Oktober 2006
Ich habe das Gefühl, dass ich während dem vergangenen Monat nur auf Techniker gewartet habe, die irgendwas reparieren sollten. Die Waschmaschine machte schon wieder Probleme, der TV gab den Geist auf und sonstige Kleinigkeiten im Haus mussten repariert oder erneuert werden. Shaji war mit einer Maurerequipe im Einsatz, um die Grundstückmauer zu den Nachbarn hinüber zu dichten – ihre Abwasser sickerten zu uns herüber. Wir hatten extrem viele Stromausfälle – oft stundenlang und bis zu ganzen Tagen und ohne Strom lässt sich der Wassertank nicht füllen. Nicht sehr angenehm, wenn der aufgedrehte Wasserhahn trocken bleibt! DAS Dauerthema war aber mein PC. Ich wartete tagelang auf einen Techniker und war zu Hause blockiert. Irgendwann riss mir der Geduldsfaden und ich lenkte das PC-Problem in andere Bahnen. Ich suchte nach einer zuverlässigen PC-Firma und wurde sogar fündig. Inzwischen war der ganze Internet-Anschluss gecheckt worden und es hiess, dass ich Viren auf der Festplatte habe. Der Firmenboss schickte mir am gleichen Tag einen Techniker vorbei, der sogar Englisch verstand. Dieses Mal nahm ich die Sache bedeutend gelassener als noch vor einem halben Jahr, als der ganze Aufbau von Hans futsch war und ich bei „Zero“ beginnen musste. Jetzt habe ich mein System im Griff und nach 2 ½ Stunden war alles erledigt und ich werde in Zukunft von Shyam betreut, den ich jederzeit direkt erreichen kann. Und wieder ein Mosaikstein im neuen Beziehungsnetz, das ich mir langsam aufbaue. Es dauert halt seine Zeit, aber so langsam bin ich dran, all die Techniker und Handwerker auf Abruf um mich zu scharen... Manchmal ist es echt zum Ausflippen, wenn frau sich um den ganzen Kram alleine kümmern muss. Einerseits anstrengend aber auch befriedigend, wenn ich sehe, dass danach wieder alles funktioniert – Dank meiner Organisation!!!
Nebst dem Alltagskram und dem vielen Ärger mit Kleinigkeiten, gab es auch wieder Lichtblicke und ein ganz besonderes Highlight war die Einladung zum 90. Geburtstag der Maharani. Sie lud zu einem Konzert in den Kowdiar-Palast ein und unsere Gäste, Nadine, Silvia und Simone begleiteten mich. Alle hatten wir uns „königlich“ zurecht gemacht und ein kleiner Saal im Palast war für den besonderen Abend hergerichtet worden. Mir wurde die Ehre zuteil, zur Linken der Maharani zu sitzen, während ihre Tochter, die Prinzessin und ihr Mann es sich mit weiteren geladenen Gästen im Schneidersitz auf dem Perserteppich zwischen der Bestuhlung und der Bühne gemütlich machten. Der Prinz sang zu Ehren seiner Grossmutter, die er liebevoll sein „birthday-girl“ nannte. Das klassische Konzert war dieses Mal wirklich sehr aussergewöhnlich, weil der Prinz Kompositionen von verschiedenen Komponisten sang, was ein herrliches Kaleidoskop von diversen Stilrichtungen gab. Ich kenne die Konzerte des Prinzen nur von der jährlichen Musikfestwoche im Januar, wo zu Ehren seines Vorfahren Maharaja Swathi Thirunal seine eigenen Kompositionen vorgetragen werden. Es war ein richtig schönes Familienfest unter Freunden, wobei auch einige Ausländer darunter waren. Die meisten kannte ich bereits, andere lernte ich kennen. Nach dem Konzert durften wir uns am Dinner-Buffet bedienen. Anstatt mit silbrigen Löffelchen und Gäbelchen wurde wie immer von Hand gegessen und wie es sich gehört, anschliessend beim Händewaschen in den Innenhof gespuckt. Diese Einladung hat mich sehr geehrt und gezeigt, dass ich nach wie vor zum „gesellschaftlichen Leben“ von Trivandrum gehöre. Und ich dachte immer, ich sei nur das Anhängsel von Hans. Stimmt ja gar nicht!
Kaum eine Woche später genossen Nadine und ich nochmals einen schönen Abend bei Andreas im „Thapovan“. Er hatte zu einem Flötenkonzert in seinem Resort eingeladen und der „harte Kern“ der Musikliebhaber von Trivandrum traf sich bei ihm. Vor dem Konzert sass ich mit Nadine am Privatstrand und wir lauschten dem Rauschen des Meeres, während die Dämmerng schnell herein brach. Den Abend liessen wir auch hier bei einem gemeinsamen Dinner ausklingen.
Mitte Monat rief Bose an aus Varkala und fragte, ob er mir meine Rikscha abkaufen dürfe. Aber natürlich! Sie war bis jetzt noch unter der Obhut von Shaji in Varkala, doch im Februar wollte ich mich von ihr trennen und sie verkaufen. Es wurde ein Handel unter Freunden und Bose hat sich sehr grosszügig verhalten. Er kam mit einem vorbereiteten Vertrag, den wir zusammen unterschrieben, er überreichte mir das Geld und ich gab ihm die Schlüssel und alle Papiere. Ich glaube, es war ihm sehr wichtig, noch ein Andenken an Hans zu haben. Sein Fahrer werde mich jeweils gratis in Varkala herum kutschieren – ein nette Geste! Somit ist auch dieses Kapitel abgeschlossen und von den Varkala-Zeiten bleibt nur noch die Hausübergabe der Villa Deepam. Leider ist der Kontakt zum Hauseigentümer in London sehr mühsam, doch ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, auch diesen letzten Akt noch vor meiner Abreise in die Schweiz erledigen zu können.
Nach vielen Monaten besuchte ich wieder einmal das Waisenhaus und verbrachte einen gemütlichen Nachmittag bei Christiane und ihren Freunden aus der Schweiz, die gerade zu Besuch weilen. Es gab wieder viele Neuigkeiten auszutauschen und ich spielte mit den Mädchen. Es ist jedes Mal ein Erlebnis und sie sprechen jetzt schon sehr gut Englisch und zum Teil sogar Französisch, da Christiane sie auch in ihrer Muttersprache unterrichtet. Die Weihnachtsvorbereitungen sind bereits im Gang und riesige Stoffballen wurden gekauft, damit jedes Mädchen zu Weihnachten ein neues Kleid bekommt. Die Näherinnen im Heim sind damit gut beschäftigt... Und wie jedes Jahr ist die Neujahrskarte mit dem Foto von allen 144 Mädchen ein grosser Aufwand. Ich wünsche mir, einmal mit ihnen so richtig schön Weihnachten feiern zu können. Mal sehen, ob es sich im nächsten Jahr realisieren lässt. Aber dieses Jahr freue ich mich natürlich auf weisse Weihnachten auf der Lenzerheide!
Der Nordmonsun hat uns auf den Tag genau am 1. des neuen Malayalammonats erreicht. Heftige Gewitter mit Blitz und Donner, Überschwemmungen, Stürmen und mit den damit verbundenen Stromausfällen – wie könnte es auch anders sein... An einem Abend musste ich Savitha nach der Tution bei Freunden an unserer Strasse abholen, da sie es mit dem Fahrrad nicht mehr nach Hause geschafft hat. Nachdem sich das Gewitter verzogen hatte, watete ich durch wadenhohes Wasser und holte Savitha sicher nach Hause. Ich kann mich an keinen dermassen starken Nordmonsun in den letzten 10 Jahren erinnern und noch immer ist kein Ende des Regens in Sicht...
Die Schulsporttage wurden trotz dem vielen Regen durchgeführt, mussten aber am letzten Tag früher abgebrochen werden. Schliesslich findet hier alles draussen statt, weil es keine Turnhallen gibt. Am ersten Tag kam sie mit einem Zertifikat heim, welches bestätigte, dass sie beim Diskuswerfen den 3. Platz geholt hat. Beim 100-, 200- und 400-meter Lauf reichte es leider nur für den 4. Platz – ohne Zertifikat. Das fuxte sie extrem, da sie immer nur einen einzigen Schritt zu langsam gewesen sei! Danach war wieder Lernen angesagt, da der Unit-Test bevor stand, die letzten Prüfungen vor den grossen Weihnachts-Examen.
Das diesjährige Ende des Ramadan-Fastenmonats fiel auf den 23. Oktober. Zu diesem Anlass wurden wir von unseren Muslim-Nachbarn zum traditionellen Biryani-Essen eingeladen. Ich habe mich sehr darüber gefreut und dachte, wir würden alle zusammen mit Verwandten und Freunden feiern. Viele Leute, laute Musik, grosses Geschnatter und als Höhepunkt das grosse gemeinsame Essen im Schneidersitz auf dem Zementboden vom Bananenblatt. Aber dem war leider nicht so. Für die Familie war es eine solche Ehre, dass „Mama“ kam, dass sie nur uns alleine einlud. Wie üblich sass ich mit den Kindern am Tisch, Salina werkelte in der Küche, Valsala bediente uns und der Vater tigerte hin und her. Sie assen später in der Küche aus ihren Blechnäpfen. Schade - ich habe es mir anders vorgestellt. Dafür führten die Mädchen zur Feier des Tages nochmals ihren Onam-Tanz für mich vor.
Savithas 15. Geburtstag fiel auf den zweiten Ramadan-Feiertag und deshalb war nochmals schulfrei. Gopikas sponserten für das Altersheim ein Mittagessen, ich verteilte Bettlaken und Savitha Geburtstagszückerli. Es war sehr bedrückend zu sehen, wie die Leute auf dem Boden lagen oder hockten, meist völlig apathisch, sich ständig kratzend, hin und her wiegend oder einfach ein Loch in den Himmel starrend – wie Tiere vegetieren sie vor sich hin und bei vielen kommt keine Reaktion mehr. Doch allen schmeckte das feine Essen. Sie kleckerten und sabberten, verschütteten den Tee auf den Matten und dem Zementboden und wer reagierte, freute sich über die Bettlaken, die ich verteilte. Ich war aber froh, dass wir nicht da essen mussten – wir hätten keinen Bissen hinunter gebracht. Es war einfach zu depremierend. Alle Räume lagen im Halbdunkel und der Gestank von Urin hing im ganzen Haus. Seit einem Monat haben sie keinen Strom und Schwester Gladis kümmert sich ganz alleine um die fast 40 Leute. Ohne Strom funktioniert natürlich die Wasserpumpe nicht und so muss sie jeden Kübel Wasser eigenhändig aus dem Brunnen ziehen – zum Waschen, Kochen, Duschen und für die Toiletten. Gopikas sind jetzt dran, den Gemeindepräsidenten unter Druck zu setzen, damit er die definitive Stromleitung installieren lässt.
Wieder zu Hause, luden wir Salina und ihre Familie zu einer kleinen Geburtstagsfeier ein mit Kuchen und Tee. Keine grosse Party - keine Dekorationen, keine Kerzen und nur wenige Geschenke. Wir wollten Salinas Familie gegenüber nichts Protziges veranstalten und zudem war Savitha und mir nach dem Besuch im Altersheim nicht gross zum Feiern zu mute.
Zwei Tage später kam dann endlich Mami. Wie hatten wir uns auf ihren Besuch gefreut! Nach 9 Jahren besuchte sie uns das zweite Mal in Kerala. Damals war Savitha gerade mal 3 Monate bei uns und Savitha durfte zum ersten Mal in ihrem Leben ihren Geburtstag feiern. Damals war sie 6 Jahre alt und wir erinnern uns noch gerne an das „Grossereignis“. Dieses Mal war Mami natürlich gespannt auf unser neues Reich und Valsala hat das ganze Haus auf den Kopf gestellt, damit auch ja alles für den grossen Empfang bereit war. Mami hatte einen prächtigen Flug, den sie sehr genossen hat und auch die Umsteigerei in Doha war kein Problem. Schliesslich gab es viel zu sehen und zu beobachten. Die ganze Welt schien sich auf dem Flughafen zu treffen, um weiter in alle Herren Länder zu reisen. Das war natürlich spannend.
Mami war begeistert von unserem neuen kleinen Reich und sie hat sich sofort sehr wohl gefühlt. Wir wussten bereits von der letzten Reise, dass ihr das feucht-heisse Klima hier nicht sehr bekommt und so schwitzt sie wie erwartet, kräftig vor sich hin. Wir können ihr halt keine frische Alpenluft offerieren, aber wir machen keine grossen Sprünge und nehmen einen Tag nach dem anderen. Es gefällt ihr aber riesig und wir haben es sehr schön zusammen im „Vier-Mädel-Haus“. Ich geniesse es sehr, Mami um mich zu haben und auch Savitha will kaum noch in die Schule. Endlich konnte ich Mami Familie Gopika vorstellen und ihr das Geethanjali zeigen – sie kannte bis jetzt alles nur von meinen Tagebucherzählungen. Dafür war jede Hintergrundstory präsent, weil Mami dank meinen vielen Briefen immer mit einem Bein bei uns lebt. Wir „besuchten“ Hans im Herbalgarden von Gopikas und Mami brachte einen kleinen „Piz Merlotscha“-Stein, den wir auf die neu bepflanzte Verbrennungsstätte von Hans legten. Dr. Gopika wird den Stein im Tempel segnen lassen und der Stein wird danach auf einem kleinen Sockel fest montiert, als ein Andenken von seinen Schwiegereltern von der Lenzerheide. Das hat mich wie auch Gopikas sehr berührt. Wir werden auch in den nächsten Tagen sicher noch das eine oder andere Mal auf den Spuren von Hans wandeln, will ich Mami doch zeigen, wo wir all die wunderschönen Zeremonien für ihn gemacht haben.
Natürlich wollten wir Mami noch unseren Hundenachwuchs zeigen, bevor wir die Bande auseinander nahmen und es um die „Verteilung“ ging. Die Zeit war gekommen, denn sie trugen ihre Kämpfe aus um die Rangordnung zu bestimmen. Die zierliche weisse Rani zog immer den Kürzeren, während die dominante Sita alle beherrschte. Bei „Nacht und Nebel“, besser gesagt am Abend bei starkem Regen, hat Eldaphonse Sita abgeholt und wir sind sicher, dass seine beiden Mädchen Thanya und Jessy bestimmt gute Spielgefährten werden für Sita.
Als Abschluss noch ein Gedicht von Savitha, welches sie für das Jahresbuch der Schule selbst gedichtet hat. Das Thema wurde von der Lehrerin gegeben.
My Mother
I am not from her flesh,
but she is my real mother.
My mother is my best friend,
she is always there when I need her,
she is very sweet and nice
and she is also very wise.
She plays many games with me,
and takes day and night care of me.
I make her sad, I make her gloomy,
Anyway she loves me the way I am.
What ever we do, we do it together,
Where ever we go, we go together.
She is my true love – my real mother.
Ich platzte fast vor Mutterstolz! Mit diesen Zeilen verabschiede ich mich für diesen Monat. Ende November werde ich mich nochmals kurz melden und dann gehts ab in die Schweiz! Meine Winterferien auf der Lenzerheide bei meinen Eltern stehen vor der Türe!!!
Liebe Grüsse
Yvonne mit Mami, Savitha und Valsala