September 2009
Der neue Monat begann mit Onam, unserem grössten Fest des Jahres. Savitha fuhr gleich nach den Prüfungen in ihr Heimatdorf und verbrachte die Tage über das Erntedankfest bei ihrer Schwester und deren Familie. Sie spielte mit ihrer 3-jährigen Nichte Anusri und kümmerte sich liebevoll um den „baby-boy“, der Anuragh heisst, jedoch Srikutten genannt wird.
Die laute Musik über die Festtage in all den Quartieren ist jeweils eine Zumutung für die Kurgäste und deshalb legte ich die Buchungen so, dass wir das Geethanjali für 10 Tage schliessen konnten. Wir schickten das Personal nach Hause und Gopikas verreisen am liebsten, da sonst immer wieder ein Patient aus dem Dorf für eine Konsultation vorbeikommt oder nach einer Medizin verlangt. Auch ich wäre mit Musik aus dem Tempel gegenüber zugedröhnt worden und deshalb fuhren wir mit den Kindern nach Kovalam in ein Resort. Eigenartig, wie Inder Ferien machen: die ganze Familie verbrachte den lieben langen Tag schwatzend, dösend, schlafend oder TV-schauend im Zimmer (nicht mal auf dem Balkon!), 3x im Tag dislozierten wir ins Restaurant und abends zwischen 17.00 – 18.30 Uhr gings zum Sunset an die Beach. Die Kinder plantschten im seichten Wasser, Vater schlurfte hin und her und Geetha blieb lieber abseits, wo ich ihr Gesellschaft leistete. Nach einer Krise am ersten Abend, organisierte ich mich neu und genoss die Tage auf meine Weise. Ich las viel auf meiner herrlichen Terrasse, hörte Musik, marschierte alleine los und legte mich an den Pool – doch zum Schwimmen nicht ideal. Im einen Pool (nur schenkeltief) war das Wasser ziemlich trüb und der grosse Pool wurde erst nach zwei Tagen gefüllt. Auch da war das Wasser kaum schulterhoch und wurde gleich von allen Papis mit ihren Kindern belagert. Alle in Kleidern, da sie meist keine Badesachen haben und nicht schwimmen können. Die Frauen rotteten sich jeweils im Schatten zum Schnattern zusammen. Es handelte sich um ein typisches indisches Resort, wo alles ziemlich schlecht unterhalten war - deshalb schmuddelig, es roch modrig und müffelte. Aber ich kenne das ja und bin nicht so heikel! Trotzdem war es schön, die Familie genoss die Tage und wir waren alle glücklich.
Bevor Savithas Schule begann, holten Shashi und ich sie bei Saritha ab, wo es noch das allerletzte Onam-Festessen gab. Ehrlich, ich habe für eine Weile genug „Sadhya“ vom Bananenblatt gegessen! Vorgesehen war noch ein Besuch bei Savithas Mutter, doch es hatte wieder mal Knatsch gegeben mit ihr. Savitha kann es kaum mehr erwarten, bis sie am 24. Oktober endlich 18 wird und somit volljährig. Trotzdem – wenn es hart auf hart kommen sollte - gilt hier das Wort einer Mutter mehr als dasjenige ihrer volljährigen Tochter. Und mich wird eh niemand fragen. Doch wir hoffen, dass sich die Lage wieder beruhigt und Amma uns in Ruhe lässt.
Nach der Hochzeit im letzten Monat von Shashis Nichte, heiratete gleich nach Onam eine andere Nichte von ihr. Ashwathy stammt aus einer sehr, sehr armen Familie. Trotzdem haben die Eltern versucht, ihrem einzigen Kind eine gute Schulbildung zu ermöglichen. Doch Ashwathy zeigte kein Interesse und wäre etliche Male von der Schule geflogen, wenn die Eltern nicht immer wieder die Schulleitung mit „donations“ geködert hätten, damit sie bleiben konnte. Irgendwie hat sie die Schule beendet, doch danach wollten die Eltern sie endlich „los werden“. Da es an allen Ecken und Enden am Geld fehlte, musste sie sich halt mit einem Mann zweiter Wahl begnügen und sie wurde mit Shiju verkuppelt. Er ist ein intelligenter Mann, ist jedoch wegen seiner Blindheit handicapiert und auf eine Frau angewiesen. Deshalb wurde keine Mitgift verlangt und man erhoffte sich einfach eine gute Frau, die ihn umsorgt. Ob Aswathy dafür die richtige sein wird, sei mal dahingestellt, aber ich hoffe für die beiden, dass sie sich finden werden. Die einfache Hochzeit fand auf einem Tempelareal statt, wo nur wenige Leute eingeladen waren. Die beiden passten optisch absolut nicht zusammen, wobei das hier ganz wichtig ist. Er ist super lang – sicher 1.90 m – und dazu noch mager wie ein Strohhalm, sieht aber gut aus – so gar nicht der typische Keralit. Sie reichte ihm nicht mal bis zur Schulter – ein wirklich ungewohnt ungleiches Paar für hiesige Verhältnisse.
Inzwischen war Natalia, eine 24-jährige Studentin aus Polen, bei uns zur Kur und ich war deshalb öfters im Geethanjali drüben. Ich begleitete sie auf einen Strandspaziergang, da sie sich in den ersten Tagen nicht alleine aus dem Haus wagte und wir fuhren nach Varkala, wo wir eine Unterkunft für sie suchten, weil sie nach der Kur noch zwei Wochen Ferien machen wollte. An einem Abend gings mit Gopikas zum Mudra-Festival, wo wir eine ganz spezielle Kunstform sahen, die kaum mehr gezeigt wird. Sie fühlte sich wohl im Geethanjali und genoss ihre Kur, obwohl sie nicht wirklich krank war. Sie liess sich voll ein, mochte die Yogalektionen und führte viele tiefgründige Gespräche mit Dr. Gopika, der sich darüber freute, dass sie so viel Interesse an der Hindukultur zeigte.
Am Abend des 18. September bebte die Erde leicht, was die meisten Leute noch gar nie erlebt haben, weil wir nicht in einem gefährdeten Gebiet leben. Shashi rief in grosser Aufregung an und ich musste danach Savitha beruhigen und bot ihr an, sie dürfe bei mir im Bett schlafen, obwohl es zu zweit wirklich eng wird. Sie meinte jedoch ganz pragmatisch, dass sie einfach bis 22.00 Uhr auf bleibe. Danach werde es eh nicht mehr beben und sie könne beruhigt unten in ihrem Zimmer schlafen. Schön, wenn sich Erdbeben nach unseren Schlafenszeiten richten... Obwohl noch Nachbeben angekündigt wurden, blieb es ruhig und die Aufregung war schnell vergessen.
Gegen Ende des Monats kam endlich der Guruji aus Mumbai um den neuen Massagetisch einzuweihen. Er war schon zweimal im Geethanjali zur Kur und hatte vor einem Jahr eine Massageliege gesponsert, was eine riesige Aktion auslöste. Gopikas mussten das passende „medicated wood“ finden, wobei der Neembaum so alt sein musste, dass die Breite vom Tisch in einem Stück gefertigt werden konnte. Danach suchten sie Schreiner, die das Holz nach ihren Vorgaben verarbeiten konnten und sie fuhren sicher 4x nach Nordkerala, um die Arbeitsgänge zu überprüfen und den Tisch abzunehmen, bevor er im Öl gebadet wurde. Seit bald einem Jahr steht der Tisch nun einsatzbereit im Madom, doch Dr. Gopika wollte warten, bis der Guruji ihn einweiht, bevor wir ihn benützen. Die lange Warterei hatte sich jedoch gelohnt und es gab eine einzigartige Zeremonie. Der Massagetisch war wunderschön mit Blumenblüten und Girlanden geschmückt, der Guruji zündete die Öllampe an, sang Mantras und segnete die Liege in Anwesenheit der Familie, ein paar wenigen Verwandten, ganz engen Freunden, Natalia und mir. Der Guruji bestand darauf, dass wir im Anschluss noch zur Verbrennungsstätte von Hans hinüber gingen, obwohl es natürlich schon stockfinster war und zudem hatten wir grad keinen Strom. Doch wir behalfen uns mit Taschenlampen und Kerzen. Der Guruji legte Blumen nieder, zündete eine Kerze an, betete und wir spürten, dass Hans unter uns war. Dieser stimmungsvolle Abend ging mal wieder so richtig unter die Haut.
Am Ende des Ramadans, an Id-ul-Fitr, durfte ich den Massagetisch mit der ersten Massage einweihen. Welche Ehre! Das Holz fühlt sich seidenweich an – gute Arbeit! Die Liege hat jetzt auch für uns Europäer die richtige Länge und die Breite stimmt auch. Im Moment werden beide Tische benützt und später kommt der alte Massagetisch in den Neubau, den wir im nächsten Jahr hinter dem Gästehaus planen und der neue bleibt im Madom.
Inzwischen war ich schon ganz aufgeregt vor lauter Reisefieber, hatte bereits meinen Koffer gepackt und konnte meine Reise nach Bangkok kaum mehr erwarten! Meine Freundin Marlies lud mich für eine Woche nach Thailand ein. Wir waren zusammen auf den Malediven, im letzten Jahr in Muscat und dieses Jahr sollte es der Ferne Osten sein, wo ich noch nie war. Ich war dermassen neugierig und gespannt und flog von Trivandrum über Singapore nach Bangkok, wo Marlies mich am Flughafen erwartete. Einquartiert waren wir in einem neuen Hotel, mitten im „Chrut“, jedoch in einer ruhigen Sackgasse. Ich hatte noch nicht mal richtig ausgepackt, ging es schon mit vollem Programm los. Marlies kennt die Metropole sehr gut und so musste ich mich um nichts kümmern. Herrlich, mal nicht selber alles organisieren zu müssen und einfach nur geniessen. Es erwartete mich eine völlig andere Welt – mal traditionell, meistens aber ultramodern. Modemässig sind wir mit unseren Churydars absolut hinter dem Mond! Hier waren die Röcke kurz, kürzer, am kürzesten, dafür die Schuhe hoch, höher am höchsten und die Frauen sind wirklich wunderschön und alle sehr zierlich! Doch die perfektesten waren die umgebauten Männer! Zudem sind die Thais sehr ruhig, da gibt es kein drängen, kein stossen und kein lärmen! Sie sind sehr zurückhaltend, unterhalten sich leise, kein lautes Wort - völlig gegensätzlich zu den gestikulierenden, lauten und neugierigen Indern. Sie sprechen aber auch kaum Englisch und anfangs habe ich wirklich nur „Bahnhof“ verstanden, da sie weder ein „R“ noch ein „S“ aussprechen können, doch mit der Zeit gewöhnte ich mich an den „flied lice“... Auf der Shopping-Tour durch die neusten Glaspaläste oder auf dem grossen Lupini-Market war ich zuerst völlig erschlagen vom riesigen Angebot. Das war ja unglaublich! Jeden Tag gab es Beauty in irgendeiner Form - von der traditionellen Thai-Massage bis zum Abend-Make-up von „Lady-Men“ (absolut schräge Typen) haben wir alles ausprobiert. An zwei Tagen begleiteten uns Jeannette und Sandra von der Swiss Crew und so hatten wir zu viert viel Spass zusammen.
Am Sonntag fuhren wir für einen Tagesausflug nach Pattaya. Ist wirklich kein Urlaubsziel für Frauen oder Paare, wo es nur so von Männern aus der ganzen Welt wimmelt mit ebensovielen Thai-Girls. Marlies und ich fühlten uns ziemlich exotisch und die Männerwelt war echt nicht an uns interessiert, was uns jedoch nicht weiter störte. Im ehemaligen Fischerdorf gibts Wolkenkratzer, alles ist überbaut und der schmale Strand bietet nur Platz für drei Liegestuhlreihen im Schatten. Dahinter knattert der Verkehr der Beachroad entlang. Doch es gab viel zu sehen und wir amüsierten uns herrlich bei Nudelsuppe, frisch gebackenen Shrimps, Kokoswasser und zur Entspannung liess ich mir die Füsse massieren.
Den 50. Geburtstag von Marlies feierten wir im „Hilton Millenium“ bei einem sagenhaften Buffet auf der Terrasse direkt am Fluss, wo es von Austern, Sushi bis zum riesigen Dessert- und Käsebuffet (in einem separaten Raum wegen der Temperatur!) alles gab und keine Wünsche offen blieben. Zum Schlummertrunk gings mit dem Schiff über den Fluss und in den 64. Stock vom State Tower mit einer grandiosen Aussicht über die ganze Stadt. Kulinarisch kommt hier jeder auf seine Kosten und die Thaiküche ist herrlich leicht und scharf! Ob beim Papayasalat in einem netten Restaurant an der Strasse oder bei Basilikum-Reis mit Chicken von einer Garküche am Strassenrand und dazwischen fühlten wir uns wie „British Ladies“ beim Afternoon-Tea im „Four Seasons“, was wiederum absolut gediegen war.
Wir besichtigten den fantastischen Königspalast und den Erawan-Shrine, wo ich Tempel-Tänzerinnen fotografierte. Unterwegs waren wir viel zu Fuss, aber auch mit dem Skytrain, der Metro, im Sammeltaxi oder mal mit den lustigen Tuk-Tuk, die anders sind als unsere Rikschas. Nicht mal eine Flussfahrt auf dem Chao Phraya fehlte. Die Woche war ausgefüllt und wir haben die Tage sehr intensiv genossen! Es war einfach herrlich und mit Marlies lässt es sich wunderbar reisen!
Zu Hause freuten sich Savitha, Shashi und Gopikas auf mich und auch für mich stimmt es wieder in meiner kleinen und überschaubaren Welt im indischen Alltag. Aber so soll es ja auch sein! Und jetzt sind wir gespannt, was der Oktober für Überraschungen bereit hält...
Seid alle lieb gegrüsst
Yvonne und Savitha