Yvonne Muller

31 July 2009

Juni / Juli 2009

Dieses Jahr konnte ich die Schweiz bereits im Winter erleben, ein herrliches Kontrastprogramm zu meinem Leben in den Tropen und nach fünf Jahren auch wieder einmal den Sommer – wunderschön! Bevor ich jedoch das Flugzeug besteigen konnte, war hier noch einiges los:

Der Monat begann gleich mit einem Fest für Renjini, der Nichte von unserer Angestellten Shashi. Eine Woche davor hatte ihre erste Menstruation eingesetzt und die wurde nun gebührend mit Verwandten und Mama (ich werde im ganzen Quartier „Mama“ genannt) gefeiert. Savitha schaute erst später nach der Schule vorbei. Da Renjini mit ihrem kleinen Bruder bei Shashi wohnt (ihre Eltern arbeiten in Kuwait), trafen sich alle in Shashis minimunzigem Häuschen. Es ist für die 7 Familienmitglieder (Shashi, Ehemann, Schwiegermutter, zwei Kinder, Nichte, Neffe) sehr eng, doch jetzt platzte alles aus den Nähten, da Shashis drei Schwestern noch mit ihren Kindern kamen. Ich wurde gleich unter den Ventilator auf einen Plastikstuhl gehöckt und war froh, dass gerade kein Stromausfall war. Renjini zog sich während meiner stündigen Anwesenheit an die 4x um, um alle ihre neuen Kleider vorzuführen. Es ging lustig und laut zu und her - so eine typische Frauenrunde. Ich bewunderte Fotos aus Kuwait und Ajitha, die bald heiratet, war schon ganz aufgeregt und lud mich bereits zur Hochzeit im August ein. Obwohl Shashi weiss, wie unkompliziert ich bin, würde ihre Gastfreundschaft nie zuslassen, dass ich mit allen gemeinsam esse und deshalb wurde ich als Ehrengast zuerst am kleinen Tischchen beim Eingang verköstigt. Erst als ich mich verabschiedet hatte, haben sie aus ihren Blechtellern gegessen - ob auf dem Boden in der Küche, dem engen Durchgang oder im kleinen Wohnraum, auf dem Bett, auf den Treppenstufen vor oder hinter dem Haus, nur nicht am Tisch – der ist nur für Mama.

Am 8. Juni begann für Savitha das neue Schuljahr in der 11. Klasse, welches auch „plus one“ genannt wird. Sie trägt jetzt als Uniform keinen Trägerrock mehr mit Bluse, Krawatte, Gurt, Kniesocken und Schuhen (darunter noch ihre Unterwäsche, Unterrock und Radlerhosen – und das bei der Hitze!), sondern ein Churydar mit einem dunkelroten knielangen Rock, weissen Pludderhosen und weissem Schal. Am Mittwoch kommt jeweils ein weiss/rot/schwarz karierter Rock mit weissen Hosen und weissem Schal zum Einsatz. Sieht richtig hübsch aus mit den langen, schwarzen Zöpfen und den weissen Maschen und entspricht auch mehr dem hiesigen Klima und der Kleidernorm. Die beiden kommenden Schuljahre werden sehr streng werden und sie hat noch mehr Schule und noch mehr Tuition (Nachhilfe) als bis anhin. Das heisst, von morgens 06.15 Uhr bis 07.30 Uhr Tuition, schnell nach Hause radeln, umziehen, frühstücken und alles für die Schule vorbereiten. Nach der Schule nochmals 1 ½ Stunden Tuition, so dass sie meist kaum vor 19.00 Uhr zu Hause ist. Und das jeden Tag – auch am Samstag und Sonntag, wobei sie am Sonntag gleich 2 x 2 ½ Stunden Tuition hat oder vor Prüfungen gar noch mehr. Und das alles neben den täglichen Hausaufgaben. Meine Güte – ich hoffe, sie schafft das Pensum und klappt mir nicht zusammen! Doch wir hoffen, dass alles gut geht und sie trotz allem auch Spass hat. Da bleibt neben der Schule wirklich für nichts anderes Zeit, aber sie kennen nichts anderes.

Der Monsun zeigte sich in den ersten Juni-Tagen von seiner schönsten Seite. Nachts hatten wir ausgiebige Regenfälle und tagsüber scheinte die Sonne vom wolkenlosen Himmel, es ging eine angenehm kühle Brise - traumhaft schön. Nach der Hitze vom April und Mai konnten wir endlich wieder aufatmen und genossen die angenehmen Temperaturen.

Kurz vor meinem Abflug traf ich mich mit Anna und Veronika zu einem Ladies-Lunch in Varkala, wo ich wieder einmal mit News aus meiner alten Heimat eingedeckt wurde, da ich sonst kaum mehr etwas davon mitbekomme. Noch am selben Nachmittag kam der erlösende Anruf von der Fremdenpolizei, ich könne meine Niederlassungsbewilligung abholen. Seit März war das wieder mal so eine „never ending story“ gewesen. Nebst dem Visum mein zweitwichtigstes Dokument und eigentlich handelt es sich nur um eine Formsache. Trotzdem musste ich es für die Ausreise unbedingt bei mir haben, da es auch schon vorgekommen ist, dass ich es zeigen oder gar abgeben musste. Doch die Sache zog sich dahin und mein Sachbearbeiter wollte einfach nicht vorwärts machen. Fünf Tage vor Abflug wurde er wegen privaten Problemen gefeuert. Sein Nachfolger nahm sich meinem Dossier an und mit etwas Druck gings dann plötzlich. Somit habe ich für ein Jahr Ruhe, bevor das „Gschtürm“ von vorne beginnt...

Endlich, mein langersehnter Reisetag – der 17. Juni! Dr. Gopika lässt es sich jeweils nicht nehmen, mich wie einen älteren Bruder an den Flughafen zu begleiten. Auf dem Flug nach Doha hatten wir dermassen Turbulenzen, wie ich sie noch nie erlebt hatte, so dass ich bald Angst hatte, dass mein Ferienglück schon zu Ende ist, bevor es angefangen hat. Die Mahlzeitenausgabe wurde eingestellt, alle mussten sich setzen und anschnallen und wir hofften auf ein baldiges Ende des Spuks. Wie lange alles gedauert hat, weiss ich nicht und ist schwer abzuschätzen, da einem die Minuten in solchen Momenten wie Stunden vorkommen. Doch als wir das Gewitter endlich hinter uns liessen, wars wieder ruhig und ich konnte den Flug geniessen. Die Flüge in den Golf sind ja immer proppenvoll, doch ich hatte eine 3-er Reihe für mich alleine, was ich noch nie erlebt habe. Wahrscheinlich eine Folge der Finanzkrise, da viele Gastarbeiter aus Kerala ihren Job „in the Gulf“ verloren haben. In Doha schlug ich mir 7 Stunden Wartezeit um die Ohren. War etwas lang, doch ich hatte mich darauf eingestellt und war mit einem Buch und Musik im Ohr gut gerüstet. Dazu noch die „Doha-Garderobe“, die aus einem zusätzlichen Rollkragenpulli besteht, einem Schal, dicken Socken und einer Faserpelzweste, weil der Flughafen dermassen gekühlt wird und je länger man warten muss, desto mehr friert man wegen Übermüdung und Bewegungsmangel. Trotzdem war es mir lieber so, als wenn ich mich für den Flug nach Genf entschieden hätte, wo mir nur 45 Minuten zum Umsteigen geblieben wären. Das wäre echt knapp geworden. Lieber die Nerven schonen und warten, dafür pünktlich und mit Gepäck in Zürich landen, wo meine Eltern und mein Bruder Rolf mich erwarteten.

Zuerst ging es gleich auf die Lenzerhede – meine Basis während meinen Aufenthalten in der Schweiz. Meine Eltern freuten sich riesig über das Wiedersehen und ich traf mich mit einer ehemaligen Kollegin aus Handelsschulzeiten, wo wir uns bei einem Lunch austauschten – war lustig zu erfahren, was in all den Jahren alles lief... Danach war ich für drei Wochen in Südfrankreich – in Ste. Marie la Mer, doch dieses Kapitel ist bereits abgeschlossen und ich mag nicht mehr darüber reden. Es hätte anders kommen sollen, doch ich bin froh um die Erfahrung (bitte nicht bei Mami nachfragen). So freute ich mich wieder auf die Schweiz, genoss die Tage bei Spaziergängen auf der Lenzerheide, habe mit meinen Eltern viel unternommen, ob Verwandtenbesuche, eine Fahrt an den malerischen Badesee nach Savognin oder nach Davos und wir vergnügten uns beim „Viva la Strada“ im verkehrsfreien Dorf, wo sich Einheimische und Gäste treffen, wo Strassenkünstler ihre Darbietungen zeigen und man sich an Ständen der verschiedenen Hotels verköstigen kann. Ein gelungener Abend! Ein verlängertes Wochenende verbrachte ich bei meiner Freundin in Sumiswald, war bei Ina und Rolf in Bern, traf mich dort mit Freundinnen und Marlies und Beatrix fuhren extra wegen mir von Stein am Rhein in die Hauptstadt, um mich doch noch zu sehen. Das war wirklich lieb gewesen. Auf der Heimfahrt besuchte ich meine Schwester Karin mit ihren Kindern Michelle und Lukas und wir verbrachten einen schönen Tag zusammen, bis meine Eltern mich abholten und es uns wieder in die Berge zog.

DAS Highlight war aber auf alle Fälle der Abstecher in die Bünder Berge auf eine abgelegene Alp bei Sedrun/Disentis. Gregor nimmt sich jeden Sommer eine Auszeit von vier Monaten, um eine Kuhherde auf der Alp zu übersömmern. Und so kraxelten wir vom Maiensäss auf 1500 Meter zur Alphütte hinauf, die auf 2000 Meter liegt, wo er nun bis Ende September mit seinem Hund Sämi zur Herde schauen wird. Da es sich um Jungtiere handelt, muss nicht gemolken werden, dafür wird immer wieder eine neue Weide eingezäunt, damit die 130 Tiere genug Futter bekommen. Eine anstrengende Arbeit. Ich war ganz schön stolz, dass ich so berggängig war und es freute mich, dass ich dank meinem täglichen Training (2-3 Stunden) zu Hause keinen Muskelkater bekam und mit Mamis alten Wanderschuhen war ich gut gerüstet für den steilen Aufstieg. Mulmiger war mir vor dem Abstieg, doch auch das ging wunderbar. Die unberührte Bergwelt da oben war einfach grandios, auch wenn das Leben sehr karg ist und wenn die Sonne nicht scheint, dafür alles im Nebel verschwindet, die ganze Pracht unter einer Schneedecke liegt oder es in Strömen giesst - ist das Alpleben sicher nur noch halb so lustig. Doch die Sonne schien, die Alpenrosen blühten noch immer, die saftigen Wiesen, der umwerfende Ausblick ins Tal hinunter – herrlich, das einmal erleben zu dürfen. Als Savitha später die Fotos sah, meinte sie, da möchte sie auch mal hin und das sei ja so malerisch wie im Buch „Heidi and the Geissapeter“...

Bis zum Abflug blieb nicht mehr viel Zeit und die Tage flogen nur so vorbei. Die letzten Einkäufe in Chur erledigen und schon packte ich wieder meinen Koffer mit Würsten, Käse, Schokolade und Geschenken für meine Lieben. Der Abschied fiel dieses Mal schwerer als auch schon, weil die Ferien anders geplant waren, doch ich freute mich wieder auf zu Hause und das ist und bleibt halt Kerala mit Savitha, Gopikas, dem Geethanjali und meinem ganzen exotischen Umfeld.

Wieder begleiteten mich die Eltern an den Flughafen und Rolf nahm sich sogar einen Tag frei – er ist halt einfach der beste Bruder, den man sich wünschen kann! An der „Bye Bye“-Bar wurden wir von Marlies und Bea überrascht, die beide bei der Swiss arbeiten. Bea kam gerade von einem Einsatz aus Nizza zurück und Marlies war für die Reserve aufgeboten worden. Und dann ging es los. Dank meinem super netten Sitznachbarn – einem 40-jährigen Lehrer aus Zürich – konnte ich meine Schlaftablette getrost vergessen, die ich sonst nach dem Essen einnehme, um den Flug etwas zu verkürzen. Wir unterhielten uns prächtig und er freute sich auf seine Ferien auf den Philippinen. In Doha gabs dieses Mal keine lange Warterei und am Gate hiess es, dass ich einen Platz in der Business Class bekomme! Hei, das war eine Überraschung und ist mir in all den Jahren noch nie passiert! Die Eco war bis auf den letzten Platz besetzt und da ich die einzige Weisse war im ganzen Flugzeug, kam ich in den Genuss vom upgrading. Oder vielleicht auch, weil ich jetzt Qatar-Member bin. Wie dem auch sei, der Antrag hatte sich so oder so gelohnt, da ich jetzt immer 30 Kilos an Gepäck mitschleppen darf.

Geetha erwartete mich morgens um 04.00 Uhr am Flughafen und daheim wurde ich innig, wenn auch noch etwas schlaftrunken von Savitha und Shashi begrüsst. Sie freuten sich sehr, dass Mama wieder zurück war, auch wenn sie die Wochen ohne mich gut zurecht gekommen sind. Und ich bin froh drum, dass es auch ohne mich geht und ich somit mehr oder weniger immer „frei“ bin. Nach zwei Stunden Schlaf ging ich gleich zu Gopikas hinüber und begrüsste Irene aus München.

Während meiner Abwesenheit wurden die Bauarbeiten für unsere neue Strasse mit grossem Pomp eingeweiht. Das hätte nicht sein müssen – lieber, wenn alles fertig ist, aber wir hoffen nun, dass die Malayalam Sterne gut stehen und die Arbeiten vorwärts gehen. Wir haben wirklich gelitten unter unserer Strasse – sie war bald die schlechteste in ganz Kerala! Mit zum Teil wadentiefen Schlaglöchern und bei Regen versank alles im Wasser, Schlamm und Dreck. Bis zu meinem Haus gehört die Strasse zur einen Gemeinde und danach zur anderen. Da keine der zuständigen Behörden die Kosten übernehmen wollte, wurde 10 Jahre lang nichts gemacht. Doch jetzt scheint es endlich vorwärts zu gehen und ich muss sagen, dass ich nicht mehr erwartet habe, dass ich die neue Strasse noch erleben werde, solange ich hier wohne. Aber offensichtlich passieren auch in Indien noch Wunder... Vielleicht ist die Monsunzeit nicht gerade ideal, denn als sie den ganzen Tag vor unserem Haus die Strasse mit dem Trax planierten, goss es in Strömen und wir wateten danach im Morast...

Obwohl ich mit blauem Himmel und Sonne satt begrüsst wurde in den ersten Tagen nach meiner Ankunft, gab es doch heftige Regenfälle davor und die damit verbundene Feuchtigkeit lassen alles leiden, was nicht immer benützt wird. So muss ich im Moment immer wieder die Tastatur „föhnen“, die Maus will auch nicht immer so wie ich will, auf meinen Ledertaschen hatte sich Schimmel angesetzt, die Sohlen lösten sich von meinen Schuhen und mein Kleiderschrank müffelte ziemlich. Halt die typischen Tücken der Tropen. Doch wir bekommen das alles wieder hin und der Alltag pendelt sich ein. Es ist einfach ein schönes Gefühl, wieder zu Hause zu sein!

Einen sonnigen und fröhlichen 1. August in die Schweiz!

Liebe Grüsse
Yvonne und Savitha