awards im grossen Nishagandhi-Open-Air Auditorium stattfand, wo auch der Siegerfilm gezeigt wurde.

Und schon stand Weihnachten vor der Türe, doch hier kam wie immer überhaupt keine Stimmung auf, noch hatte ich sonst gross „Bock“ darauf. Savitha hatte inzwischen ihre Prüfungen hinter sich gebracht und freute sich darauf, die Festtage bei ihrer Schwster im Heimatdorf zu verbringen, die dort verheiratet ist und in Erwartung des zweiten Kindes ist. Sie freute sich sehr darauf, mit ihrer kleinen Nichte Sreekutty zu spielen, die sehr an ihrer Cunjamma („kleine Mutter“ als Bezeichnung für die jüngere Schwester der Mutter) hängt. Zudem kam die ganze Verwandtschaft für die Beerdigungszeremonie der Grossmutter zusammen, die zwei Wochen vorher starb.

Es gab im Vorfeld zu diesen Ferien ein paar wüste Auseinandersetzungen zwischen Savitha und Amma, da die Mutter darauf bestand, dass Savitha bei ihr wohnt. Doch sie hatte absolut keine Lust dazu, weil ein neuer Mann bei Amma eingezogen ist. Amma sprach von „Heirat“, aber der Mann ist nicht geschieden und Frau und Kinder wohnen in Varkala, wo er auch als Taglöhner arbeitet. Und da es in Ammas Häuschen nur einen Raum gibt, wollte Savitha mit Recht nicht bei ihnen wohnen. Zudem hat sich die Mutter wieder mit der ganzen Nachbarschaft verkracht, so dass Savitha niemanden zum Spielen gehabt hätte. Und die schizophrenen Schübe von Amma sind noch immer sehr unberechenbar. Am Schluss hat Savitha dann doch noch das Okay von Amma bekommen, dass sie bei der Schwester wohnen darf. Das lag alles nicht in meinem Befugnisbereich, doch Savitha weiss sich zu wehren und in einem Jahr ist sie 18 und kann selber entscheiden.

Somit war ich über die Weihnachtstage alleine zu Hause. Es wurde kein Baum aufgestellt und es gab keinen Heiligabend. Wäre auch mit Savitha alleine etwas trostlos gewesen und so war ich froh, dass sie zu ihrer Schwester konnte. Vor einem Jahr war noch mein Bruder Rolf mit seiner Ina bei uns. Damals feierten wir richtig schön mit Bescherung auf der Terrasse vor dem geschmückten Christbaum, einem herrlichen Dinner und der Mitternachtsmesse in der Stadt. Doch so alleine – da war es mir lieber, wenn Savitha auswärts war. Trotzdem war ich am Vorabend etwas geknickt und hatte Bammel - schliesslich habe den 24. Dezember noch nie alleine verbracht. Doch ich wollte es ja so...

Es ging dann jedoch alles gut über die Bühne. Zum Mittagessen war ich im Geethanjali drüben bei den Gästen. Zum Tee schnitten Malu, die Tochter von Gopikas und ich die Weihnachtstorte an und dazu gab es „selbstgebastelten“ Wein (Trauben, Pfeffer, Ingwer, Zimt und andere Gewürze mit Hefe gären lassen) und wir feierten mit allen Angestellten mit einem kleinen künstlichen Christbaum, einem echten im Garten, wo die bunten Lichtlein alle ganz nervös blinkten, grosser Krippe und Silverster/Faschings-Dekoration - Weihnachten à la Kerala. Es war richtig schön und auch für die Gäste eine völlig neue Erfahrung. Schliesslich sind Gopikas und die meisten Angestellten Hindus, wir haben auch ein paar Muslime dabei und eine Christin. Deshalb ist es nicht selbstverständlich, dass im Geethanjali Weihnachten gefeiert wird - wenn auch in einem etwas anderen Rahmen als wir das kennen. Doch ein schönes Zeichen, wie hier im Süden alle Religionen friedlich bei- und miteinander wohnen, wo alle religiösen Feste zusammen gefeiert werden - ob Onam, Id-ul-Fitr oder eben Weihnachten. Zudem wurden wie immer die typischen englischen Plumcakes im Freundes- und Nachbarkreis ausgetauscht und alle wünschten sich „Happy Christmas!“.

Am 25. fuhr ich mit den Gästen an die Kovalam Beach und am Abend erfreuten wir uns an einem klassischen Carnatic-Flötenkonzert im „Thapovan“ bei Andreas, wo wir uns im Anschluss an einem herrlichen Buffet an der Beach gütlich taten. Damit ging Weihnachten gut über die Bühne, auch wenn ich zu Hause nichts organisiert hatte.

Savitha kam am 26. Dezember wieder heim. Es hatte auch während den Ferien ein paar Auseinandersetzungen mit der Mutter gegeben. Sie hatte mir davon am Telefon berichten wollen, jedoch in Schweizerdeutsch, damit es die anderen nicht verstehen und so hatte ich leider nicht alles genau mitbekommen. Am 30. Dezember startete bereits wieder die Schule und jetzt beginnt der Endspurt für die Jahresabschlussprüfungen, wo sich danach ihr weiterer beruflicher Lebensweg entscheiden wird.

Es gab Ende Dezember wieder einen Gästewechsel und am 30. erwartete ich Corina, die Tochter einer ehemaligen Schulfreundin von der Lenzerheide. Sie wird bis Mitte Januar bei uns bleiben und ich habe schon die eine oder andere Idee, was wir zusammen unternehmen können. Vielleicht will sie noch alleine ein bisschen herumreisen – es ist jedenfalls nichts geplant und so schauen wir von Tag zu Tag, wie wir das Programm gestalten wollen.

Silvester war geplant, ruhig zu Hause zu verbringen, doch da es den Gästen an Weihnachten dermassen gut im „Thapovan“ gefallen hat, fuhren wir auch am Jahresende nochmals hin. Nach einer klassischen Tanzvorführung liessen wir uns kulinarisch am grossen Buffet verwöhnen mit Musik und Feuerwerk und das alles natürlich bei angenehmen Temperaturen am Meer unter Palmen. Kurz nach Mitternacht fuhren wir jedoch zurück, da wir alle am Neujahrstag unsere Behandlungen hatten. Ich lag sogar um 07.00 Uhr bereits im Madom und durfte die „Massagen 2009“ einweihen, was immer ein grosses Privileg ist. So hoffen wir auf ein weiteres erfolgreiches Geethanjali-Jahr, was jedoch kaum zu toppen ist, weil wir im 2008 so gut ausgebucht waren, wie noch nie zuvor.

Wir wünschen euch allen ein wunderschönes, erlebnisreiches, erfolgreiches und gesundes 2009 und mögen alle unsere Wünsche in Erfüllung gehen...

Liebe Grüsse und seid herzlich umarmt
Yvonne und Savitha