Yvonne Muller

06 February 2008

Januar 2008

Von mir aus müssen nicht alle Monate im 2008 dermassen nervenaufreibend und hektisch werden, wie der vergangene Januar... Aber alles schön der Reihe nach:

Savitha und ich sind ruhig ins neue Jahr gerutscht, obwohl ich noch am Silvesterabend am Flughafen war, um einen neuen Gast zu empfangen. Doch bis Mitternacht waren wir längst im Bett und es hat sich vom 2007 aufs 2008 ja nicht wirklich was verändert.

Dafür durfte ich am Neujahrstag als „Patientin“ von Dr. Gopika das neue Jahr im Madom einläuten und bekam die erste Massage, was immer ein besonderes Privileg ist. Dr. Gopika war mit den Kindern schon um 03.30 Uhr in der Früh im Tempel um eine spezielle Pooja zu machen und ich lag um 07.00 Uhr auf dem Massagetisch und liess mich verwöhnen. Damit hoffen wir wieder auf ein erfolgreiches und gutes 2008 mit vielen heilenden Behandlungen für unsere auswärtigen und einheimischen Patienten.

Kaum war ich zu Hause, wurden Savitha und ich von einer Nachbarin darauf aufmerksam gemacht, dass das ganze Quartier unter der Jaulerei von Jimmy leidet. Ja, wir kannten das Problem. Unser Jimmy war nicht gerne alleine und wenn Shashi auf den Markt ging oder sonst niemand zu Hause war, konnte er stundenlang furchtbar jammern. Die Einheimischen glauben, dass jaulende Hunde den nahen Tod eines Verwandten spüren. Ich hatte davon gehört und da in zwei Nachbarhäusern alte Omas wohnen, deuteten die Leute das als schlechtes Omen. Und jetzt? Ich beriet mich mit Gopikas und wir entschieden uns, ein gutes Plätzchen für Jimmy zu suchen. Keine zwei Stunden später stand schon jemand am Tor und erkundigte sich nach unserem Hund. Als Savitha nach Hause kam, wusste sie bereits, dass Jimmy nicht mehr bei uns war. News verbreiten sich hier so schnell wie ein Buschfeuer! Doch wir waren glücklich, dass er von einer lieben Familie aufgenommen wurde, wo die Mutter mit dem kleinen Mädchen immer zu Hause ist und sie freuten sich über den Familienzuwachs.

Das war wieder mal ein typisches Beispiel, wo ich mich der hiesigen Kultur unterordnen musste. Wenn das Quartier es so will, dann muss ich mich anpassen. Nie mit dem Kopf durch die Wand und ein Problem selber lösen wollen, sondern mit Gopikas beraten und dann akzeptieren, was sie vorschlagen. Die kulturellen Unterschiede sind halt auch heute noch oft sehr gross und auch wenn ich mich akzeptiert fühle, bin ich trotzdem noch immer die Ausländerin. Nur so funktioniert das friedliche Zusammenleben.

Doch wir wollten unbedingt wieder einen neuen Hund und das noch bevor ich in die Schweiz fliege, denn unser „3-Mädel-Haus“ muss bewacht werden. Gopikas haben enge Beziehungen zum Chefarzt der Tierspitals in Trivandrum und eine Woche später kam bereits der Anruf, dass sie einen jährigen schwarzen Labrador-Rüden hätten, der einer Arztfamilie gehörte, welche in die USA auswanderte. Wir sahen uns den Hund an und er gefiel uns auf Anhieb. Er beschnupperte uns neugierig, hatte ein seidenes, glänzendes Fell und er war weitaus der schönste Hund in all den Zwingern. Der Zufall wollte es, dass auch er Jimmy hiess, obwohl das überhaupt kein typischer indischer Hundename ist. Da gab es nicht mehr viel zu diskutieren und wir konnten ihn gleich mitnehmen. Nachdem wir ihn mit ein paar Tricks unseren Tagesablauf beigebracht hatten und er sich an uns gewöhnt hatte, ist er wirklich ein lieber Kerl und wir mögen ihn alle sehr. Sogar Shashi. Er ist u lieb und freut sich, wenn Savitha und ich am Morgen in der Früh und am Abend mit ihm spielen. Tagsüber ist er meist in seinem Hundehaus, so wie er sich das bei der Familie davor auch gewöhnt war und sobald alle am Abend zu Hause sind, kann er raus und ist in der Nacht frei. Er gibt an, wenn sich was bewegt, ist sonst aber ruhig und er jault nicht mehr, wenn niemand zu Hause ist, sondern wartet geduldig bis wir wieder kommen und freut sich dann umso mehr.

Nevenaufreibend war der Monat vor allem wegen meinem Visum. Am 24. Dezember bekam ich ja die frohe Botschaft, dass mein Antrag für die Verlängerung bewilligt worden ist und am 2. Januar hiess es, dass das Dossier per internem Kurier Delhi verlassen habe. Endlich, ich konnte es kaum fassen! Doch damit begann das lange Bangen, bis es hier beim Home Department wieder auftauchte. Ganze zwei Wochen brauchten die Papiere, um die Hauptstadt Keralas zu erreichen. Es war kaum mehr zum Aushalten, denn die Tage flogen nur so vorbei und ich stand extrem unter Zeitdruck, da ich unbedingt am 1. Februar in die Schweiz fliegen wollte. So begann der Wettlauf gegen die Zeit, es war ein ständiges Auf und Ab und übers Wochenende vom 12./13. Januar hatte ich einen extremen Durchhänger, weil ich kaum mehr daran glaubte, dass ich es schaffen würde, den Stempel noch rechtzeitig zu bekommen.

Am 15. Januar erschien ich persönlich auf dem Home Department und – welche Freude! – am nächsten Tag kam der erlösende Anruf, dass das Dossier nun eingetroffen sei. Von da an war ich jeden Tag in der Stadt und rannte von Amt zu Amt und Ende Woche hatte ich tatsächlich die Kopie vom Abschlussrapport aus Delhi und den Rapport vom Home Department in der Hand. Ein gutes Gefühl! Damit hatte sich das „Visa-Blatt“ zum Guten gewendet und ich sah wieder einen Hoffnungsschimmer am Horizont. Von da ging es weiter zum Collectorate und auch da brauchte ich wieder Geduld, bis die Unterlagen unterschrieben und abgehakt waren vom zuständigen Boss, bis es zur letzen Amtsstelle, der Fremdenpolizei ging. Die Anspannung war kaum mehr zu ertragen und die Nerven wurden ganz arg strapaziert. Dieses ewige klappt es oder klappt es nicht... Und wenn ja, wann???

Nebst der ganzen Rennerei hatten wir wieder neue Gäste im Geethanjali, ich führte Interessierte Besucher durch die Anlage, dank der neuen Homepage (www.mgeethanjali.com) trafen viele Anfragen für Ayurvedakuren ein, private Besuche und Gegenbesuche waren angesagt und ich war zum Eröffnungskonzert der jährlichen Musikfestwoche „Swathi Sangeethotsavam“ im Kuthiramalika Palast mit Gopikas und den Gästen. Ich hätte gerne am nächsten Tag noch das Konzert vom Prinzen erlebt und wir wollten uns auf alle Fälle das Abschlusskonzert mit dem berühmten Dr. Balamuralikrishnan nicht entgehen lassen. Doch dann war jeden Tag so viel los, dass wir schlussendlich nur das erste Konzert mit Sanjay Subramanian geniessen konnten.

Dr. Gopika wurde am 8. Januar 50 Jahre alt, doch es war ein Tag wie jeder andere. Wenn überhaupt gefeiert wird, dann der Tag unter dessen Malayalam-Stern sie geboren wurden und der variiert von Jahr zu Jahr. Deshalb wissen viele Leute nicht, an welchem Tag sie genau geboren wurden, doch jeder kennt seinen Geburtsstern.

Ein spezieller Besuch erwartete mich am 21. Januar, als mein Cousin Ruedi mit seiner Frau und seine Schwester Käthi mich besuchten. Nebst meiner Familie waren noch nie Verwandte hier gewesen und so zeigte ich ihnen gerne mein kleines Reich und erzählte aus meinem exotischen Leben hier. Sie waren auf einer Kerala-Rundreise, hatten schon viel erlebt und waren grad auf dem Weg vom Hausboot in den Backwaters nach Kovalam. Somit lag der Abstecher zu mir am Weg und Shashi hat uns fein bekocht, während wir gemütlich auf der Dachterrasse sassen.

Am 23. Januar jährte sich der 2. Todestag von Hans und wir besuchten zu seinen Ehren mit Gopikas und den Gästen den Tempel in Varkala, wo wir eine spezielle Pooja für ihn machten.

Savitha war auch schon wieder mitten in den Vorbereitungen für die Jahresabschlussprüfungen und hatte viel zu tun. Doch im Januar musste auch noch ein grosses Massenturnprogramm einstudiert werden für das „36th Athletic Meet“ vom 24. Januar. Sie trainierten jeden Tag auf dem grossen Schulplatz – in der prallen Sonne im Staub, was ihr nicht immer gut bekam. Ich hatte mich so darauf gefreut, an diesem Anlass dabei zu sein, doch dann kam mir was dazwischen und ich musste leider passen.

In der letzten Januar-Woche ging es dann so hektisch zu und her, dass ein Highlight dem nächsten folgte und ich bibberte immer noch um mein Visum, musste alles für die Schweizerreise vorbereiten und packen. Es war Stress pur und die Nerven lagen oft blank.

Der grosse Reigen der Highlights begann mit einer Hochzeit in Varkala am Sonntag, 27. Januar. Der Eigentümer vom Preeth Resort in Varkala hat seine älteste Tochter vermählt. An die 2'000 geladene Gäste waren dabei, halb Varkala, viele Ehrengäste und die ganze Delegation von der Bräutigamseite aus Chennai. Die beiden Jungvermählten arbeiten beide in einer Bank in Chennai und haben sich bestimmt dort kennen gelernt. Da der Background der beiden Familien wohl ähnlich ist, hat man aus der Liebeshochzeit eine „arranged marriage“ organisiert. Auch eine Möglichkeit. Für mich war es wieder mal eine Gelegenheit gewesen, Freundinnen aus Varkala zu treffen, die ich sonst kaum mehr sehe und so standen wir nach den Feierlichkeiten noch lange zusammen, um die letzten News auszutauschen.

Am nächsten Tag um 06.00 Uhr in der Früh begann die Pooja für den neuen Medical Shop im Geethanjali und um 10.30 Uhr war die offizielle Einweihung angesetzt. Der neue Laden ist ein richtiges Bijoux – ein Häuschen im Keralastil, welches wunderbar zum Haupthaus passt mit vielen traditionellen Details. Der Medical Shop war bis anhin beim nahe gelegenen Elternhaus von Dr. Gopika untergebracht. Der Architekt, der auch das Gästehaus realisierte, beehrte uns mit seiner Anwesenheit und der ehemalige Senior Journalist vom „The Hindu“, Sreevarahom-Sir, durfte nicht fehlen. Als Ehrendame überreichte ich die Mementos und konnte deswegen am Morgen nicht unseren neuen Gast vom Flughafen abholen. Da Regula pünktlich landete, konnten wir ihr bereits am ersten Tag ein besonderes Erlebnis bieten. Wir wollten die Apotheke bereits im Dezember einweihen, doch der Astrologe meinte, wir müssen uns bis nach dem 2. Todestag von Hans gedulden. Wenn der Astrologe Datum und Zeit festlegt, wird daran nichts mehr gerüttelt...

Zwischen all der Hektik der vorherigen Tage mit den vielen Aktivitäten und der Rennerei wegen dem Visum, musste ich ja auch noch die Reise in die Schweiz vorbereiten. Es wurde oft spät, bis ich ins Bett kam oder ich stand in aller Herrgottsfrühe auf und arbeitete, um alles unter einen Hut zu bekommen. Doch die Vorfreude auf die Reise war riesig und kaum auszuhalten. Ich hatte mir nämlich für dieses Jahr eine ganz besondere Überraschung ausgedacht: Ich wollte Mami zu ihrem 70. Geburtstag mit meinem Besuch überraschen! Die Sache war schon seit einem Jahr geplant und ich hatte Rolf und Karin eingeweiht. Doch wegen dem Visum war plötzlich nicht sicher, ob ich den Termin einhalten kann und so liess ich am Schluss die ganze Familie im Glauben, dass ich erst am 15. Februar fliege. Ich freue mich so auf den 4. Februar und bin gespannt, wie alle reagieren, wenn ich plötzlich zum Apéro im Sari auftauche... Nach dem Geburtstag fahre ich gleich nach Bern, um mein neues 5-Jahres-Visum zu beantragen, denn ich werde in meinem ganzen Leben nie, aber wirklich nie mehr eine Verlängerung in Delhi beantragen! Anschliessend geniesse ich den Winter auf der Lenzerheide und freue mich aufs Skifahren, Schlittschuhlaufen, auf herrliche Winterspaziergänge und da ist noch was, aber davon erzähle ich dann später, wenn ich wieder zurück bin...

Und noch ein weiterer wichtiger Tag lag uns am 29. Januar bevor: Wie jedes Jahr wurde das Madom (Behandlungsraum) neu geweiht. Und zwar vom Tantri persönlich, dem Oberpriester auch Trichur. Um 06.00 Uhr morgens begann bereits die erste Gebetszeremonie und nach den beiden kleinen Poojas nach dem Frühstück fuhr ich wieder einmal mehr zur Fremdenpolizei. Offensichtlich haben mir all die positiven Energien der Poojas gut getan und die Götter schienen mir gut gesinnt zu sein. Es wurde MEIN Tag! Ich gab den Pass ab und eine Viertelstunde später hatte ich meinen Eintrag, dass die Verlängerung von 2006 – 2008 von Delhi bewilligt wurde! Halleluja!!! Ich konnte mein Glück kaum fassen. Drei Tage vor Abflug wurde doch noch alles gut. Mit fielen sämtliche Bündner-Berge und das ganze Himalaya-Massiv von den Schultern! Endlich, endlich hat diese Odyssee ein Ende genommen und ich kann mich jetzt auf meine Ferien freuen... Ich fühlte mich richtig erlöst und konnte deshalb die letzte Abendpooja fürs Madom ganz speziell geniessen. Es war wie immer eine sehr feierliche und mystische Stimmung im Madom, während der Priester und seine Helfer ihre Mantras im Licht der Öllampen sangen und die Göttin Devi verehrten.

Die letzten zwei Tage habe ich noch fleissig gepackt und alles organisiert, so dass auch während meiner Abwesenheit im Geethanjali und zu Hause alles reibungslos läuft. Savitha und Shashi freuen sich auf die gemeinsamen Wochen und Jimmy beschützt die beiden. Ein gutes Team, so dass ich mit gutem Gewissen fliegen kann. Ich freue mich und habe diese Auszeit nach den nervenzehrenden Wochen und Monaten wirklich verdient!

Liebe Grüsse von eurer überglücklichen

Yvonne mit Savitha