Yvonne Muller

30 September 2006

September 2006

Endlich nahte Onam, das Erntedankfest! Wie hatten wir uns alle darauf gefreut – ich glaube noch nie so fest wie in diesem Jahr! Doch dann kam alles etwas anders...

Nach den grossen Prüfungen freuten sich alle Schüler auf die wohlverdienten Ferien. Am Samstag, 2. September, lud ich einige Kinder aus der Nachbarschaft ein und organisierte eine kleine Kinderparty. Savitha spielte mit den grösseren und ich kümmerte mich um die kleinen Knöpfe und spielte mit ihnen „Memory“ und „Leiterlispiel“. Alle freuten sich und das Haus war erfüllt mit Kinderlachen. Es ging laut und fröhlich zu und her und Valsala verwöhnte uns mit Fruchtsäften und Snacks. Die Zeit verging im Nu und alle genossen den Nachmittag bei „Mama“ so sehr, dass sie am nächsten Tag gleich wieder kommen wollten...

Am gleichen Abend beobachteten wir unsere hochschwangere Bina und wir waren sicher, dass sie nun bald gebären wird. 62 Tage dauert eine Schwangerschaft bei Hunden und heute war der Termin. Am nächsten Morgen, es war Sonntag, fuhren Savitha und ich schon früh ins Geethanjali. Bina wartete offensichtlich, bis Ruhe einkehrte und gab dann nicht locker, bis Valsala sich mit der Sonntagszeitung zu ihr ins Hundehaus setzte. Kaum war alles so, wie sie es sich vorstelle, als es auch schon los ging. Im Abstand von 10 Minuten flutschte eines nach dem anderen heraus. Das erste Baby war schwarz, dann ein weisses, ein braunes und eines in einem undefinierbaren braun/schwarz/grau/weiss. Bina schleckte die 4 Welpen sauber und die begannen sofort Milch zu saugen. Valsala kam dadurch sogar zu spät in die Kirche und bis Savitha und ich am Mittag zurück waren, lag Bina bereis als stolze Mutter mitten in ihrer Kinderschar. Sie war noch sehr müde, erholte sich aber rasch und freute sich über ihren Nachwuchs. Die Jungen gedeihen prächtig. Bis Mitte Oktober behalten wir sie noch, danach wird entschieden, wohin jedes kommt. Wir haben bereits eine lange Warteliste und wir können leider nicht alle berücksichtigen. Aber wir werden für jedes ein gutes Plätzchen finden.

Nach der grossen Aufregung wegen Bina, war ich am Abend mit Corina unterwegs. Wir wollten uns die offizielle Eröffnungsfeier der Onam-Festtage nicht entgehen lassen und obwohl wir keine Tickets hatten, winkten uns die netten Polizisten durch und wir fanden gute Plätze auf der VIP Tribüne im grossen Stadion mitten in Trivandrum. Der Abend war fantastisch und trotz der etwas handgestrickten Choreografie war das Gesamtbild wirklich gelungen. Alles, was Kerala kulturell zu bieten hat, wurde gezeigt. Von Kathakali-Figuren über den typischen Frauentanz an Onam, den „Thiruvadira“, andere bedeutende Tanzformen, alles, was bei Tempelumzügen zu sehen ist bis zu Kalari-Payattu-Kämpfer und sogar ein kleines „Pooram“ mit 21 geschmückten Elefanten. Und zum Abschluss ein grandioses Feuerwerk. Das war eine schöne Einstimmung gewesen für die kommenden 5 Onam-Tage. Als wir uns nach der Feier die Elefanten aus der Nähe ansehen wollten, stand plötzlich ein Kameramann mit einem Moderator eines TV-Senders neben mir und man hielt mir das Mikrofon vor die Nase. Da weit und breit kein Hans war, den ich hätte vorschieben können, musste ich halt Red und Antwort stehen.

Der 1. Onamtag war für mich kein Feiertag. Nach mühsamen und zermürbenden zwei Wochen ohne PC, hatte sich so viel angesammelt, dass ich den ganzen Tag vor dem Bildschirm verbrachte. Im späteren Nachmittag wurde ich gezwungen, die Kiste abzustellen, denn ich hatte plötzlich Fieber. Kein Problem – schnell eine Pille, früh ins Bett und bis morgen ist alles wieder okay. Ich will ja schliesslich nicht krank werden! Doch am nächsten Tag ging es mir wirklich schlecht. Dabei war heute „Thiruvonam“, der höchste Onam-Feiertag! Und ich lag im Bett. Mit Ach und Krach schleppte ich mich am Mittag zu Gopikas, da wir bei ihnen zum traditionellen Onam-Festessen, dem „Sadhya“ eingeladen waren. Aber ich konnte die feinen Sachen auf dem Bananenblatt kaum geniessen und hatte sicherheitshalber auch gleich meine Reisetasche mitgenommen, falls mich Dr. Gopika behalten wollte. Und er wollte! Ab ins Bett im Gästehaus! Ich glühte, fror gleichzeitig, hatte Durchfall, Kopfschmerzen und fühlte mich völlig kraftlos und elend. Ein doofer Viruskäfer hatte mich in Beschlag genommen. Mit bitterer Medizin machten wir ihm den garaus und nach 4 Tagen war das Fieber weg und alle anderen Symptome auch. Ich wurde verwöhnt, schlief viel und langsam wurde ich wieder aufgepäppelt. Praktisch, wenn man einen Arzt in der „Familie“ hat. Bis am 8. September war mehr oder weniger alles überstanden. Ich fühlte mich wieder gut, wenn auch noch etwas schwach.

Deshalb ging Onam völlig an mir vorbei. Dabei hatten wir so viele Einladungen von Nachbarn bekommen, die ich gerne eingehalten hätte. Die ganze Woche war verplant gewesen und ich wollte in diesem Jahr so richtig traditionell feiern! Aber ich habe mich ergeben, war eine brave Patientin und während ich mich schonte, genossen wenigstens Valsala und Savitha die Festtage. Sie waren immer beim Tempel drüben, wo jeden Tag Spiele veranstaltet wurden und bis spät abends wurden die Leute unterhalten. Savitha gewann mit den verheirateten Frauen beim Seilziehen gegen die unverheiratete Gruppe, wo Valsala dabei war, dafür flog sie beim „music chair“ bereits in der ersten Runde aus dem Rennen. Beim Sackhüpfen hingegen war sie wieder vorne dabei und beide zeigten mir jeweils stolz ihre gewonnen Preise. Doch am letzten Abend wollte auch ich dabei sein, als Savitha mit ihren beiden Freundinnen, Susmi und Jasmi, ihren Disco-Dance auf der Tempelbühne vorführten. Sie hatten in den Tagen davor intensiv geübt und für den grossen Auftritt zwängten sie sich in enge Jeans, dazu trugen sie bunte Tops und mit dem bühnenmässigen Make-up sahen sie gleich 10 Jahre älter aus. Ich hatte Corina und Sibyl dabei vom Geethanjali und vor dem Auftritt waren wir noch im Tempel, bestaunten das wunderschöne „Attam“ (traditionelles Blumenarrangement zu Onam) und erlebten sogar, wie der Priester die Pongala-Götterspeisen segnete, welche die Frauen aus der Nachbarschaft vor dem Tempel gekocht hatten. Die Tanzvorführung war den drei Mädchen wirklich gelungen und wir klatschten im Rhythmus der Melodie (ist gerade DER Hit unter den Malayalam-Filmen), fotografierten und applaudierten. Mit dem Tanz ging auch Onam zu Ende und mir ging es langsam wieder besser. Während all den Tagen und Nächten wurden wir voll zugedröhnt mit Musik und so waren wir alle froh, als es wieder ruhiger wurde und sich der Alltag einpendelte.

Kaum war ich wieder einigermassen auf den Beinen, war die Agenda schon wieder voll mit Terminen. Ich besuchte die jährliche Generalversammlung der Aktionäre vom KIMS-Hospital mit anschliessendem Dinner und wir holten die verpassten Onam-Einladungen und Gegeneinladungen nach. Einmal waren wir zum Lunch beim Hauseigentümer eingeladen, wo ich zum Abschied ein Geschenk bekam. Ich dachte, es sei ein verspäteter Onam-Sari und freute mich sehr darüber. Doch dann wars ein „güldener“ Plastik-4-Mast-Segler mit einem pinkigen Plastiklampenschirm und im Bug war eine Uhr eingelassen. Oje, muss ich jetzt das „gute Stück“ wirklich aufstellen – nur damit alle glücklich sind??? Ich entschied mich dagegen. Da hatte ich in Varkala dermassen rigoros aufgeräumt und ich will jetzt einfach nicht mehr so viel Kitsch und Schnickschnack aufstellen. Deshalb verschenke ich den chinesischen Plastikkram grosszügig, damit er andere Wohnzimmer dekoriert.

Da ich über die Festtage ans Bett gefesselt war, war ich doppelt froh, dass ich alles für die Foundation schon vor Onam in die Wege geleitet hatte. Ich wollte zwar die eine oder andere Familie gerne persönlich besuchen und die Sachen überbringen, aber ich war dann froh, dass Gopikas alles verteilt haben und in Varkala hat Valsala zwei Familien in meinem Namen besucht. Sie freuten sich über die Kleider, Lebensmittel wie Öl, Reis, Linsen, Zucker und auch Brennholz haben wir in Bündeln verschenkt. So sind doch alle zu ihren Onam-Geschenken gekommen und es herrschte grosse Freude bei den Familien. Herzlichen Dank an alle, die sich daran beteiligt haben!!!

Ein sehr spezielles Erlebnis war der Besuch mit Gopikas beim Astrologen. Sie kennen einen alten Mann aus einer Astrologen-Kaste, wie sie kaum mehr existieren und ziehen ihn zu Rate bei persönlichen Problemen. Sein Konsultationszimmerchen war so klein, dass die 4 Besucherstühle nebst dem kleinen Tisch, seinem Stuhl und dem Büchergestell kaum Platz hatten. Die Stahltablare bogen sich unter der Last der zerfledderten und vergilbten Büchern ohne Einbände und der Rost bröckelte überall ab. Ohne grosse Begrüssung nahm er kommentarlos sein Säcklein mit den vielen kleinen Muscheln, leerte alles aufs Pult und stellte eine kleine Gottheit aus Messing vor sich hin, verneigte sich und murmelte ein Mantra. 6 grössere Muscheln legte er in einer Reihe vor sich hin, darunter eine Reihe mit 9 kleinen Muscheln, 3 braune Muscheln wurden zur Seite gelegt und die übrigen (sicher an die 50) verschwanden unter seiner rechten Hand. Während er wieder Mantras murmelte, mischte er die Muscheln unter der Hand untereinander. Am Schluss teilte er den Haufen und mit etwa 20 „arbeitete“ er. Das tönt jetzt nach Hokuspokus, aber Astrologie ist eine fundierte Wissenschaft und er hatte schon davor aufgrund meiner Geburtsdaten (Zeit und Ort), die Planetenkonstellation ausgerechnet, unter welchem Einfluss welches Haus steht und den Raster aufgezeichnet. Ich kenne mich da zu wenig aus, um das zu beschreiben. Was er aus den Muscheln „sieht“, sollte sich mit den berechneten Voraussagen decken und dienen zum Teil zur Interpretation. Danach erzählte er mir, was ich unter meinem Malayalam-Stern in der Zukunft zu erwarten habe und ich durfte auch Fragen stellen. Es war sehr interessant, auch wenn er nicht alles so sah, wie ich es mir wünsche. Ich sehe es als möglichen Weg, werde aber meinen eigenen Weg einschlagen. Zudem ist es ein indisches Horoskop und das deckt sich nicht immer mit unserem westlichen Denken. Auch für Savitha liessen wir die Muscheln „sprechen“.

Kulturell wurde auch nach Onam einiges geboten und ich besuchte mit Sibyl eine sehr schöne Puppetshow in Trivandrum. Während der Himmel wieder einmal mehr die Schleusen öffnete, genossen wir im Auditorium eine wunderschöne poetische Geschichte, die erzählt wurde. Dazu wurden verschiedene Techniken eingesetzt – Schattenpuppen, Tänzer mit Masken und richtig grosse Puppen, die mit Stäben bewegt wurden. Der Aufwand dafür war riesig, die Bühnendekoration wechselte immer wieder und die Choreografie und die Musik waren absolut genial und passend zu jeder Szene.

Übrigens hatte uns der Regen völlig ungewohnt auch noch im September voll im Griff. Über Onam zum Teil, danach und wegen einem Tief im Bay of Bengal auch noch Ende Monat. Es goss und goss und goss und immer wieder waren ganze Viertel in Trivandrum unter Wasser, die Strasse zu uns und ins Geethanjali gleichen jeweils einem riesigen See und für Savitha wars oft abenteuerlich, mit dem Fahrrad zum Nachhilfeunterricht zu fahren.

Ich war wieder als Shopping- und Tour-Guide unterwegs und begleitete die Gäste in die Stadt oder nach Varkala, wo ich ihnen meine alte Heimat zeigte. Wir spazierten den Klippen entlang, waren an der Beach und im Dorf. Es ist immer wieder schön, für einen Abstecher nach Varkala zu fahren. Daneben war ich auch mit Sibyl in Neyar-Dam, dem „Hausberg“ von Trivandrum, wo wir eine Führung durch den Sivananda-Ashram bekamen, wir genossen die Stille am Stausee und ein kleiner Spaziergang über den Damm durfte auch nicht fehlen. Hier oben ist es herrlich ruhig, dazu die üppige Natur, frische Luft und von der Stadt aus benötigt man kaum mehr als eine halbe Stunde, um das Erholungsgebiet zu erreichen.

Nebst all dem Trubel im September, war aber sicher der 20. September DAS Highlight des Monats. Dr. Gopika, Geetha und ich wurden in den Amma-Ashram bei Quilon zu einer „Dharshan“ (Audienz) eingeladen. Wir besichtigten den Ashram bereits im Juli und bis zu ihrem Geburtstag am 27. September weilte Amma an ihrem Geburtsort und erteilte jeden Tag ihren Segen, indem sie die Leute umarmte. Man spricht ihr heilende Kräfte zu, die sie bereits als Kind hatte und sie tut sehr viel Gutes für die Armen. Sie baute Schulen, Spitäler, Häuser und sie liess nach schweren Erdbeben und nach dem Tsunami ganze Dörfer aufbauen. Deshalb waren wir sehr gespannt, was uns erwartet. Der grosse, bunt bemalte Saal war proppenvoll, die Seitengänge verstopft und auch die Galerie war voll gestellt mit Stühlen und viele Leute mussten sogar stehend ausharren. Die vielen Amma-Anhänger aus dem Ausland – alle in Einheitsweiss gekleidet – kümmerten sich um den reibungslosen Ablauf. Um mich von den bleichgesichtigen, leicht kränklich aussehenden Frauen aus dem Westen abzuheben, trug auch ich einen bunten Sari, wie Geetha. Im grossen Pulk der farbig gewandeten Inder fiel ich deshalb gar nicht mehr auf. Um 10.00 Uhr waren wir da und mussten bereits in der hinteren Hälfte des Saales Platz nehmen. Eine Stunde später wurden auf der Bühne die geschnitzten Holzschiebetüren geöffnet und Amma sass auf einem weissen „Thron“. Der lange Reigen der Umarmungen konnte beginnen. Wir warteten und warteten und mit unseren Token Nr. C3 wären wir wahrscheinlich erst gegen 16.00 Uhr oder noch später dran gekommen. Aber Dank der Schusseligkeit von Dr. Gopika, der seinen Token verlor und dann „thanks God“ 4 Priority-Eintrittskarten für uns bekam, kamen wir um 14.00 Uhr an die Reihe. Sie hat wirklich eine spezielle Ausstrahlung, auch wenn ich kein heisser Anhänger von ihr bin. Aber sie hat etwas, das andere nicht haben und ihre positive Energie ist spürbar. Dr. Gopika kam als erster an die Reihe, danach kniete Geetha sich hin. Ich gab meine Brille ab und den Schirm, so dass ich nur noch die Früchteschale mit den Bonbons als Opfergaben in den Händen hielt. Auch ich kniete mich hin und schloss nach Geetha auf. Das Herz klopfte mir bis zum Hals und mir kamen fast die Tränen, was wohl der Aufregung und der Ausstrahlung zuzuschreiben war. Es war einfach unglaublich. Ich gab die Schale ab und schon hatte mich Amma umarmt und drückte mich an ihren weichen Busen. Während sie mir „Ohm-Ohm-Ohm-Ohm“ ins Ohr sagte, wünschte ich mir für Savitha eine gute Zukunft. Ja, so war es gut! Das wars auch schon gewesen und man half mir beim Aufstehen. Ich nahm völlig verwirrt meine Brille entgegen, den Schirm und jemand drückte mir die gesegneten Bonbons in die Hand und schon wurde ich zur Frauenseite hinüber gebeten. Eine von den Weissgekleideten bat mich, auf der Bühne hinter Amma Platz zu nehmen, um noch ein bisschen von ihrer Aura was abzubekommen. Ich sass wie die anderen im Schneidersitz und es war einfach schön. Ich kann es auch nicht richtig beschreiben, aber das war nicht nur ein Abenteuer für den Newsletter. Das ging wirklich tiefer und ich war sehr ergriffen. Ich war richtig dankbar, dass ich hier noch etwas sitzen durfte, um die Gedanken zu ordnen.

Doch der Monat war noch nicht zu Ende und Sibyl und ich fuhren an einem frühen Morgen zum Kalari-Payattu-Training (Kampfsportart) nach Trivandurm, welches immer fürs Publikum frei zugänglich ist. Wir sassen auf der Galerie, die gleichzeitig als Umkleideraum diente und es war fast etwas peinlich, wie sich die Männer hinter uns umzogen, sich ihre Baumwolltücher kunstvoll zu kleinen Höschen um die Lenden banden und sich dann für das Training kräftig einölten. Jeder hat sich beim Eintreten über die Schwelle verneigt – wie beim Tempel - und machte eine kleine Pooja vor einer Gottheit in einer Ecke. Der Raum war nur beleuchtet von ein paar brennenden Öllämpchen und die Studenten haben sich aus Respekt vor allen Götterbildern, den Kalari-Schul-Vorvätern und den Waffen verneigt. Bevor das eigentliche Training begann, turnten sich alle ein und bis es los ging, standen alle schon im Schweisse ihres Angesichts. Der Lehrer unterrichtete 7 Schüler im Alter zwischen 10 und 35 Jahren. Nich alle waren auf dem gleichen Niveau und deshalb wars noch viel interessanter zu sehen, wie sie ihre Übungen absolvierten. Das Training bestand aus Schrittkombinationen, die eine absolute Körperbeherrschung verlangten. Wahnsinnig! Ist ein bisschen wie Karate-Training, Kung-Fu, Tai-Chi oder wie diese fernöstlichen Kampfsportarten alle heissen. Die braunen Körper glänzten im Öl und bald rann der Schweiss in Strömen. Jede Bewegung war eine Anstrengung und in dem Raum war eine geballte Manneskraft. Als Kontrast dazu der alte Raum, der viel Ruhe ausstrahlte. Sichtbacksteine mit Öffnungen in den Wänden, so dass die Luft zirkulieren kann und keine Ventilatoren gebraucht werden, das Licht dringt herein, blendet aber nicht. Es war wirklich toll dieses Training zu erleben und am Schluss wurde wahrscheinlich speziell für uns eine kleine Einlage gezeigt, als zwei Studenten mit Stöcken gegeneinander „kämpften“. Die hätten sich umbringen können. Man sieht hier leider nur noch sehr selten Kalari-Vorführungen und auch ich habe in den 10 Jahren nur eine Vorführung erlebt.

Ich hatte über diese Tage so viel mit den Gästen unternommen und viel Zeit mit ihnen verbracht, so dass auch Savitha und Valsala nicht zu kurz kommen sollten. Über Onam war geplant gewesen, dass wir einen Ausflug an die nahe Beach machen mit Salina und ihren Mädchen. Auch wenn Onam bereits hinter uns lag, waren alle begeistert und während die Sonne als roter Feuerball im Meer versank, spazierten wir dem Strand entlang, spielten Fangis, suchten nach Muscheln und am Schluss liessen wir uns zu sechst (typisch indisch!) in einer Rikscha zu einem Restaurant fahren, wo es für alle Chicken-Curry und Bharotha-Fladenbrote gab mit Eis zum Dessert. Das war toll gewesen!

Am nächsten Tag begann der diesjährige Ramadan und Salina stand mit ihrer Familie um 03.00 Uhr auf, um den Fastenmonat traditionell mit dem Teilen der Datteln zu beginnen, bevor der Muezzin von der Moschee zum Morgengebet rief. Die nächsten 30 Tage wird nur noch vor dem Sonnenaufgang und nach dem Sonnenuntergang gegessen. Tagsüber gibt es nichts – nichts zu Essen und nichts zu Trinken. Auch nicht während der Schule. Ausgenommen sind Kranke und Alte. Dafür gibts dann am Ende des Ramadans ein grosses Fest! Da wäre ich auch gerne mal dabei, wenn sich die ganze Verwandtschaft von Salina zum Festessen trifft und alle auf einem grossen Teppich am Boden schlemmen!

Obwohl wir Onam nicht so feiern konnten, wie wir es uns vorgestellt hatten, war doch sehr viel los gewesen und wir haben wieder viel Spannendes erlebt. Am 26. Oktober kommt mein Mami zu Besuch und wir freuen uns schon heute, ihr unser kleines Reich zu zeigen, unser Quarter, sie mit Gopikas bekannt zu machen, ihr Varkala zu zeigen, wo sie uns vor 9 Jahren das letzte Mal besuchte und sie an unserem indischen Alltag teilhaben zu lassen.

Bis zum nächsten Newsletter lassen wir alle herzlich grüssen.
Yvonne, Savitha und Valsala
mit Bina und ihren 4 Babies

08 September 2006

August 2006

Der neue Monat begann für uns nicht mit dem Schweizer Nationalfeiertag, sondern mit dem 1. Geburtstag von Valsalas Nichte Eva. Während die Männer vor dem Häuschen zusammen sassen und sich unterhielten, die Kinder herum hüpften und spielten, sass ich mit den Frauen im Hof, wo in einem riesigen Kupferkessi ein herrliches Chickencurry auf dem offenen Feuer zubereitet wurde. Es war absolut idyllisch und ich habe die Athmosphäre sehr genossen. Die Frauen waren so richtig in ihrem Element. Jede hatte etwas zu tun und es wurde viel geschnattert und getratscht, während es in der Pfanne brutzelte und brodelte. Die kleine Eva war totmüde und hätte eigentlich ins Bett gehört, aber sie wurde überall herum gereicht, jeden sollte sie anlächeln und dabei ihre ersten zwei Zähnchen zeigen, man piekste ihr ständig in die Backen und ins Kinn – so wie das hier üblich ist. Sie sah in ihrem Tüllkleidchen wie ein putziges Zuckerpüppchen aus. Als es darum ging, die Geburstagstorte anzuschneiden, war sie wieder wach und sie genoss es sichtlich, die Hauptperson zu sein. Als „Ehrengäste“ durften Valsala, Shaji und ich noch vor den vielen Priestern aus der Verwandtschaft essen. Und zwar im winzigen offenen Vorraum, wo nur ein altes Pult Platz hat, ein Stahlschrank und zwei Plastikstühle. Aber wir rückten zusammen und das Chickencurry mit dem Rauchgeschmack schmeckte absolut super mit den Vishappam, die Evas Mutter hinter dem Haus in der offenen Küche auf dem Feuer in Bananenblättern dämpfte. Wie es sich gehört, haben wir uns danach gleich verabschiedet, damit alle anderen auch verköstigt wurden.

Das Geethanjali war voll besetzt und so war ich oft bei den Gästen drüben auf der Dachterrasse zu einem Schwatz. Ich geniesse es jetzt sehr, so nah beim Geethanjali zu sein und die Gäste besuchen zu können, wann immer ich Zeit und Lust habe und ich sie zu mir nach Hause einladen kann, ohne gleich einen Tagesausflug organisieren zu müssen. Wir haben zusammen das eine oder andere unternommen – ob Shopping-Tour, Besuch einer tollen All-India-Handycraft-Ausstellung, wo es für alle Geschmäcker etwas gab. Ob Kleider, Schals, Socken oder Souvenirs. Danach genossen wir das bunte Treiben des „Sehen und gesehen werden“ im Museumpark in Trivandrum oder wir liessen uns in der Stadt kulinarisch verwöhnen.

Ein spezieller Ausflug war für die Gäste der Besuch zum Tee bei Geethas Eltern. Geethas Mutter hatte extra für uns verschiedene Snacks und Süssigkeiten gebacken und der Vater zeigte uns stolz seinen Garten, wo einfach alles wächst, was hier unter der Sonne gedeiht. Danach besuchten wir einen kleinen Tempel in der Nähe, der mitten in eine Felswand gehauen wurde. Hier kommen jeweils am Freitag unverheiratete Frauen und beten für einen guten Ehemann, falls es bis anhin noch nicht geklappt hat. Wir warteten geduldig bis der Priester kam und die Gebetszeremonie verrichtete. Es wurde zwar etwas eng auf dem kleinen Felsvorsprung, als sich die paar Leute vor dem Schrein der Gottheit drängten, aber die Warterei in „luftiger Höhe“ hatte sich auf alle Fälle gelohnt.

Als Christa und Paula bereits im nahe gelegenen Gästehaus „Wild Palms on Sea“ waren, haben wir uns spontan zu einem gemütlichen Dinner getroffen. Von Vakala aus war das alles nicht möglich gewesen. Inzwischen war Corina gekommen, die ein paar Tage im Wild Palms verbrachte, bevor ihre Kur im Geethanjali begann. Sie ist wie ich von der Lenzerheide, doch da sie 10 Jahre jünger ist als ich, kannten wir uns bis anhin nicht. Unser Mütter hatten uns zusammen gebracht und wir hatten sofort einen guten Draht zueinander gefunden. Noch am selben Tag, als ich Corina vom Flughafen abholte, zeigte sie mir einen Internetausdruck über das berühmte Schlangenbootrennen, die Nehru Trophy und sie wollte sich erkundigen, wie sie das organisieren soll. Hei, das war eine tolle Idee! Ich war übers Wochenende „frei“ und da ich schon seit 10 Jahren einmal dieses Rennen erleben möchte, haben wir uns zusammen getan und die Reise geplant.

Wir fuhren nach Alleppey und hatten noch ein Zimmerchen im Palmgrove Resort bekommen. Ganz Alleppey und Umgebung war ausgebucht wegen dem Rennen und so musste ich meine Beziehungen spielen lassen. Doch kaum waren wir da, hat es angefangen zu regenen und übers ganze Wochenende konnten wir die Sonnenstrahlen an einer Hand abzählen. Wir liessen uns die gute Lauen aber nicht verderben und hatten trotzdem viel Spass. Im Resort ging es sehr international zu und her und im kleinen Restaurant kamen sich die Gäste schnell näher. Ob aus England, Holland, Frankreich, Spanien oder Deutschland, alle wollten ans berühmte Bootrennen. Nur hatten alle anderen schon offizielle Tickets für die grossen Tribünen. Nur wir nicht. Doch der Eigentümer des Resorts überliess uns und der Familie aus Frankreich ein kleines Boot, womit wir uns zum Rennen rudern liessen. Unser Kapitän hatte sich ein besonders gutes Plätzchen ausgesucht und so stiegen wir hinter einer kleinen Insel aus, überquerten sie barfuss im regnerischen Sumpf, weil die Sandalen im Morast stecken blieben und hatten auf der anderen Seite einen „Tribünenplatz“ direkt am Ufer. Das war „cool“, meinte Corina! Es wurden extra Reismatten für uns ausgelegt und wir machten es uns bequem. Wir waren mitten auf der Rennstrecke und bis die Reden im Zielgelände abgeschlossen waren, wo sich die grossen Boote zur Eröffnung szeremonie formiert hatten, lag ein Boot direkt bei uns am Ufer. In den Booten sassen zwischen 30 und 120 Männer, die im Takt der Trommler ruderten, einige pfiffen und gaben so den Takt an. Geballte Männerkraft! Bei diesen Rennen geht es auch oft um die Dorfehre, wenn sich die Dörfer in den Backwaters untereinander messen. In diesem Jahr starteten sogar 3 Frauenboote, wobei in einem etwa 12 Ausländerinnen sassen, was in den Zeitungen gross angekündigt wurde. Alle waren hübsch in Keralasaris eingekleidet und sie hatten in den letzten 2 Wochen wie alle anderen fleissig geübt. Bis die Rennen starteten, blieb das Wetter zwar bedeckt aber doch meist trocken. Trotzdem mussten wir ab und zu unsere Schirme aufspannen und Corina war froh um ihren guten Regenschutz. Im Halbfinale und im Finale regnete es dann leider Bindfäden, doch wir hielten tapfer durch, klatschen und johlten und feuerten die Ruderer an. Es war ein wirklich tolles Erlebnis gewesen, von dem wir noch lange zehren werden (wenn wir uns im Dezember zum Ski fahren auf der Lenzerheide treffen, werden sicher viele „weisch no...?“ zu hören sein). Und später hörten wir von den anderen Gästen im Resort, dass wir wohl die besseren und billigeren Plätze hatten, weil es im Zielgelände ohrenbetäubend laut war und danach war keine Rikscha zu bekommen, wobei es ziemlich abenteuerlich war, den dunklen Weg zurück ins Resort zu finden.

Während ich mit Corina in Alleppey weilte, hatten Valsala und Savitha zu Hause alle Hände voll zu tun mit unserem Hund Jacky. Er hatte eine Virusinfektion eingefangen und Valsala organisierte sofort den Tierarzt. Er bekam Spritzen und Infusionen und es ging ihm sehr schlecht. Als ich am Sonntag nach Hause kam, schaute er mich nur traurig an und gab mit seinem Schwanz ein kleines Zeichen, dass er mich erkannt hat. Er lag nur noch herum, hatte Durchfall, konnte nichts behalten und magerte innert Stunden auf Haut und Knochen ab. Valsala war bald Tag und Nacht bei ihm, flösste ihm Medizin und Flüssigkeit mit einer Spritze in die Schnauze und kümmerte sich sehr liebevoll um ihn. Am 15. August wurde in Indien der Independence Day gefeiert, doch uns war nicht zum Feiern zu mute. Der Tierarzt hatte die letzte Behandlung gemacht und wir hofften alle, dass es nun besser wird. Doch am nächsten Tag mussten wir einsehen, dass sich Jacky nie mehr erholen wird. Ich rief sofort den Veterinär an, der bis anhin zweimal am Tag vorbei schaute und ihn bat, Jacky zu erlösen. Die Infektion hatte die Leber angegriffen und dann versagten auch noch die Nieren. Am Nachmittag um 17.00 Uhr waren wir alle bei Jacky, als er von uns ging. Valsala, Savitha, der Veterinär und nebst mir auch Shaji und sein Kollege. Der Arzt musste nicht einmal mehr eine Spritze geben. Jacky bäumte sich noch ein letztes Mal auf und dann starb er. Bina war in den letzten Tagen nie bei ihm gewesen, wie wenn sie gespürt hätte, dass sie von Jacky hätte angesteckt werden können. Shaji und Baiju haben sofort im angrenzenden Grundstück ein Loch für Jacky geschaufelt. Wir hatten dafür bereits die Bewilligung vom Hauseigentümer eingeholt, dessen Grundstück hinter unserem Haus leer steht. Das war am letzten Tag des alten Malayalam-Jahres gewesen. Wir waren froh, dass wir alles noch im alten Jahr erledigen konnten, weil es sonst ein schlechtes Omen gewesen wäre, wenn Jacky am Neujahrstag gestorben wäre.

Wir waren alle sehr traurig, dass wir unseren Jacky verloren hatten, dafür gabs eine freudige Nachricht von Bina. Sie ist schwanger! Wir hatten es bereits vermutet, doch ich war alles andere als glücklich darüber. Ich hatte echt keine Lust, noch mehr Hunde gross zu ziehen. In den letzten 3 Jahren hatten wir immer wieder Welpen. Mal wurden sie vor unserem Tor ausgesetzt, sie liefen uns zu und Jacky hatten wir durch Bose bekommen, weil wir als Wachhund einen Rüden wollten. Es war kaum zu fassen! Da hatte Jacky noch 3 Stunden vor seiner Kastration Bina bestiegen, nachdem sie erst ein paar Tage davor ihre ersten Blutungen hatte. Wir verabreichten ihr gleich eine Portion Abtreibungsmittel und wir waren überzeugt, dass das Mittel wirkt. Aber die Natur hat es mal wieder besser gerichtet! Und jetzt sind wir doppelt froh, dass Bina Junge bekommt. Wir werden einen Rüden behalten – so quasi Jacky Junior und für die anderen haben wir bereits Plätzchen gefunden. Der Tierarzt meinte, dass es nach 62 Tagen soweit sei. Das wäre am 2. September, genau zwei Tage vor den grossen Onam-Feierlichkeiten. So sind wir sehr gespannt, ob es wirklich Onam-Babies gibt!

Am 18. August hätten Hans und ich unser 10-jähriges Jubiläum in Kerala gefeiert. Sicher hätte er mich für dieses Wochenende in ein schönes Resort eingeladen und wir hätten die letzten 10 Jahre genüsslich Revue passieren lassen, so wie wir das immer taten. Es gibt aus den Anfängen noch viele lustige Anekdoten, die uns heute noch zum Schmunzeln bringen. Doch dieses Jahr wars ein Tag wie jeder andere und ich ging nicht einmal am Abend mit Savitha schön auswärts essen. Der Tag war ausgefüllt mit Arbeiten, Haushaltskram und am Nachmittag hatte ich einen Einsatz als Shopping-Guide in die Stadt. Mein neuer Gästerservice hat guten Anklang gefunden und so begleite und berate ich die Gäste gerne, wenn sie in der Stadt ihre Geschenke, Souvenirs und Kleider kaufen wollen. Das gibt mir ein kleines Taschengeld und etwas geht an die Foundation, so dass ich auch im kleinen Rahmen der einen oder anderen Familie etwas unter die Arme greifen kann.

Das Erntedankfest Onam rückte immer näher und Geetha und ich verbrachten einen ganzen Nachmittag in der Stadt, um traditionsgemäss Kleidergrosseinkäufe zu tätigen. Zu diesem Anlass kleidet man die eigene Familie neu ein, Verwandte, Freunde und Angestellte. In unserem Fall berücksichtigen wir Familie Gopika, alle Angestellten vom Geethanjali, den Hauseigentümer mit seiner Familie, Shaji, mein früherer Fahrer und jetziger Watchman für die Villa Deepam, die Nachbarsfamilie und auch wir drei Frauen werden am 1. Onamfeiertag neue Kleider tragen.

Das ist auch immer eine Gelegenheit, Stiftungsgelder zu verteilen und so habe ich mich in diesem Jahr entschlossen, nebst Kleidern (wo sie wirklich nötig sind), lieber Brennholz, Reis, Linsen, Öl und Zucker zu schenken. Es herrschte überall grosse Freude, auch wenn ich nicht immer in Erscheinung trat. Aber ich weiss, dass die Familien diesen Zustupf dringend nötig haben und an Onam sollen alle feiern können – es ihr IHR Fest und alle sollen davon profitieren.

Savitha war schon mitten in ihren Onam-Prüfungen, die von 21. – 31. August dauerten und sie hatte sich mächtig ins Zeug gelegt. Es war extrem schwierig und der Schulwechsel machte die Sache auch nicht einfacher. Aber sie hat fleissig gelernt, bekam in Maths Nachhilfeunterricht und mit etwas Glück hoffen wir auf einen akzeptablen Durchschnitt. Aber das soll jetzt nicht mehr unser Problem sein. Sie soll über Onam ihre Ferien geniessen und danach sehen wir wieder weiter.

Ich hatte zwar keinen Lern-Marathon, dafür absolvierte ich in der letzten Woche des Monats einen Hochzeits-Marathon. Der erste Monat im neuen Jahr ist hier DER Hochzeitsmonat und man hätte meinen können, dass heiraten bald verboten wird. Jeden Tag flatterten Einladungen herein und so musste ich schauen, dass ich all die Empfänge und Hochzeiten unter einen Hut brachte. An einem Abend nahmen Geetha und ich die Gäste vom Geethanjali mit zu einem Hochzeitsempfang in der Stadt, da wir am Vortag keine Zeit hatten, um zusammen nach Alleppey zur Hochzeit zu fahren. Für die Gäste wars natürlich ein spezieller Anlass und sie haben das ganze Drum und Dran sehr genossen. Das Brautpaar nahm auf einer dekorierten Bühne mit einerm silbrigen Sofa und schönen Blumengestecken die Gratulationen entgegen und danach konnte man sich am vegetarischen Buffet bedienen.

Am nächsten Abend fuhr ich alleine nach Varkala zur Reception von Sheelas Sohn, der extra aus London kam, um sich hier mit einem Mädchen aus dem Dorf trauen zu lassen. Sheela war eine Patientin von Dr. Gopika und hat ein prächtiges Haus in Varkala. Die Verwandtschaft wohnt aber mehr oder weniger in England und die grossen Häuser stehen hier das Jahr über meist leer. Schade drum. Der Empfang wurde im freien hinter dem Haus gegeben, wo es eine wunderschöne gepflegte Gartenanlage gab mit Rasenflächen, einem künstlich angelegten Teich, einer Brücke drüber und sogar ein grosser Kinderspielplatz fehlte nicht. Sehr beeindruckend! Ganze Heerscharen von Indern wurden aus England eingeflogen. Es war lustig zu sehen, wie man auf den ersten Blick erkannte, welche Frau aus England kam und welche aus dem Dorf. Die Frauen aus England kleideten und frisierten sich nach der neusten Mode aus Mumbai und kamen daher wie die grossen Bollywood-Filmstars, während sich die „Dorfschönheiten“ aus Varkala weit weniger spektakulär zeigten. Unter den Gästen hatte es auch eine Gruppe Engländer, die zum Teil zum ersten Mal in Indien waren und extra wegen der Hochzeit gekommen sind. Ihnen schloss ich mich an und wir hatten es sehr unterhaltsam zusammen. Ich erzählte ihnen ein bisschen über die Hintergründe der indischen Hochzeiten und sie kamen oft aus dem Staunen über das Leben hier kaum heraus. Es ist ja wirklich unglaublich, dass die Kinder oft im Ausland aufwachsen, dort studieren, wohnen und arbeiten, aber wenn es um die Heirat geht, bekennen sich alle zu ihren Wurzeln. Sie wünschen sich ein Mädchen aus dem Heimatdorf und lassen die Eltern bestimmen, mit wem sie den Rest ihres Lebens verbringen werden. Da können sie sich „drüben“ noch so westlich geben... Am nächsten Tag war ich schon wieder in Varkala und Sheela freute sich sehr, dass ich auch zur Hochzeit kam und somit Gopikas vertrat, die natürlich auch eingeladen gewesen wären. Die Engländer taten sich relativ schwer mit dem Hochzeitsessen, weil sie von Hand essen mussten und die exotischen Gerichte waren nicht alle nach ihrem Geschmack. Aber sie werden dieses Erlebnis sicher noch lange in Erinnerung behalten.

Eine ganz spezielle Hochzeit erlebte ich am letzten Tag des Monats, als Ani, der langjährige Masseur vom Geethanjali, heiratete. Die Angestellten bekamen frei und ich fuhr mit Dr. Gopikas Mutter, Geethas Vater und einem sehr engen Freund der Familie ins Landesinnere. Ani freute sich über den grossen Aufmarsch von seiner Arbeitsstelle und ich war der Spezialgast des Tages. Während Ani von seinem zukünftigen Schwager und der Schwiegerfamilie mit einer Blumengirlande vor dem Auditorium empfangen wurde, durfte ich wie eine Schwester zwischen ihm und seiner Schwester aus Bangalore stehen. Das war eine sehr grosse Ehre für mich, die ich absolut nicht erwartet habe. Auch vor der Zeremonie holte er sich zuerst von mir den Segen, erst danach bei seinen Eltern und den Schwiegereltern. Ich war tief gerührt und hoffe, dass er glücklich wird mit seiner Frau, da es für ihn sehr schwer war, eine Frau zu finden. Sein Horoskop war sehr schwierig und die Familie weigerte sich, eine Frau für ihn zu finden. Er wird jetzt ausgiebig seine „Flitterwochen“ geniessen und mit seiner Angetrauten alle Verwandten und Freunde besuchen bevor er wieder ins Geethanjali zurück kommt. In der Zwischenzeit hat ein Ersatz seine Arbeit im Geethanjali übernommen.

Auch Geetha, die junge Masseuse vom Geethanjali, sollte verheiratet werden. Sie hat es aber weit weniger gut getroffen. Sie wurde von einem Tag auf den anderen von ihrem herrischen Vater nach Hause gepfiffen, um einen Heiratskandidaten zu empfangen. Der Vater versprach sich viel von dieser Verbindung, da der Schwiegersohn keine grosse Mitgift verlangte und als „Businessman“ würde er so viel verdienen, dass seine Tochter gut versorgt sei. Bei einer solchen „Nacht und Nebel Aktion“ ist aber meist was faul, doch der Vater wollte schnell alles über die Bühne bringen um seine Tochter los zu werden. Er hatte sich in den letzten 21 Jahren kaum um sie gekümmert und sie wuchs mehr bei ihrer Tante und einem Onkel auf als bei ihren Eltern. Für Gopikas war es nicht einfach, so auf die Schnelle einen Ersatz für Geetha zu bekommen, da die letzten Gäste gerade abgereist waren und die neuen standen so quasi auf der Matte. Aber das kümmerte den Vater wenig. Die Frau von Dr. Gopika sprang kurzfristig ein und danach kam Shiji, die sich schnell ins Team eingelebt hat. Bei Geetha zu Hause herrschte grosse Aufregung und alle warteten auf den Hochzeitstermin. Doch dann hiess es plötzlich per Telefon, dass sich der junge Mann für eine andere Frau entscheiden hatte. Und was jetzt? Jetzt sitzt Geetha traurig zu Hause, ohne Mann, ohne Hochzeit und vor allem ohne Job, wo sie doch die einzige in der Familie war, die überhaupt etwas verdiente... Traurig, aber leider wahr. Wir können sie im Moment leider auch nicht wieder aufnehmen, da Shiji ihren Platz eingenommen hat und auch aus einer sehr armen Familie stammt, die ihren Lohn braucht. Zudem würde der Vater Geetha zu jeder Zeit wieder ohne Vorankündigung nach Hause holen und dieses Spiel können wir nicht akzeptieren.

Aber auch wir wurden nicht vom üblichen Alltagsärger verschont und zwischen all den Hochzeitsterminen lief die Waschmaschine aus und überschwemmte das ganze Büro und dann machte auch noch der PC schlapp. Volle 2 Wochen konnte ich nicht arbeiten und das war auch der Grund, warum ich den Newsletter nicht rechzeitig ins Internet stellen konnte. Es lag am Ventilator. Zuerst musste ich 4 Tage warten, bis endlich ein Techniker kam, der mir ausrichtete, dass er die Kiste mitnehmen müsse, um einen Ersatzteil einzubauen. Als ich die Kiste endlich wieder hatte, konnte ich grad eine knappe Stunde arbeiten, bevor sich wieder nichts mehr rührte. Die Onam-Tage rückten immer näher und während den Hauptfesttagen (4. – 7 September) wird während der ganzen Woche kein Techniker weit und breit aufzutreiben sein. Also habe ich 3 Tage wie auf Kohle gesessen und wartete und wartete, bis endlich doch noch einer kam und den PC wieder zum Laufen brachte. Es war ziemlich nervenaufreibend.

Aber wenn ich zurück schaue, wars trotzdem ein toller Monat, es lief wieder viel und auch wenn wir traurig waren, dass Jacky starb, freuen wir uns, dass Bina schwanger ist und können es kaum erwarten, bis sie ihre Babies bekommt.

Wir wünschen euch alle „Happy Onam“ und wenn ich in die Agenda vom September schaue, denke, ich, dass es auch im September wieder viel zu erzählen gibt...

Liebe Grüsse
Yvonne, Savitha und Valsala mit der hochschwangeren Bina