September 2008
Ich hatte mich trotz Onam auf einen ruhigen, wenn nicht gar langweiligen Monat eingestellt, da wir keine Gäste aus dem Ausland hatten, doch unerwarteterweise war ständig was los und der Monat flog nur so vorbei.
Gleich am ersten Tag wurden Ingrid und ich zur Einweihung von Tharas Haus eingeladen. Sie ist die Schwester von Dr. Gopika, die vorher mit ihrem Mann, den alle nur „Gandhi“ nennen und ihrer 14-jährigen Tochter Sunidee in ihrem Elternhaus gewohnt hat. Sie wohnen nun auf einem Grundstück mitten in den Geschwistern von Gandhi und haben dort ein zweistöckiges Haus, wobei der obere Teil mit drei Zimmern, kleiner Küche und Wohnraum vermietet werden soll. Am liebsten an Leute vom nahen Technopark, von denen nun alle profitieren wollen. An sich eine gute Idee, nur leider überhaupt nicht durchdacht. Anstatt einem grossen Bad mit Toilette und Dusche für alle drei Zimmer, hat jedes munzige Kämmerchen eine kleine Toilette bekommen, ohne Waschbecken. Die einzige Dusche auf der Etage gibts nur vom dritten Zimmer aus. Somit müssen die Herren von zwei Zimmern jeweils beim dritten anklopfen und seine Dusche benützen... Ja, gibt es denn so was? Das mag ja für die Familie unten gehen, aber doch nicht mit drei fremden Parteien oben! Unglaublich, dass die Leute sich so überhaupt nichts überlegen – offenbar nicht mal der Architekt. Ich konnte mich nur wundern und staunte. Aber egal, ich muss hier ja nicht einziehen.
Bereits in der Nacht hat ein Priester je eine Gebetszeremonie im Elternschlafzimmer und im Wohnzimmer unten gemacht, wo nur noch die Feuerstelle sichtbar war und das Deepam (Öllampe) brannte. Inzwischen waren alle Freunde, Verwandte und Nachbarn eingetrudelt und die eigentliche Einweihung konnte beginnen. Wie üblich war das der Part des Maurermeisters. Vor dem Haus wurde das Deepam gerichtet mit den üblichen Opfergaben, dazu ein Tontopf gefüllt mit Milch, ein Alutopf eingewickelt in ein Baumwolltuch enthielt Münzen und Geldscheine, eine handgeschnitzte Schatulle mit einer Goldmünze und ein Korb mit Gemüse. Der Maurer zündete das Deepam an und Thara trug es ins Haus als Symbol für das neue Licht und Leben, wobei sie selbstverständlich mit dem rechten Fuss zuerst über die Schwelle trat. Dahinter ihr Mann mit dem Geldtopf (für ein geregeltes Einkommen), Sunidee folgte mit der Schatulle zum Zeichen von Reichtum, die Schwester von „Gandhi“ trug den Gemüsekorb (für Speis...) und die Grossmutter die Milch (...und Trank).
Thara entzündete einen Palmzweig am brennenen Deepam im Schlafzimmer, womit sie das Feuer in der Küche am Boden entfachte, um die Milch zu erhitzen. Für ein gutes Omen muss sie so schnell wie möglich überkochen. Das ganze Haus wurde eingeräuchert und es dauerte eine Weile bis die Milch überschäumte. Damit war das Haus eingeweiht und alle durften es besichtigen und wurden im Nachbarhaus mit einem Bananenblatt-Essen verköstigt.
Am 3. September wurden überall in den Tempeln zu Ehren vom Elefantengott Ganesh Poojas arrangiert. Ingrid war wieder mit von der Partie und wir fuhren mit Dr. Gopika zu einem Shiva-Tempel, wo die Pooja schon in vollem Gang war. Wegen dem nächtlichen Regen war unter einer Abdeckung auf dem Tempelareal eine riesige Feuerstelle aus Backsteinen mit einem Durchmesser von etwa 2 Metern aufgebaut worden. Der Oberpriester sass vor dem Feuer und schaute in Richtung Osten, wie sich das für eine Morgenpooja gehört und in langen Reihen sassen Frauen und hatten je ein Deepam vor sich, ein Bananenblatt und Blütenblätter. Der Oberpriester sang die Mantras und seine beiden Gehilfen warfen nach jedem Mantra von den heiligen Süssspeisen, Kräuter, Wurzeln oder Gräser ins Feuer und die Frauen taten es ihnen gleich und warfen ihre Blumenblüten vor ihr Deepam. Ingrid und ich waren völlig gefesselt von der Stimmung. Ich hätte mich am liebsten zu den Frauen gesetzt, aber ich denke, dass ich nicht so lange im Schneidersitz stillsitzen könnte, ohne mich zu rühren.
Dr. Gopika schlug vor, dass wir zu einem weiteren Tempel fahren und auch da war eine Ganesh-Pooja in Gang und wir schauten, wie der Priester Gräser in Ghee tunkte und sie büschelweise ins Feuer warf. Alles ging in grossem Rauch auf und der Priester wurde völlig eingeräuchert. Wir blieben noch zehn Minuten, erlebten das Ende der Pooja und durften das heilige Feuer entgegennehmen. Da wir schon auf grosser Tempeltour waren, konnten wir Ingrid zusätzlich unseren Dorftempel zeigen. Damit hatte sie drei verschiedene Tempel gesehen und auch hier war noch eine kleine Ganesh-Pooja im Gange, obwohl wir da nicht mehr lange gestanden sind. Dafür traten wir ins Sanktum Sanktorum, wo Dr. Gopika die Tickets für eine Pooja kaufte, der Priester betete für uns und danach überreichte er uns das Prasdam. Damit war unsere Ganesh-Tour abgeschlossen und Ingrid war beeindruckt und dankbar, dass sie mit uns so viel erleben durfte.
Zu Malus 16. Geburtstag wurden Savitha und ich zum Mittagessen bei Gopikas eingeladen. Bevor wir mit der ganzen Familie nach Triavandrum ins Theater fuhren, durfte das Geburtstagskind die Kerzen auf der Torte ausblasen und es gab für alle Tee und Kuchen. Von der abendlichen Vorstellung waren wir alle schwer beeindruckt. Es wurde ein Stück aus den indischen Epen aufgeführt mit einer modernen Choreografie, einfache, aber wirkungsvolle Kostüme, geniale Bühnenbeleuchtung, gute Musik und für einmal nicht zu laut!!! Es wurde alles in Malayalam und Sanskrit gesungen und so konnten die Leute der Geschichte gut folgen. Auch wenn ich von der eigentlichen Story nicht viel mitbekommen habe, wars trotzdem spannend und Dr. Gopika erklärte, dass diese traditionelle Kunstform früher sehr populär gewesen sei, doch heute wird sie kaum noch aufgeführt. Schade! Heute gibt es nur noch klassische Konzerte, Tanzvorführungen oder Kathakali.
Anschliessend gingen wir noch gemütlich chinesisch essen und feierten den Abschied von Geethas Bruder, der mit seiner Familie dabei war. Shaji flog eine Woche später nach Dubai, um dort seine Stelle als Bankmanager anzutreten. Für ihn eine einmalige Chance, seine Frau und die beiden Mädchen waren natürlich weniger begeistert. Er musste sich jedoch im Vorfeld gross in Geduld üben, bis alles mit den Papieren klappte und wenn es ihm gefällt, kann die Familie bis einem Jahr nachziehen.
Während im Juli/August kulturell überhaupt nichts lief, gab es dafür kurz vor Onam ein Highlight nach dem anderen und man hätte jeden Abend irgendwo dabeisein können. Ich freute mich schon seit Wochen auf das Konzert von Julian, unserem Piano-Wunderknaben. Er studiert schon seit drei Jahren in England und seither sind seine Konzerte einfach überwältigend. Er heimst einen Preis nach dem anderen ein und ist auch ein sehr guter Schüler. Während seinen Sommerferien gab er immer an seinem Geburtstag ein Beethoven-Konzert, der am gleichen Tag zur Welt gekommen war. Dieses Jahr ging er jedoch zum ersten Mal auf Tournee und hat neun Konzerte in verschiedenen Städten Südindiens gegeben – von Mumbai bis hinunter nach Trivandrum. War ganz schön anstrengend gewesen und für Vater Willy, der alles organisiert hat, eine echte Herausforderung. Zur Einstimmung spielte Julian Bagatelle von Beethoven, danach legte er so richtig los und was folgte, war absolut atemberaubend! Sonata No. 23 von Beethoven in drei Sätzen, Nocturne von Chopin und die Polonaise von Chopin. Nach der Pause Ballade Op. 24 von Grieg, Images von Claude Debussy in 3 Sätzen und Hungarian Rhapsody von Franz Liszt. Ein absoluter Traum – und seine Fingerfertigkeit, da wurde es einem fast schwindlig beim Zuschauen!!! Ingrid war total hingerissen und konnte es kaum glauben. Sie habe noch nie einen dermassen fantastischen Pianisten gesehen!
Mit Margrit aus Kovalam traf ich mich zu einem gediegenen Sonntags-Lunch im Leela Hotel in Kovalam. Leider begann es zu regnen und stürmen, doch wir liessen es uns trotzdem schmecken und genossen den gemeinsamen Nachmittag. Ende Monat flog sie wieder in die Ferien und deshalb wollten wir uns unbedingt noch vor ihrer Abreise treffen. Ich organisierte sogar noch eine Führung durch das Hotel, was sonst nicht möglich ist. Ziemlich beeindruckend, jedoch auch dementsprechend teuer. Und weil kurz vor Onam das neue Taj Residency in Trivandrum eröffnet wurde, haben wir auch dieses neue Hotel noch bei einem „ladys lunch“ gemeinsam getestet. Ich kenne den General Manager seit vielen Jahren, da er früher das Taj Hotel in Varkala führte und seine Söhne besuchten die gleiche Schule wie Savitha. Wir wurden eingeladen und auch da waren wir vom Essen absolut begeistert, wenn auch die Architektur des Restaurants etwas gewöhnungsbedürftig ist, weil alles ziemlich kalt wirkt und auf die grosse TV-Leinwand können die Europäer auch getrost verzichten...
Danach begann das Erntedankfest Onam. Savitha wollte dieses Jahr unbedingt vermeiden, dass sie über die Feiertage zu ihrer Mutter muss und hat vorgegeben, dass sie viele Hausaufgaben erledigen muss, die Tuition nicht schwänzen darf und somit keine Zeit habe, sie zu besuchen. Sie einigten sich, dass Amma nur rasch vorbeikam, um Savitha zu sehen und ihren Onam-Sari von mir abzuholen. Im Moment herrscht ein ziemlich gespanntes Verhältnis zwischen den beiden und Savitha will nichts wissen von ihrer leiblichen Mutter. Shashi bekam drei Tage frei und Gopikas fuhren mit der ganzen Familie, samt Grossmutter an die Südspitze. Das Geethanjali blieb über diese Tage geschlossen, da ich es so arrangierte, dass wir keine Gäste haben – es ist einfach immer zu laut und dann gibts Reklamationen, weil man dem Lärm nicht entgehen kann. Die Angestellten freuten sich, dass sie nach Hause durften und so war allen gedient.
Savitha und ich blieben ruhig zu Hause und wurden dafür an drei Tagen zu drei Onasadhyas eingeladen. Das erste traditionelle Essen auf dem Bananenblatt war bei Shashi zu Hause. Savitha und ich betraten das Haus durch den Hintereingang, da wir beide die Periode hatten. Vor dem Haus war ein kleines Attam (Blumen-Mandala) und da geht man nicht vorbei, wenn frau unrein ist. Das Häuschen war noch viel kleiner, als ich es in Erinnerung hatte. Ich wurde im Wohnzimmerlein plaziert, obwohl ich da auch nicht hätte sein dürfen, weil ich die Gebetsecke im Rücken hatte. Doch da nur wenige Quadratmeter zur Verfügung standen, wäre der Abstand nirgends einzuhalten gewesen. Egal – wir waren die geladenen Gäste und wir mussten uns irgendwohin setzen. Im Wohnzimmerbereich war neben dem kleinen Tisch mit einem alten Wachstischtuch von mir und der Gebetsecke (mit dem gerahmten Weihnachtsfoto von Savitha und mir) nur noch Platz für Shashis alte Nähmaschine und für den heutigen Tag hatten sie extra zwei Plastikstühle organsiert. Damit war der Raum ausgefüllt. Das Onasadhya besteht aus den obligaten Bananenchipsli, kandierten Bandanstückli und einer Banane, Ingwer-, Mango- und Lemon-Pickels, Gemüsecurries, Reis, Dal und Papadam und für den zweiten Gang nochmals Reis mit Sambar. Zum Dessert noch ein Paysam mit Boli und den süssen Kügelchen – hat Shashi extra für mich gekauft! Während Savitha und ich am Tisch assen, setzten sich drei der vier Kinder im Schneidersitz auf den Boden der Wand entlang vom Eingang bis zur Türe ins Elternschlafzimmer, das vierte im Elternschlafzimmer, die Grossmutter quetschte sich in den schmalen Durchgang und der Vater ass in der Küche und Shashi bediente uns. Als alle ihre Plätze eingenommen hatten, gab es keinen freien Quadratzentimeter mehr im Haus und Shashi kam kaum an allen vorbei und streifte mit ihrem Sari immer wieder die Bananenblätter auf dem Boden. Wirklich minimunzig! Wie man hier leben kann?! Aber sie kennen halt nichts anderes. Doch ich denke, Shashi arbeitet auch lieber bei mir als zu Hause. Oder meine ich das nur? Am nächsten Tag gab es das selbe „in Grün“ bei Salina drüben und am 3. Tag wurden wir zum gleichen Essen bei unserer Hauseigentümerin Anila und ihrer Tochter Remya eingeladen. Nach den drei Sadhyas hatte ich wirklich genug – weil es halt immer das gleiche ist.
Mit der Musik vom Tempel her war es in diesem Jahr zum Aushalten und ich war froh darüber. Die Musik lief zwar den ganzen Tag, doch es wurde kein Trichterlautsprecher direkt auf mein Haus gerichtet und ich war froh drum. Am Nachmittag fanden jeweils Spiele beim Tempelareal statt, Wettbewerbe wurden arrangiert, wo die Kinder was vorsingen oder vortanzen konnten und es gab jeden Abend Unterhaltung bis tief in die Nacht hinein. Da ich einen Teil der Preise sponserte (Saris, Blusenstoffe und Dothis für die Männer) wurde ich als Ehrengast zur Preisverleihung eingeladen. Ich hatte mir bereits eine kleine Rede in Englisch zusammengestellt, die ich Savitha vortragen wollte, als sie den Vorschlag machte, ich soll doch nur zwei oder drei Sätze in Malayalam sagen, weil hier im Quartier eh niemand Englisch spricht. Und so hat sie mir etwas zusammengestellt und wir übten die Aussprache und die Betonung. War super schwierig, weil wir die Laute einfach nicht richtig hinbringen, doch ich schaffte es und hatte mir alles phonetisch notiert. Um 20.00 Uhr wurde ich von der Tempelbehörde offiziell zu Hause abgeholt und zur Bühne begleitet. Nach dem Prayersong haben die Ehrengäste das Deepam offiziell angezündet und nach ein paar kurzen Reden wurde ich vorgestellt. Meine Worte kamen unheimlich gut an bei den Leuten. Offensichtlich haben sie alles verstanden und sie klatschten und freuten sich, dass Mama sie in Malayalam begrüsste. Später kamen die Frauen auf mich zu und gratulierten mir und schüttelten mir die Hand zum gelungenen Auftritt. Richtig rührend. Zusammen mit dem Gemeindepräsidenten haben wir die Preise verteilt und viele der Kinder und Frauen kannte ich natürlich. Das war wirklich ganz speziell gewesen und es hat mich gefreut, dass ich dazu eingeladen wurde und ganz besonders, weil es in meinem Quartier war.
Am Ende des Monats überraschte mich Marlies aus der Schweiz mit einem super Highlight! Vor vier Jahren verbrachten wir ein paar Tage auf den Malediven, über Ostern besuchte sie uns und jetzt schlug sie vor, dass wir uns in Oman treffen. Wie aufregend! Sie kannte ein grandioses Hotel und wir wollten uns schon vor einem Jahr dort treffen, doch damals konnte ich wegen meinen Visaproblemen Indien nicht verlassen. Innert drei Stunden arrangierten wir unseren Trip nach Muscat und vier Tage später flogen wir einander entgegen. Wir genossen herrliche Tage am Pool und im Meer, erlebten kulinarische Höhenflüge und ausser einem indischen Dinner in der Stadt kamen wir nicht aus dem Hotel. War auch egal, weil es da einfach zu schön war - wie 1001 Nacht! Wir haben das grosse Hotelangebot genossen und hatten es super lustig. Oman hätte sicher einiges zu bieten, ob in den abgelegenen Bergen oder der 1000 km langen Küste entlang. Ich konnte mich für die arabische Architektur begeistern und es hätte uns brennend interessiert, wie die Leute hinter den Fassaden wohnen.
Zurück in Trivandrum wurde ich von Gopikas abgeholt und nach all dem orientalischen Luxus holte mich Indien wieder ein und es ging direkt zu einer „Audienz“ beim Guruji, der wieder für eine Woche bei Gopikas kurt, nachdem er bereits im Juli bei uns war. Da prallten wieder einmal kulturelle Gegensätze aufeinander, doch genau das macht es hier ja so spannend!
Mit diesem Kurzausflug ging der Monat zu Ende und ab Oktober bin ich dann wieder für die Gäste im Einsatz. Ich freue mich darauf und Savitha kann ihren 17. Geburtstag am 24. Oktober kaum erwarten.
Seid alle ganz lieb gegrüsst von eurer
Yvonne und Savitha
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