Oktober 2007
Wie gerne hätte ich an dieser Stelle geschrieben: „Hurra, ich habe endlich meine Visaverlängerung!“ Doch dem ist leider nicht so. In den ersten Oktobertagen habe ich mich nochmals für einen neuen Weg betreffend meiner Visa-Angelegenheit entschieden. Ich begann gleich mit der Organisation und erkundigte mich nach Flugverbindungen. Ein persönlicher Bekannter aus Delhi versuchte zeitgleich herauszufinden, auf welchem Beamtentisch mein Dossier vor sich hin modert, was gar nicht so einfach war, weil in der Zwischenzeit das zuständige Büro in ein anderes Quartier verlegt wurde. Und wieder begann ein Hürdenlauf - das ewige Spiel der Beamten... Sobald alles geklärt ist, wird entschieden, ob ich fliegen muss oder nicht. Ich hoffe natürlich, dass es ohne grosse Reise geht, aber wenn es sein muss, muss es sein und dann möglichst bald, da Ende November meine „Schwägerin“ zur Kur kommt, zwei Wochen später folgt mein Bruder Rolf und beide bleiben bis nach Weihnachten. Deshalb muss es jetzt vorwärts gehen. Wenigstens die Aufregung mit Delhi, weil ich danach eh nochmals einen Monat hier in Trivandrum aufwenden muss, um wieder von Amtsstelle zu Amtsstelle zu rennen. Doch da kenne ich mich aus, ich habe alle Kontakte und das ist dann nur noch eine Formsache. Noch ist alles offen, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf – es muss jetzt einfach klappen – und das noch im alten Jahr! Das wäre mein grösstes Geburtstags- und Weihnachtsgeschenk!
Am 13. Oktober gab es einen multikulti Abend mit den Gästen. Das Japanische Kulturcenter in Trivandrum – wusste gar nicht, dass es so etwas gibt – hatte ein „Japan Festival“ organisiert mit Ausstellungen und diversen kulturellen Veranstaltungen. Das tönte spannend! Die Ikebana-Vorführung wäre sicher interessant gewesen, aber leider sass das Publikum so weit weg vom Geschehen, dass man kaum mitbekam, wie die Japanerin im schönen Kimono eine Schale mit exotischen Gräsern, Blüten und Blumen dekorierte. Und die Puppenausstellung in der Halle war auch nicht gerade überwältigend. Dafür herrschte grosser Andrang bei den Schriftkünstlern, wo man den eigenen Namen in Japanisch auf handgeschöpftes Papier zeichnen, bezw. schreiben lassen konnte. Das sah wirklich sehr dekorativ aus. Wir hatten aber weder Zeit noch Lust, so lange anzustehen und was sollte ich damit?
Die zweite Station des Abends war für uns eine Art Kathakali-Vorstellung. Das kam dem Geschmack der Gäste schon näher, weil wir ja in Indien waren und so konnten wir ihnen etwas von unserer Kultur näherbringen. Eine Geschichte wurde nur anhand von „Mudras“ – Gesten und Mimik von Fingern und Gesichtsausdruck erzählt. Obwohl Dr. Gopika uns bereits den Inhalt der Geschichte erzählt hatte, war es schwierig, der Story zu folgen, da sich die erzählende Figur kaum bewegte. Der Mann im Frauenkostüm wurde nur von zwei Trommlern begleitet und einer Sängerin, die den Rhythmus gab mit einer Art Cinellen. War interessant, doch nach einer Stunde hatten wir genug und wir waren alle hungrig.
Um dem Abend nochmals eine andere internationale Note zu geben, luden Gopikas uns in ein chinesisches Restaurant ein, wo wir den Abend bei Reisnudeln und diversen Gemüseschälchen schön ausklingen liessen.
Zwei Abende später war ich schon wieder „im Ausgang“. Ich besuchte mit unserem Gast aus der Schweiz ein Jazz-Konzert in der Stadt. In all den Jahren habe ich noch nie einen Ton Jazz gehört in Trivandrum und so war ich natürlich mehr als gespannt, was die Alliance Francaise bieten würde. Und wir wurden nicht enttäuscht! Ein Jazz-Pianist und Bass-Gitarrist aus Martinique mit einem Schlagzeuger aus Guadeloupe bildeten die Jazz-Formation. Wow, da ging die Post ab! Die Ambiance vom Auditorium im traditionellen Kerala-Stil passte zwar nicht ganz dazu, aber das steckten wir rasch weg. Wir hätten den Abend extrem genossen, nur war leider die Musik dermassen extrem laut, dass es nicht zum Aushalten war. Christian meinte, ihm zerplatze das Trommelfell und ich bekam regelrecht Herzklopfen! Ich hatte wie immer meine Ohrstöpsel dabei, aber keine auf Reserve. Und so entschieden wir uns, leider vorzeitig die Veranstaltung zu verlassen, denn schliesslich war Christian zur Kur und ich war für seine Gesundheit verantwortlich. So haben wir uns in ein ruhiges Restaurant verzogen, wo ich eine „Paper-Dosha“ bestellte und gebracht wurde eine ein Meter lange gerollte Dosha auf zwei Tellern, wie ich sie noch nie gesehen habe! Hei, das war ein Gaudi!
Wie jedes Jahr, wurde auch dieses Jahr die „Bücherpooja“ gefeiert, wo die Schüler ihre Hefte und Bücher für 3 Tage vor das Deepam legen und für ein gutes Schuljahr beten. Das sind die einzigen Tage im Jahr, an denen die Kinder wirklich das Gefühl haben, nicht lernen zu müssen. An diesem Tag werden auch all die 3-jährigen Knirpse in die Welt der Buchstaben eingeweiht. Die Eltern gehen mit ihren Schützlingen in den Tempel und die Priester schreiben mit den kleinen Mädchen und Buben in eine mit Reis gefüllte flache Schale das Ohm-Zeichen. Von diesem Moment an dürfen die Kleinen danach das ABC lernen, lesen und schreiben. Diese Zeremonie finde ich besonders schön, weil es für die Kinder ein neuer Anfang auf dem Lebensweg bedeutet. Bis jetzt wurde nur gespielt, jetzt kommen sie ins Alter, wo sie für die Zukunft lernen. Und ohne den Segen der Götter läuft hier eben nichts. Was ursprünglich eine Hindu-Zeremonie war, wird heute auch bei den Christen und Muslimen gepflegt. Sie gehen in die Kirche, in die Moschee oder man lässt die Zeremonie auch von einer Privatperson machen. Dr. Gopika hatte an diesem Morgen auch eine kleine Zeremonie im Madom, wo er den Enkelsohn der Geethanjali-Köchin auf dem Schoss hatte. Sie sassen beide vor der Gebetsecke, die brennende Öllampe vor sich und rührten zusammen in der Reisschale.
Am Abend des gleichen Tages besuchten wir mit den Gästen den Dorftempel und alles war über und über mit brennenden Öllämpchen dekoriert. Es sah wunderschön aus. Dieser Aufwand gibts nur für sehr spezielle Feiertage und wir treffen es relativ selten dermassen aufwändig beleuchtet mit den Gästen. Für Doris und Christian hatte Dr. Gopika eine spezielle Pooja vorbereitet und für die folgenden 7 Tage wird der Priester im Namen der beiden beten. Da Dr. Gopika die Daten von Simone noch nicht hatte, die inzwischen ihre Kur angefangen hatte, wird sie sich noch etwas gedulden müssen. Aber auch für sie wird Dr. Gopika sicher etwas arrangieren und es gibt nochmals einen Gang in den Tempel. Auf dem Tempelareal hatten sich schon viele Leute versammelt und es wurde ein grosser Unterhaltungsabend erwartet. Viele Kinder, die schon während einem Jahr in Gesang und Tanz unterrichtet wurden, hatten heute ihren ersten offiziellen Auftritt. Auch das gehört sich so an diesem speziellen Tag.
Wir feierten Savithas 16. Geburtstag nicht im grossen Stil, dafür freute sie sich seit Wochen darauf, im „colour dress“ in die Schule zu gehen. Das ist der einzige Tag im ganzen Schuljahr, wo sie in ihren privaten Kleidern kommen dürfen. Deshalb wird schon Wochen, wenn nicht gar Monate zum Voraus bestimmt, was an diesem grossen Tag getragen wird. Ob traditionell im langen Rock mit Bluse und Schal, oder Jeans mit Top, das ist egal. Dazu gehört aber immer der passende Schmuck, Schuhe und es darf auch mal etwas Lipgloss sein. Die Haare dürfen für einmal sogar offen getragen werden, da sonst nur zwei Zöpfe mit roten Haarmaschen erlaubt sind. Das Geburtstagskind verteilt jeweils Bonbons im Schulbus, in der Schule und am Abend in der Tuition. Alle sollen etwas davon haben. Die Freundinnen, Klassenkameraden, Schülerinnen und Schüler, Lehrer, die Ayammas und sogar die Prinzipalin und wer sonst noch gerade auf dem Schulareal ist.
Wir freuten uns sehr darüber, dass sich Valsala zu Savithas Geburtstag meldete. Sie scheint glücklich zu sein in ihrem kleinen Mietshäuschen an der Südspitze von Indien, obwohl sie die Woche über immer alleine zu Hause ist. Ihr Mann fährt am Montag morgen zur Arbeit – dort, wo er gerade eingesetzt wird und kehrt erst am Samstag abend zurück. Wie sie erzählt hat, hat sie einen netten Kontakt zur Eigentümerfamilie, die eine Tochter hat. Vielleicht werde ich sie einmal besuchen, wenn sich grad eine passende Gelegenheit ergibt. Es würde mich schon interessieren, wie es ihr wirklich geht und wie sie jetzt lebt. Sie haben noch immer keine Möbel, nur mein grosses Doppelbett aus Varkala hat sie von all den Möbeln bekommen, die ich der Familie geschenkt habe. Die anderen Sachen wurden anderweitig verteilt. Aber so müssen sie wenigstens nicht auf Reismatten am Boden schlafen – ist ja auch etwas!
An zwei Regentagen Ende Monat kam der Maler mit einem Gehilfen vorbei uns sie strichen die Wohnhalle und das Esszimmer neu. Damals beim Einzug wurde aus Kostengründen alles nur weiss grundiert und deshalb war in der Zwischenzeit alles schmuddelig geworden. Besonders um die Lichtschalter und die Ecken rum, weil sich die Inder immer irgendwo abstützen oder halten müssen und dann gibts dreckige Abdrücke. Ich habe mich deswegen immer total aufgeregt, aber es ist einfach nicht zu vermeiden. Zudem hatten wir eine zeitlang Katzen, die ein und aus gingen und die bei allen Fenstern ihre Pfotenabdrücke hinterliessen. Doch jetzt ist die Farbe abwaschbar und es sieht wieder toll aus. Die anderen Räume liess ich sein, weil die ja nicht gross zum Vorzeigen sind und bei mir oben ist alles noch schön weiss und sauber. Der Aufwand hat sich auf alle Fälle gelohnt, auch wenn ich das Haus offiziell nur noch 1 ½ Jahren gemietet habe. Sobald der Regen definitiv vorbei ist, werde ich die Dachterrasse noch ausbessern lassen und die beiden seitlichen Eingänge beim Tor draussen. Auch die sind vom Monsun ganz schwarz geworden. Ist aber nur eine kleine Sache.
Shashi ist eine absolute Perle und Savitha und ich mögen sie sehr. Die Kochkünste haben sich inzwischen um einiges verbessert und sie arbeitet so flexibel, dass sie immer hier ist, wenn ich auswärts bin oder am Abend später nach Hause komme. Entweder bringt der Fahrer sie danach noch heim oder sie übernachtet bei uns. So bin ich trotz ihren festen Arbeitszeiten relativ frei und wir finden immer eine Lösung, die für beide Seiten passt. Da ich Shashi für jeden Spezialeinsatz bezahle, muss ich kein schlechtes Gewissen haben und der finanzielle Zustupf gibt ihr einen Anreiz, das eine oder andere Mal länger zu bleiben oder bei uns zu übernachten. Und da sie in der Nähe wohnt, kommt ihre Familie trotzdem nicht zu kurz.
Sonst gibt es vom vergangenen Monat nichts mehr zu erzählen, obwohl ich ständig auf Achse war, ob alleine unterwegs, mit den Gästen, im Geethanjali oder wo auch immer. Im November wird auch wieder einiges los sein, da sich schon der eine oder andere Besuch aus der Schweiz angemeldet hat und ich freue mich auf all schönen Plauderstunden, ob bei mir zu Hause auf der Dachterrasse, im Geethanjali oder in einem der Hotels.
Bitte drückt mir für das Visum die Daumen, dass ich die Story zu einem guten Ende bringen kann, ohne dass ich nach Delhi fliegen muss...
Savitha und ich schicken euch liebe Grüsse aus dem sommerlich warmen Kerala ins novembergraue Europa.
Yvonne