Yvonne Muller

28 June 2006

Mai/Juni 2006

Newsletter Mai/Juni 2006
Endlich sind wir am Ziel!!! Seit Februar haben wir uns gewünscht, in der Nähe von Gopikas zu wohnen und jetzt sind wir hier in unserem neuen Häuschen und haben uns bereits gut eingelebt. Im Quartier sind wir eine bunt zusammen gewürfelte Gesellschaft. Valsala und ich als Christen zwischen all den Muslimfamilien rund um unser Haus und das alles in einem Hinduquartier mit drei Tempeln in der Nähe. Multikulti! Wir fühlen uns sehr wohl und unsere Anwesenheit hat sich bereits im Quartier herum gesprochen. Savitha hat schon viele Freundinnen und Valsala hat sich mit der Nachbarin angefreundet, die uns mit Milch versorgt. Wir können wirklich behaupten, dass uns der Neustart geglückt ist. Zwei turbulente und arbeitsreiche Monate liegen hinter uns und wir sind froh, dass nun alles überstanden ist.

Zuerst muss ich vielleicht noch erklären, warum wir so schnell aus der Villa Deepam auszogen. Es sah zum Teil aus, wie wenn wir fast geflüchtet wären. Dem war aber überhaupt nicht so. Der Mietvertrag der Villa Deepam läuft Ende Jahr aus und Hans und ich wünschten uns, ab Januar 2007 in die Nähe von unseren engsten Freunden zu ziehen. Dann wird alles einfacher wegen der Betreuung vom Geethanjali und ihren Gästen und zudem sind wir näher bei der Stadt. Deshalb habe ich eigentlich nur das ausgeführt, was Hans und ich bereits geplant hatten. Es musste dann alles etwas schneller gehen, weil ich auf Savithas Schule Rücksicht nehmen musste. Ich kann sie nicht mitten im Schuljahr die Schule wechseln lassen und deshalb mussten wir den Wechsel während den Sommerferien über die Bühne bringen.

Und was lief alles in den letzten beiden Monaten?

Nach der Vertragsunterzeichnung haben wir gleich angefangen, Kisten und Schachteln zu füllen. Zudem wurde grosszügig ausgemistet und aussortiert, weil wir im neuen Haus nicht mehr so viel Platz haben. Savitha kümmerte sich um ihr Zimmer, Valsala um die Küche, die enorm viel zu tun gab und natürlich ihr Zimmer und ich übernahm die übrigen Räume. So waren wir jeden Tag beschäftigt. Die Möbel, die ich nicht mehr mitnehmen wollte oder konnte, schenkte ich Valsala für ihre Aussteuer, wenn sie einmal heiratet und ein eigenes Häuschen hat. Bis dahin wird alles in ihrem Elternhaus gehortet.

Am Dienstag, 2. Mai, war Valsala auf den Tag genau 4 Jahre bei uns. Sie hat mir erzählt, dass sie noch nie so lange an einer Arbeitsstelle war und sie möchte auch weiterhin bei uns bleiben. Dieses Angebot nehmen wir natürlich gerne an, obwohl sich wahrscheinlich im kommenden Jahr eine Änderung ergeben wird, wenn sie doch noch verheiratet werden soll. Aber auch da werden wir eine Lösung finden.

Am gleichen Tag war ich in der Nachbarschaft zu einem Hochzeitsempfang eingeladen. Unsere Nachbarin Mani begleitete mich ins Haus ihres Verwandten, dessen Sohn im Golf arbeitet und am nächsten Tag heiratete. Auch ohne männliche Begleitung wurde ich als Ehrengast begrüsst und der Vater hofierte mich überschwänglich. Nach dem üblichen Essen musste ich mich leider für die Hochzeit entschuldigen, da ich bereits anderweitig engagiert war.

In den kommenden Wochen waren wir ständig am Räumen und Packen. Es gab unheimlich viel zu tun, doch zu dritt schafften wir es. Hier muss man sich wenigstens nicht ums Entsorgen kümmern. Alles, was wir von unserem Hausrat nicht mehr brauchten, wurde verteilt und jeder bekam etwas. Valsalas Familie, mein Fahrer Shaji, die Nachbarin Mani, Gopikas, Freunde und Bekannte. So wurde alles wieder verwertet und alle hatten Freude an den erworbenen Sachen. Neben der ganzen Räumerei gab es auch viel zu organisieren. Adressänderungen, Umschreibungen, Abmeldungen, Neuanträge. Ich rotierte ununterbrochen. Als typische Schweizerin wollte ich alles genug früh in die Wege leiten, habe Anträge geschrieben und rannte schon beizeiten los. Ich merkte aber schnell, dass mein System hier nicht ankam und die Leute nicht verstanden, warum ich schon Mitte Monat darum bat, die Internetlinie auf Ende Monat zu schliessen und mir die Schlussabrechnung an die neue Adresse zu schicken. Kaum war ich zu Hause, hatte ich kein Internet mehr. Ich reklamierte und ein verdutzter Beamter erwiderte, dass ich doch eben erst bei ihm gewesen sei und die Kündigung brachte. Aber doch nicht jetzt! Ich wollte halt so viel wie möglich vom Tisch haben, doch das ging hier nicht. Also liess alles bleiben und machte mich erst am letzten Tag auf zu den diversen Büros und Ämtern, verlangte die Abschlussrechnung, bezahlte und die Linien wurden abgehängt. Fertig.

Während den letzten Wochen in Varkala, habe ich trotz all der Arbeit die Merlotscha Foundation nicht vergessen. Wie jedes Jahr, ist der Schulbeginn eine grosse Belastung für all die armen Familien und so habe ich noch viele Schulkinder mit Schulbags, Schulmaterial und Uniformstoffen eingedeckt, damit sich alle auf den Schulbeginn freuen konnten. Ich habe dieses Jahr speziell darauf geachtet, arme Familien in Varkala zu berücksichtigen, weil später der Kontakt zu Varkala nicht mehr so eng sein wird. Mit den offenen Geldern konnte ich so noch Gutes tun im Dorf und mich gleichzeitig verabschieden. Die Familien waren sehr dankbar und die Kinder strahlten, als ich ihnen die Sachen überreichte.

Nebst all den Vorbereitungen für den Umzug kam der Muttertag sehr gelegen, an etwas anderes zu denken. Hier wars zwar ein normaler Sonntag, dafür waren wir zur Klassenzusammenkunft von Dr. Gopikas Studienkollegen aus Ayurveda-College-Zeiten eingeladen. Nach 22 Jahren trafen sie sich das letzte Jahr zum ersten Mal und es gab ein grosses Wiedersehen im Hotel Mascot in Trivandrum. In diesem Jahr hat Dr. Gopika alle zu sich eingeladen. Zuerst traf man sich im Gästehaus vom Geethanjali, wo Snacks gereicht wurden. Anstatt einem Apéro, wurde wie hier üblich, kühles Zitronenwasser serviert. Alle interessierten sich sehr für das Gethanjali mit dem traditionellen Massageraum, der „Madom“ genannt wird, dem Haupthaus und dem Gästehaus. Danach dislozierten wir alle ins Wild Palms Gästehaus hinüber, wo wir uns prächtig am Strand unter Palmen unterhielten. Es wurde gesungen, Gedichte und Sketche vorgetragen und viel gelacht. Ich fühlte mich überhaupt nicht als Aussenseiterin zwischen all den Familien. Ich hatte immer einen Schwarm Kinder um mich herum und nach dem Mittagsbuffet wagten wir uns ans Meer hinunter, wo die riesigen Monsunwellen sich brachen. Während der Nachmittagsunterhaltung wurde ich gebeten, mich allen vorzustellen und zu erklären, wie ich Gopikas kennen lernte, wie ich hier lebe und wohne und was ich genau fürs Geethanjali tue. Das war mein erster öffentlicher Auftritt und mir klopfte das Herz bis zum Hals! Sonst war immer Hans der grosse Redner gewesen und ich seine Dekoration im Hintergrund. Und jetzt stehe ich plötzlich im Rampenlicht - eine völlig neue Situation. Doch alles ging gut und ich werde wohl auch in Zukunft das eine oder andere Mal damit rechnen müssen, am Rednerpult zu stehen. Dann aber lieber vorbereitet... Es war ein wunderschöner Tag gewesen und die Abwechslung hat gut getan.

Bis Mitte Mai wars extrem heiss und so waren die Arbeiten doppelt beschwerlich. Der Schweiss rann aus allen Poren, auch wenn man nichts gemacht hätten. Doch danach erwischte uns der Monsum mit voller Wucht und heftige Stürme begleiteten die Regenschauer. Überall gab es Überschwemmungen, ganze Bäume wurden entwurzelt, Häuser stürzten ein, ganze Fischerdörfer mussten evakuiert werden und sogar bei uns wurden Teile von unserer mit Wellblech gedeckten Terrasse weg gefegt.

Und schon gings auf die Abschiedstour durch Varkala. Es tat mir richtig weh, nach 10 Jahren Vakala, das Dorf und alle Bewohner zu verlassen. Wir hatten uns hier sehr wohl gefühlt, hatten den Strand, die Klippen und die vielen Restaurants, das Taj-Hotel und das Preeth waren unsere zweiten Zuhause und natürlich war auch Savitha sehr ans Dorf gebunden durch die Schule und ihre Freundinnen. Aber wir sind ja nicht „ab der Welt“ und am neuen Ort werden wir uns sicher auch bald einleben und wohl fühlen. Zum Abschied lud ich Valsala, ihre Nichte Alma, die immer noch bei uns ihre Sommerferien verbrachte und Shaji zum Dinner ins Preeth ein. Danach spazierten wir den Klippen entlang zur Beach hinunter und genossen den letzten Sonnenuntergang als „Einheimische“. Ich liess die 10 Jahre nochmals Revue passieren und ich muss sagen, dass wir hier wirklich eine zweite Heimat gefunden hatten. Es waren 10 herrliche, spannende, interessante Jahre gewesen, die natürlich auch ab und zu getrübt waren von Sorgen, aber alles in allem waren wir hier mehr als glücklich gewesen.

Bis dahin war ich von unserem neuen Häuschen nicht restlos begeistert gewesen und immer wieder kamen Bedenken auf, ob es die richtige Entscheidung war. Es ist so klein, nicht sehr geschickt gebaut, ich sah so viele Fehler und Mängel, aber es war das Beste, was uns angeboten wurde und so viele neue Häuser gibt es nicht zum Mieten. Das war mich wichtig, weil ich nicht in ein verlebtes dunkles Loch ziehen möchte, wie das bei den Indern sonst üblich ist. Doch als alle Arbeiten abgeschlossen waren und der Hauseigentümer noch das eine oder andere gemacht hatte, freute ich mich doch und war überzeugt, dass es doch ein gutes Haus für uns wird. Und mit den Mängeln werden wir uns arrangieren.

Für Alma war die Zeit bei uns um und sie wurde von ihrer Mutter abgeholt. Gleichzeitig brachten wir Savitha ins Geethanjali. Sie freute sich, mit Malu zusammen die letzten Ferientage zu geniessen und so waren Valsala und ich alleine mit den Hunden zu Hause. Zwei Tage vor dem grossen Transport am 26. Mai begann es dermassen zu regnen und zu stürmen, dass es richtig ungemütlich wurde. Das Haus war bereits leer und es goss bald Tag und Nacht, was für die Küstenregion sehr ungewohnt ist. Jetzt hatten wir genug von der Villa Deepam und wollten nur noch weg.

Der Tag des grossen Möbeltransports nahte. Shaji hatte alles sehr gut organisiert und mobilisierte alle seine Freunde, die kräftig mithalfen. Shaji war mir in all den Tagen eine grosse Stütze gewesen und ohne ihn wäre der Umzug wohl kaum so reibungslos über die Bühne gegangen. Die letzte Nacht in der Villa Deepam schlief ich am Boden auf meiner Yogamatte, was Shaji überhaupt nicht recht war.

Am nächsten Tag wurden alle Möbel im neuen Haus gestellt, danach alle Lampen und Ventilatoren installiert, Vorhänge und Bilder aufgehängt und am Abend vor der Einweihung sah es schon ganz ordentlich aus. Die Kisten standen alle zum Auspacken bereit in den diversen Zimmern und für die Einweihung mussten wir nur das Wohn- und Esszimmer herrichten. Die beiden Nächte vor der Einweihung schliefen Savitha und ich im Geethanjali. Valsala war noch immer mit den Hunden in Varkala.

Am Sonntag, 28. Mai, zwischen 07.30 und 07.45 Uhr durfte ich endlich unser neues Zuhause einweihen. Nebst Familie Gopika war auch die Familie des Hauseigentümers dabei. Ich zündete das Deepam an, schloss die Haustüre auf und trat mit der Öllampe über die Schwelle. Natürlich mit dem rechten Fuss voran! Damit war das Haus nach Hinduriten für uns eingeweiht. Wir hatten viele Einheimische aus dem Quartier erwartet, die bestimmt neugierig waren auf „the English Lady“, wie ich inzwischen genannt werde. Doch dann hatten sie wohl Hemmungen und wir verteilten die Süssigkeiten über die Mauer an die Nachbarn.

Am gleichen Tag holte ich noch Valsala und die Hunde ins „Vishakham“. War das ein Transport! Oje, Bina vertrug die Autofahrt nicht und war völlig erledigt, als wir hier ankamen. Mit Jacky hatten wir keine Probleme. Aber sie erholten sich bald von den Strapazen. Danach verbrachte ich noch zwei regenreiche und stürmische Tage und Nächte in Varkala, um die Villa Deepam zu putzen und alles abzuschliessen. Geschlafen und gegessen wurde im Preeth Hotel. Die Villa Deepam werde ich anfangs Juli abgeben, wenn der Hauseigentümer aus London kommt. Dann bekommt er die Hausschlüssel und ich hoffentlich mein Depot zurück. Bis dahin schaut Shaji zum Haus, übernachtet dort und ist mein „securityman“.

Am 30. Mai fuhr ich endlich „nach Hause“ ins Vishakham. Dort erwartete uns auch viel Arbeit, doch Valsala hatte sich bereits etwas arrangiert und hatte ihre kleine Küche im Griff. Obwohl das Haus neu war, mussten wir noch ein paar Änderungen machen lassen. Ich wollte die Dachterrasse überdachen, um ein offenes Wohnzimmer zu haben, die Türen und Fenster waren nur mit einem billigen „Primer“ behandelt worden und so mussten auch die noch gestrichen werden. Ich entschied mich für ein fröhliches sonnengelb, obwohl das niemand so toll fand, ausser ich! Wir brauchten noch ein Hundehaus für Jacky und Bina, einen Unterstand für die Fahrräder und einen für die Gartengeräte, Gasflasche, Abfalleimer etc. Shaji hat die verschiedenen Handwerker-Gruppen organsiert, kümmerte sich um die Materialtransporte und so lief alles Hand in Hand, während ich nur Anweisungen geben musste. Ohne ihn wären wir nie und nimmer so schnell fertig geworden. Und da alle Arbeiter auch seine Freunde waren, hatten wir wirklich eine sehr angenehme Truppe und es wurde fleissig gearbeitet.

Kaum waren wir hier, zeigte sich die Sonne wieder und während den Bauarbeiten war der Monsun wie weg geblasen. Keinen Tropfen Regen während 14 Tagen, doch wir waren froh darum, sonst hätten wir die Unterstände und die Malerarbieten verschieben müssen. Trotzdem war ich froh, als endlich alles fertig wir, wir das Haus richtig putzen, alles einrichten und dann endlich l e b e n konnten! Darauf hatten wir so lange gewartet. Inzwischen ist das Häuschen ein kleines Bijoux – wir haben uns bereits an die engen Platzverhältnisse gewöhnt und die Mängel haben wir entweder behoben oder uns mit ihnen arrangiert. Jetzt haben wir ein kuschelig kleines, gemütliches und übersichtliches Daheim. Mein Reich im oberen Stock liebe ich sehr und ich fühle mich hier so richtig wohl.

Savithas Schule begann am 5. Juni und schon am ersten Tag schwärmte sie von ihren neuen Freundinnen, hat bereits eine Busenfreundin gewonnen und hat eine Fahrradgruppe zusammen gestellt, um zusammen zur Schule zu radeln. Sie hat sich gut eingelebt, an die neuen Regeln gewöhnt und auch vom Maths-Tution-Master ist sie begeistert. Sie scheint seine Lieblingsschülerin zu sein. Ich bin sehr froh, dass sie sich so gut eingelebt hat und auch im Quartier hat sie schon viele Freundinnen gewonnen.

Natürlich gab es noch jeden Tag viel zu tun und ich musste Ewigkeiten warten auf meine neue Telefonnummer und noch länger auf die Internetverbindung. Auch hier sprang ich wieder von Pontius zu Pilatus, bis alles lief.

Während den ersten Tagen im neuen Haus hatten wir Freddy von der Lenzerheide (wo ich aufgewachsen bin) im Geethanjali. Das hat mich natürlichg sehr gefreut und wir haben mit Gopikas zusammen einen schönen Abend in der Stadt verbracht. Wir besuchten das Konzert der Band „Jugal Bandi“, einer 6 köpfigen internationalen Gruppe. Ein Bengali war ein Meister auf der Tabla, ein Franzose entlockte einem uralten indischen Zupfinstrument traditionelle bis jazzige Klänge und auch der Percussionist, der Trompeter und der Musker an der Bassgitarre waren Franzosen. Eine quirlige Afrikanerin tanzte gelenkig und sang dazu mit ihrer grossen Stimme. Ihr französischer Charme zog das Publikum schnell in ihren Bann und auch wir waren begeistert von der Mischung aus indischer- und afrikanischer Musik, die zum Teil ziemlich jazzig daher kam.

Sogar in Trivandrum lief der umstrittene Film „The Vinci Code“ an und da ich das Buch im letzten Jahr geselesen hatte und begeistert war, wollte ich mir den Film nicht entgehen lassen. Gleich wurde ein Familienausflug mit Gopikas organisiert, doch der Film war dann in meinen Augen ziemlich brutal und ich muss ihn nicht ein zweites Mal sehen. Ich mag spannende Lekture, aber bei Filmen mag ich es lieber romantisch, schön, interessant oder lustig.

Mitte Juni übergab ich mein Auto Gopikas. Ich war in den letzten Monaten sehr froh gewesen, dermassen mobil zu sein und ich hätte mir keinen besseren Fahrer als Shaji wünschen können. Doch der ganze Unterhalt wäre für mich alleine ein zu grosser Luxus. Deshalb bleibe ich in Zukunft die Eigentümerin, doch Gopikas können das Auto für sich und ihre Gäste nutzen, bezahlen dafür den Fahrer, den Diesel und den Unterhalt und mir steht das Auto zur freien Verfügung, wenn ich es brauche. So ist beiden Seiten gedient. Die Rikscha werde ich voraussichtlich verkaufen, da wir mehrere Rikschafahrer in der Nachbarschaft haben. Wir werden sehen, dass wir einen finden, der für uns fährt, wenn wir zum Einkaufen nach Kazhakuttom wollen. Zwischen unserem Haus und dem Geethanjali pendeln wir zu Fuss oder per Fahrrad hin und her oder nehmen uns schnell eine Rikscha am Strassenrand.

Wir haben uns bereits so gut eingelebt, dass es fast so ist, wie wenn wir schon lange hier wohnen würden. Wir sind überall beliebt, die Nachbarn sind nett, alle wollen uns helfen – deshalb fühlen wir uns sehr wohl und gut aufgehoben. Wir geniessen es sehr, so nah bei Gopikas zu wohnen, wir sind nah bei der Stadt und Savitha geht gerne zur Schule. Auch Valsala gefällts und die Hunde sind begeistert vom vielen Sand rund um unser Haus. Da gibt es immer etwas zum Schnüffeln, Löcher buddeln, Katzen anbellen und immer ist etwas los. Die ganze Arbeit hat sich also gelohnt und wir sind glücklich in unserem kleinen Paradies.

Wir schicken euch liebe Grüsse aus unserem neuen Zuhause und freuen uns, wieder mit euch kommunizieren zu können.

Yvonne und Savitha
"Vishakham"
Kavottumukku
Kazhakuttom P.O.
Trivandrum 695 582
Telefon: 0091 471 270 57 57 (neu!)
Mobile: 0091 98463 28 28 9
e-mail: yvonne.muller@gmail.com (neu!)
e-mail: mailto:savithamuller@gmail.com$ (neu!)

auch das Geethanjali hat eine neue Adresse bekommen:
mgeethanjali@gmail.com
































































































































































April 2006

Ein ereignisreicher Monat liegt wieder hinter uns. Alte Kapitel wurden abgeschlossen und neue in die Wege geleitet.

Am 1. April kennt man auch hier den „foolsday“, doch wir hatten weder Lust noch Zeit, um uns auf die Schippe zu nehmen. Dafür bekam ich Bescheid von der Altersvorsorge aus der Schweiz. War wohl nicht als April-Scherz gedacht, als sie mir mitteilten, dass ich keinen Anspruch auf eine Witwenrente habe. Ohne eigene Kinder muss die Frau mindestens 5 Jahre verheiratet (wir waren 18) und 45 Jahre alt sein. Ich werde aber leider erst am 6. November 45. Das heisst, dass ich in Zukunft meinen und den Lebensunterhalt für Savitha hier verdienen muss bis ich 65 Jahre bin und meine eigene Rente bekomme. Bitter, aber leider wahr. Inzwischen habe ich mich damit abgefunden und sehe den negativen Bescheid als Herausforderung, mir hier etwas Neues aufzubauen. Savitha und ich werden es schaffen. Ich sehe trotzdem zuversichtlich in die Zukunft.

Trotz dem negativen Bescheid liessen Savitha und ich den Kopf nicht hängen, denn wir freuten uns auf ein tolles Wochenende bei unserer Freundin Daniela in Cochin, wo wir auch ihre Mutti aus Salzburg kennen lernten. Am Sonntag abend gingen wir alle zusammen an die grosse Modenschau von Hari Anand, einem Modeschöpfer aus Cochin. Die Show war das versprochene Geburtstagsgeschenk von Hans gewesen, welches ich nun einlöste. Schade, dass er nicht dabei sein konnte, er wäre begeistert gewesen. Ich habe auch ein paar Kreationen von Hari und er zeigte 80 neue Modelle. Eine tolle Show mit wunderschönen Saris, bestickt mit Pailletten, Perlen und Swarovski-Steinen, aber auch flippige Churydars, gewagte Schnitte und Farbkombinationen, indische Modelle, westlich angehauchte Kreationen und Fusion-Mode. Die Show wurde von Fashion TV aufgezeichnet, was sicher eine grosse Ehre war für Hari Anand.

Zwei Tage später waren wir an der Schulabschlussfeier von Savitha. Sie bekam ihr Zeugnis und wir waren zufrieden mit den Leistungen. Ausser etwas Nachhilfe in Maths, wird sie es auch in der neuen Schule schaffen. Sie verabschiedete sich nochmals von allen Freundinnen und Schulkollegen, deren Eltern, den „Ayammas“ (Helferinnen) und unter all den Lehrern kam einer auf mich zu, begrüsste mich mit Handschlag und verriet mir, dass Savitha immer seine Lieblingsschülerin gewesen sei. Das war wohl kaum der Hindi-Lehrer gewesen. Nein, der Turnlehrer... Sogar die Klassenlehrerin verdrückte eine Träne im Augenwinkel und auch ich hatte ob all dem Abschied einen Kloss im Hals.

Während all diesen Tagen liefen die Vorbereitungen für unsere Pilgerfahrt nach Wynad auf Hochtouren. Doch Dr. Gopika hatte wie immer alles prima organisiert. Am Freitag, 7. April ging es in aller Herrgottsfrühe nach Cochin, Thrissur, Calicut und am Abend noch in die Berge nach Wynad bis nach Kalpetta, unserem Etappenziel. Die Reise war lang und anstrengend und das Auto bis unters Dach gefüllt. 7 Personen plus die Hauptperson: Hans in seinem Töpfchen und Gepäck für 4 Tage.
Am nächsten Morgen fuhren wir während zwei Stunden dem Tag entgegen durch riesige Teak- und Bambuswälder, vorbei an Reisfeldern, wir sahen unzählige Affenfamilien, Rehe und ein riesiger Büffel überquerte gemütlich vor unserem Auto die Strasse. Der Tag erwachte, die Sonne ging golden am Horizont auf und schon waren wir beim Thirunelli-Tempel. Savitha freute sich darauf, die heutige Pooja für Papa machen zu dürfen. Schliesslich durfte Rolf-uncle den Holzscheit anzünden und Mama hat die Pooja an der Beach gemacht. Ich liess ihr gerne den Vorrang, da es wieder sehr emotional war. Das war nun der allerletzte Akt für Hans.
Barfuss erklommen wir die Treppe zum Tempel. Oben angelangt, blieb ich wie angewurzelt stehen. Es war kaum zu beschreiben, aber vor mir lag der Hindu-Tempel in der Morgenstimmung und dahinter die Bergkette, die genau gleich aussah, wie wenn ich vor meinem Elternhaus auf der Lenzerheide gestanden hätte. Vom Scalottas zum Danis bis zum Stätzerhorn hinüber. Es war überwältigend und ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich war Hans und meinen Eltern so nah, dass es weh tat und ich wusste, dass es Hans hier gefallen würde. Er war meiner Familie immer sehr nah gestanden und in all den Jahren wurde in der Familie Bruderer keine Entscheidung gefällt, ohne Hans nach seinem Rat gefragt zu haben. Hans war immer gerne auf der Lenzerheide gewesen und die Berge haben ihm gefallen, auch wenn er weder Ski fuhr, noch sich sonst sportlich im Schnee betätigte. Und jetzt war er hier und es sah genauso aus wie auf der Lenzerheide. Damit war ein Teil von ihm an seinem Lieblingsort im Meer bei Varkala und der zweite Teil hier in den Bergen, wo er sich fast in der Schweiz wähnen konnte. Für mich war es der schönste Augenblick der ganzen Reise. Den werde ich nie vergessen. Dr. Gopika hätte sich keinen schöneren Ort aussuchen können.
Inzwischen war alles organisiert und wir gingen zum heiligen Fluss hinunter. Natürlich habe ich keinen Ganges erwartet, aber doch einen Fluss oder mindestens einen Bach, aber das war ein Rinnsal! Wirklich nicht mehr. Nach der Trockenzeit plätscherte nur wenig Wasser und an dieser Stelle war alles mit Knöchlein übersät. Savitha stand im Wasser, schüttete die Knöchlein ins Wasser und legte auch das Tontöpfchen in die Wasserrinne, so dass es sich füllte. Ich stand am Ufer, betete und wieder flossen die Tränen. Ich war wirklich froh, dass Savitha diesen letzen Abschnitt für ihren Papa gemacht hat und ich nur zuschauen konnte. Es war schon sehr emotional und obwohl ich mich gut fühlte, war es doch wieder ein Abschied.
Danach spazierten wir wie alle anderen Pilger den Flusslauf hinauf, wo der Bach zu einem Bad gestaut war. Dr. Gopika und Savitha machten ihre rituelle Waschung, bevor sie zum Priester gingen für die Pooja. Beim Auslauf des Teiches floss das Wasser als kleines Bächlein in einem tiefen Graben weiter ins Tal. Darin standen Savitha und Dr. Gopika nebeneinander, vor sich eine Art Steinmauer, wo sie die Pooja drauf machten und der Priester gab von oben her Anweisungen. Es wurden ihnen Blätter gereicht, Grasbüschel, eine Handvoll Reis und Blumenblüten. Der Priester sagte die Gebete in Sanskrit vor, die nachgesagt werden mussten. Savitha und Dr. Gopika verneigten sich vor ihren Opfergaben, schöpften Wasser aus dem heiligen Bächlein und „wuschen“ den Reis, sie kreisten die Reiskörner zwischen den Fingern 3x über dem Kopf und diese Zeremonie wiederholte sich 7x. Am Schluss wurde das Blatt mit dem Reis und den Gräsern wie ein Schiffchen geformt und dem Wasser übergeben. Savithas Schiffchen konnte sich durch diverse Windungen einen Weg bahnen und kam am weitesten voran, bis es irgendwo an einem Ast hängen blieb. Damit war die Zeremonie abgeschlossen. Dr. Gopika hatte sie für ihr Sanskrit gelobt und sie hatte ihre Aufgabe mit Bravour gelöst. Sie war auch sichtlich froh und erlöst, alles hinter sich zu haben. Wieder zurück beim Tempel begann die offizielle Morgenpooja und auch da waren Dr. Gopika und Savitha wieder an vorderster Front dabei. Ich durfte das Heiligtum nicht betreten, habe aber von draussen das meiste mitbekommen.
Auf der Fahrt zurück ins Hotel gingen wir noch bei einem anderen Tempel vorbei. Der sollte so quasi neben der Hauptstrasse liegen, doch wir fuhren und fuhren und fuhren, bis wir ihn endlich in der Mittagshitze erreichten. Wir machten unsere Poojas, umkreisten den heiligen Banyanbaum 7x und gedachten bei jeder Runde einem lieben Menschen. Püntlich zum Mittagessen erreichten wir müde das Hotel. Wir hatten den ganzen Vormittag nichts gegessen und gestern gabs nur vegetarische Kost. Doch jetzt durften wir zuschlagen und es gab Fisch und Chicken satt. Danach hatten wir unsere Siesta verdient. Im Laufe des Nachmittags zog ein heftiges Gewitter auf mit starken Regengüssen, es stürmte, blitzte und donnerte gewaltig. Dr. Gopika deutete das als gutes Omen und als Geschenk der Götter. Jetzt würden die Knochen von Hans weg geschwemmt, das Töpfchen dazu und somit sei er endgültig erlöst und könne in Frieden ruhen. Schön, wie alles immer perfekt geklappt hat, wie uns die Götter beistehen und wir sind überzeugt, dass wir nun alles für unseren Hans getan haben.
Am nächsten Tag ging es wieder zurück in die „Zivilisation“. Beim Pooko-See liess ich mich mit den Kindern über den See rudern und wir Frauen fuhren danach noch in einer Pferdekutsche um den See herum. Ein typischer Platz für indische Touristen, hübsch, aber auch leicht kitschig. Nach einem Eis waren wir alle wieder fit für die Weiterfahrt. Wir checkten am Mittag im Hotel in Calicut ein und am Nachmittag trafen wir den Acharya vom Pathanjali-Yoga-Center auf dem grossen Schulhofareal, wo am Nachmittag ein Seminar stattfand und gegen Abend die Massenmeditation. Zu diesem Anlass hätte Hans eigentlich als „Patron“ eingeführt werden sollen. Dr. Gopika hielt am Seminar ein Referat und zur offiziellen Einweihung durfte ich den ersten Docht des Deepam anzünden. Das hat es während den letzten 10 Jahren noch nie gegeben. Sonst stand ich immer im Hintergrund oder kam erst nach Hans an die Reihe. Das war eine grosse Ehre!
Bei der anschliessenden Meditation, wo sich an die 2'000 Leute eingefunden hatten, waren wir nicht mehr lange dabei, weil wir noch Freunde von Geetha besuchen wollten. Ich hatte diese Veranstaltung bereits vor einem Jahr erlebt. Damals haben Rolf, Ina und ich fleissig mitgeturnt und meditiert, während sich Hans mehr auf die Meditation beschränkt hatte.
Am letzten Tag unserer Pilgerreise fuhren wir nach Guruvayoor, wo der wichtigste Hindutempel in Kerala steht. Ich wartete wieder draussen und schaute dem geschäftigen Treiben zu. Gopikas blieben auch nicht lange - sie hätten noch stundenlang in der Schlange anstehen müssen, um ins Heiligtum zu gelangen. So begnügten sie sich damit, einen Blick aus der Weite auf die Gottheit zu erhaschen. Und wieder stand uns eine lange Autofahrt bevor. In Cochin besuchten wir Bekannte von Gopikas und gingen auf kurze Shopping-Tour. War mit Hans jeweils spannender gewesen! Abendessen gab es in Alleppey und gegen Mitternacht kamen wir alle müde, aber gesund nach Hause. Es war ein Abenteuer gewesen, doch alles ging gut und wir haben unsere Mission erfüllt. Jetzt sind wir „frei“ und können unsere Zukunft weiter planen.

Am 12. April gab Julian sein letztes Piano-Konzert, bevor er ein paar Tage später nach England flog, wo er die nächsten Jahre in einer Musikschule in Manchester studieren wird. Eine grandiose Chance für den 15-jährigen Piano-Virtuosen. Sicher wird es für ihn nicht leicht sein, in einem fremden Land zu wohnen, weit weg von zu Hause und seiner Kultur, aber er war ja bereits im letzten Sommer da und konnte schon etwas europäische Luft in England, Holland, Belgien und Frankreich schnuppern und hat bereits enge Banden geknüpft zu Familien, die zu ihm schauen werden. So hoffen wir, dass er möglichst viel profitiert von seinem Musikstudium. Das Konzert war eines der Besten, die er je gegeben hat. Zudem stand das Konzert dieses Mal nicht unter der Führung seines Vaters, sondern der Alliance Francaise. Deshalb verkam das Konzert nicht wie sonst zu einem Familien- und Jekami-Anlass. Ohne Vaters Kinderchor, dem Kirchenchor, der Heilsarmee-Brassband und wer sonst jeweils noch Lust hatte, ein Ständchen zu bringen...

Am gleichen Tag liess ich mir auch ein neues Outfit in Trivandrum verpassen. So nach dem Motto: ein neuer Lebensabschnitt – eine neue Frisur. Mit den grauen Haaren fiel der Altersunterschied zu Hans nie auf. Doch jetzt war eine Veränderung an der Zeit. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben die Haare gefärbt und anstatt blond/grau trage ich jetzt eine Kurzhaarfrisur in Mahagoni. Ich finde es super und unter all den schwarzhaarigen Leuten falle ich gar nicht mehr auf. Nur Savitha musste sich daran gewöhnen.

Nach diversen Muslim-Feiertagen folgte „Vishu“, das Neujahr der Hindus, wo ich zu einem gemütlichen Lunch bei Andresas im Thapovan eingeladen war. Von den Ostertagen danach haben wir auch nicht viel mitbekamen, da es in Varkala kaum Christen gibt und deshalb keine Prozessionen durchs Dorf führen.

Dafür waren wir am Ostersonntag zur Taufe der kleinen Eva eingeladen. Eva ist das Baby der jüngsten Schwester von Valsala. Bei dieser Gelegenheit sah ich zum erstenmal, wohin Bindu vor einem Jahr geheiratet hatte. In ein kleines Dorf, völlig abseits gelegen, in einem kleinen Häuschen wohnt sie mit 9 weiteren Mitgliedern ihrer Schwiegerfamilie. Sehr eng, dunkel und winzig alles, aber sie fühlt sich da wohl, sie hat einen guten Ehemann und eine liebe Schwiegermutter. Ich war natürlich die grosse Sensation und sofort wurde ein Stuhl für mich aufgestellt. Wurde sicher schon Tage zum Voraus organisiert! Die Taufe fand im Nachbarhaus statt. Ein kleines Lehmhaus mit einem mit einer Plane überdachten Vorraum. Es war heiss und stickig hier drinnen und die 60 Pfingstgemeindler sassen dicht gedrängt auf Reismatten am Boden. Nur die Ehrengäste – Savitha und ich – durften auf zwei Stühlen Platz nehmen. Zwei altersschwache Ventilatoren wirbelten heisse Luft durcheinander. Der Schweiss rann in Bächen und auch die kleine Eva hatte Schweissperlen auf Stirn und Stupsnäschen. Drei Priester - der Dorf-Priester, der District-Priester und einer aus der Verwantschaft hielten die Predigt, die schon über 2 Stunden dauerte. Als wir dazu kamen, hiess es, dass in 10 Minuten die Taufzeremonie beginnt. Aber aus den 10 Minuten wurden nochmals 1½ Stunden. Die fanatische Art passte mir nicht und wenn man nichts versteht, tönt es wie bei einer Wahlpropaganda. Da wird auf die Leute eingeredet und alle rufen immer wieder verzückt dazwischen „Halleluja“, „Praise the Lord“ oder „Sotram“ – was soviel heisst wie „segne uns“. Das hat so etwas Sektiererisches an sich. Die Taufzeremonie war im schlichten Rahmen und anstatt dem Täufling Wasser über den Kopf zu tröpfeln, wurde das Baby mit den Eltern gesegnet. Auch Eva war froh, als alles überstanden war. Sie schrie und strampelte in den Armen des Priesters – hätte ich auch an ihrer Stelle, wenn er so auf mich eingeredet hätte. Nach dem Mittagessen fuhren wir mit Daniel noch in den Zoo nach Trivandrum und zum Eis essen. So hatten wir ein wenig anders Ostern gefeiert als sonst, aber es war ein schöner und erfüllter Tag gewesen.

Die Woche nach Ostern war ruhig, so dass ich zu Hause einiges erledigen konnte. Ab 24. April war dafür wieder grosses Programm angesagt. Wir meldeten Savitha offiziell in der neuen Schule an, nachdem ich die Tage davor wegen dem Transfer-Certifiate gerannt war. Am gleichen Tag hiess es, dass ich noch ein Haus besichtigen könne. Ich machte mir keine grossen Hoffnungen – einfach wieder eines mehr. Aber nein, dieses Mal wars etwas anderes! Ein neues Haus, welches erst gerade fertig wurde. Wohnzimmer, Esszimmer, zwei Küchen, 5 Zimmer auf zwei Etagen, zwei Bäder, Dachterrasse, Autounterstand, eine Aussentoilette mit Dusche und ein wenig Umschwung. Halt nach typischen indischen Standards gebaut mit kleinen Zimmern und nicht alles ist perfekt und praktisch, aber passabel. Als Übergangslösung sicher das Beste, was mir bis jetzt angeboten wurde. Und das zu einem sehr vernünftigen Preis. Für 85 Franken (knappe 60 Euro) kann man wirklich nichts sagen. Ja, das wird unser baldiges zu Hause. Für die Inder ist nicht das Haus das Wichtigste, sondern das Umfeld. Und auch das stimmt. Wir sind in einer sehr guten und sicheren Wohngegend, in einer ruhigen Seitenstrasse, den Hauseigentümern können wir vertrauen und sie wohnen gleich 3 Häuser weiter. Sie werden uns beim Einleben helfen und unterstützen und auch mit den Nachbarn sollte es keine Probleme geben. Ich musste mich sofort entscheiden, da sie einem anderen Interessenten das Haus eigentlich schon versprochen hatten, doch lieber hätten sie uns als Mieter. Also sagte ich zu und ich denke, dass ich die Entscheidung nicht bereuen werde. Am nächsten Tag habe ich nochmals alles in Ruhe besichtigt, danach durfte ich den Mietvertrag selber aufsetzen und in der letzten Maiwoche werden wir das Haus einweihen. Der Astrologe wird uns noch ein gutes Datum mit der besten Zeit geben.

Ich bin überzeugt, dass es so sein musste, dass es mit dem „Hexenhäuschen“ nicht geklappt hat. Der Astrologe hatte immer gesagt, dass wir uns erst um ein neues Haus kümmern sollen, wenn Hans in Thirunelli sei. Somit war die Zeit noch nicht reif gewesen und kaum war alles erledigt, fiel mir dieses Haus in den Schoss. Also wird es das richtige sein. Dass es mit dem Shankar-Haus nicht geklappt hat, beschäftigt mich nicht mehr. Die Eigentümer wollten mir mit den letzten Bauarbeiten nicht entgegen kommen und mit dem Preis wurden wir uns auch nicht einig. Zudem hätte ich da praktisch alles neue Möbel kaufen müssen, weil meine einfach zu gross und zu sperrig gewesen wären. Jetzt aber kann ich noch die alten Möbel gebrauchen und wenn wir dann in etwa 2-3 Jahren wirklich nochmals umziehen wollen, dann kann ich immer noch neue Möbel anschaffen. Jetzt freuen wir uns alle auf den Umzug und auch Dr. Gopika ist froh, eine so gute Lösung für uns gefunden zu haben. Zum Einkaufen sind wir in wenigen Minuten in Kazhakuttom, wo wir alles bekommen und Savitha kann mit dem Rad zu Schule fahren. Zudem hat es im Quartier viele Kinder, welche die gleiche Schule besuchen. Ich bin zuversichtlich, dass wir uns schnell einleben werden und es uns gefällt. So sind wir jetzt schon fest am Ausmisten und Aussortieren, damit wir Ende Mai all den überflüssigen Plunder los sind. Auch der ganze Umzug sollte keine Hexerei sein. Es haben sich schon so viele Helfer gemeldet - Shaji kennt einen Lastwagenfahrer, der uns günstige Konditionen gewährt und an starken Männern wird es nicht mangeln. Nur muss ich alles vorbereiten, dann überwachen und Anweisungen geben. Aber auch das wird zu schaffen sein. Wenn ich denke, was ich alles schon erreicht habe in diesen turbulenten Monaten – ich wuchs ja richtig über mich hinaus! – so wird auch der Umzug zu bewältigen sein.

Ob ich im Mai dazu komme, den Newsletter zu schreiben, ist noch nicht klar, aber sobald wieder ruhigere Zeiten einkehren, melde ich mich und bestimmt hört ihr Ende Juni von mir. Bis dahin also alles Gute und drückt uns die Daumen, dass alles gut geht. Die neue Adresse mit Telefonnummer wird zu gegebener Zeit bekannt gegeben. Die e-mail Adresse bleibt gleich.

Wir schicken euch herzliche Grüsse – zum letzten Mal aus der Villa Deepam

Yvonne und Savitha

März 2006

Während mir der Februar noch unendlich lang erschien, flog der März nur so vorbei. Ich darf behaupten, dass ich auf einen erfolgreichen und guten Monat zurückblicken kann. Ich staune jeden Tag, wie gut ich mein neues Leben im Griff habe und freue mich über die vielen kleinen Erfolge, die ich immer wieder erlebe. Es gibt noch immer sehr viel zu tun und ich bin jeden Tag voll engagiert, aber das ist gut so und es macht mir Mut, dass ich es schaffen werde.

Der 1. März schien ein Glückstag zu sein. Nach meiner Behandlung im Geethanjali wurde mir ein neues Haus in der Nähe von Gopikas gezeigt, welches in wenigen Monaten bezugsbereit sein wird. Es wird vom gleichen Architekten gebaut, wie das Geethanjali und das Gästehaus. Es war schon immer mein Traum gewesen, in einem Shankar-Haus zu wohnen und dieser Traum soll nun vielleicht in Erfüllung gehen. Das Haus liegt absolut ideal zwischen dem Geethanjali und Savithas neuer Schule. Mitten in Chittattumukku und trotzdem ruhig gelegen, etwas abseits der Hauptstrasse mit nur wenigen Nachbarn rund um das grosse Grundstück. Das Haus ist im typischen Keralastil gebaut mit Sichtbacksteinen, Giebeldächern, dem tradtionellen Eingang mit Säulen und sogar mit einem kleinen Innenhof mit Deckenlicht, der aber als Höflein bezeichnt werden muss. Ein richtiges Bijoux. Der einzige Nachteil: Das Haus ist sehr klein. Ein Zimmer für Savitha, eines für mich, ein gemeinsames Bad, Büro, Wohn- und Essbereich und eine kleine Küche. Alles ist hell und freundlich, sehr stimmig und da das Haus nach den hiesigen Vastu-Regeln gebaut wurde (zu vergleichen mit Feng-Shui), stimmen die Energien und ich denke, da könnten wir glücklich werden. Ich werde nach und nach die schweren und dunklen Holzmöbel durch helles und leichtes Inventar ersetzen – es muss modern, offen, freundlich wirken mit Glas, Stahl und ein paar Farbtupfern. Ich denke, das könnte eine gute Mischung werden aus traditionellem Keralastil und moderner Inneneinrichtung. Ich möchte etwas völlig anderes als bisher und unsere alten Möbel sind zum Teil klima- und altersbedingt bald nicht mehr brauchbar. Zudem knabberten die Hunde daran und die Holzwürmer hatten sich gütlich getan.

Aber noch wussste ich nicht, ob die Hauseigentümerin das Haus überhaupt zur Miete geben will und ich musste mich bis Ende Monat gedulden. Dann kam Jasmin aus London und ich verhandelte mit ihr und ihrem Mann. Wenn wir uns mit der monatlichen Miete einig werden und die Sterne für uns gut stehen, bekomme ich das Haus. Ich bin total happy und freue mich sehr darauf! Jetzt muss ich nur noch warten, bis alles fertig ist. Im Garten gibts noch viel zu tun, aus dem Kuhstall wird eine Garage und vielleicht wird aus dem damaligen Hühnerunterstand eine gedeckte Terrasse, wo wir essen, lernen, arbeiten und uns erholen können. Es gibt noch viel zu tun und es wird noch eine Weile dauern, bis wirklich alles fertig ist. Ich hoffe, dass wir spätestens während den Onam-Ferien (anfangs September) umziehen können. Zuerst richten wir alles mit den alten Möbeln ein und leben uns ein, damit Valsala während meiner Abwesenheit im Dezember/Januar alleine kutschieren kann. Und erst im neuen Jahr werde ich mich dann um die neuen Möbel kümmern. Eins nach dem anderen. Savitha schlug sogar vor, ihr Sparschweinchen zu leeren für ein neues Möbelstück... Sie will unbedingt auch ihren Teil zum neuen Haus beitragen.

Valsala erzählte mir traurig, dass ihre Hochzeitspläne geplatzt seien. Warum denn das? Die Eltern von Jayan (Bräutigam) verweigern ihren Segen. Und hier bedeutet der elterliche Segen einfach alles. Als Jayans Bruder Rajan Valsala fragte, ob sie Jayan heiraten wolle, ging sie davon aus, dass die Eltern Bescheid wissen, weil Rajan als älterester Sohn das Familienoberhaupt ist. Jetzt fühlen sich die Eltern hintergangen und wollen partout nicht zustimmen. Ihre Idee: Sie suchen selber nach einer passenden Frau für Jayan. Und wie soll die sein? Eine Frau, die als Mitgift Land und ein Haus mitbringt, wo sie mit ihrem Mann, samt dessen Sohn und seinen Eltern wohnt und die dann auch noch Ehefrau, Putzfrau und Mädchen für alles spielt. Das wird wohl relativ schwierig werden... Welche Frau heiratet schon einen Witwer mit Sohn und dessen Eltern, die alle mausarm sind und nichts haben? Ich denke, da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Doch Valsala will nur Jayan und er nur sie. Auch wenn beide nicht viel haben, so wäre diese Verbindung doch für alle ideal. Es liegt nur noch an den Eltern, die im Moment aus Trotz auf stur stellen, weil sie vorher nicht angefragt wurden.

Noch immer hatte ich viel zu tun im Büro, ob private Korrespodenz oder als „Marketing Manager“ fürs Geethanjali. Im Moment scheinen alle ihre Herbst- und Winterferien zu planen. In meinem „Reisebüro“ läufts rund ich beantworte Anfragen für Ayurvedakuren, gebe Auskünfte, manage Termine und schicke Buchungsbestätigungen. Ich hoffe, dass wir so die drei Einzelzimmer im Geethanjali für die kommende Saison wieder gut auslasten können.

Neben der ganzen privaten Korrespondenz und was sonst noch alles zu bewältigen war, musste ich mich auch noch um unsere kleine Firma kümmern. Die „Merlotscha Consulting Pvt. Ltd.“. Ich hatte keinen Zugriff mehr zum Firmenkonto und deshalb musste ich mit dem Treuhänder eine Lösung finden, wie ich die Firma in Zukunft führen will. Ich werde als Managing Director die alleinige Führung übernehmen und alle 99 Anteile gehen an mich. Dr. Gopika bleibt der indische Partner mit einem Anteil. Poah, ein toller Titel – das gibt eindrucksvolle Visitenkarten! Aber der Titel brachte mir auch viel Arbeit, da der Jahresabschluss vor der Türe stand. So etwas habe ich in meinem Leben noch nie gemacht! Aber siehe, auch das war zu erledigen. Hans hatte die ganze Buchhaltung gut strukturiert und organisiert, so dass ich nur noch die fehlenden Positionen nachtragen musste. Und schliesslich habe ich vor vielen, vielen Jahren einmal eine Handelsschule besucht! Ich war dann mächtig stolz, als ich dem Treuhänder noch vor dem offiziellen Termin den Jahresabschluss präsentieren konnte und er ihn akzeptiert hat.

Auch Savitha ging es gut im vergangen Monat. Sie war mit ihren Prüfungen sehr beschäftigt und musste viel lernen und vorbereiten. Mitte März gings dann endlich los und alle zwei Tage wurde ein Fach geprüft. Sie freute sich über all die vielen mails in ihrer privaten mailbox und versuchte, sie auch zu beantworten, ob mit mails oder lustigen digital-cards. Trotz den Prüfungen war sie gerne meine Sekretärin, hat die mails täglich zweimal gecheckt, ausgedruckt und sie mir zur Bearbeitung zu den Pendenzen gelegt.

Während den ganzen Prüfungsvorbereitungen mussten wir uns auch um die Aufnahme in der neuen Schule kümmern. Dr. Gopika hatte ein Gespräch mit der Prinzipalin – Schwester Greetha – die von einem katholischen Orden in Rom stammt. Besucht Savitha somit ab der 8. Klasse eine katholische Klosterschule? Hier ist das eine normale Privatschule mit einem guten Ruf und wie überall in Kerala werden auch Kinder aus Hindu- und Muslim-Familien aufgenommen. Während die christlichen Kinder ihren Religionsunterricht haben, werden die anderen in Moral-Science unterrichtet. Auch traditionelle Hindus, wie Familie Gopika, schicken ihre Kinder gerne in die guten christlichen Schulen.

An Savithas letztem Prüfungstag mussten wir uns am Mittag sputen, um rechtzeitig im Geehtanjali zu sein, da wir einen Termin hatten bei der Prinzipalin, die Savitha kennen lernen wollte. Es hiess, dass es sich nur um ein Vorstellungsgespräch handle und dass sie Savitha so oder so aufnehmen würden. Und das ohne den üblichen Eingangstest! Savitha war trotzdem nervös, gab aber laut und deutlich Antwort, sagte nicht nur „yes“ und „no“, sondern bildete ganze Sätze und gab bereitwillig Auskunft. Und das in perfektem Englisch. Schwester Greetha war beeindruckt. Doch dann hiess es plötzlich, dass Savitha wie alle anderen einen Test machen soll. Ihr fiel das Herz in die Hosen - und mir auch! Sie dürfe wählen, ob sie den Test jetzt gleich machen wolle oder in den nächsten Tagen, wenn sie jetzt zu nervös sei oder zu müde von den Prüfungen am Morgen. Savitha entschied sich, die Prüfung sofort hinter sich zu bringen. Bravo, das fand ich gut. Dann ist es überstanden. Sonst kann sie die nächsten Tage bei Gopikas gar nicht richtig geniessen und vorbereiten kann sie sich auch nicht, wenn sie keine Ahnung hat, was auf sie zukommt. Also hat sie sich ins Lehrerzimmer gesetzt und füllte die drei Fragebogen aus. English, General Science und Maths wurden geprüft. Am nächsten Tag kam der Bescheid. Sie wird aufgenommen! Sie ist zwar nicht ganz so gut wie Malu, aber mit etwas Nachhilfe kann sie das aufholen. Sie hatte bis jetzt den All-India-Lehrplan und muss sich jetzt auf den Kerala-Lehrplan umstellen. Aber sie wird es schaffen. Und jetzt freut sie sich auf die neue Schule, dass Malu sie einführt und hoffentlich gewinnt sie auch bald so gute Freundinnen, wie in der M.G.M. Schule. Dort hatte es bei der Abschlussparty bittere Tränen gegeben und alle waren traurig, dass sie ging.

Mein neuer Fahrer hat sich als absolute Perle entpuppt. Er fährt mich nicht nur sicher mit der Rikscha nach Varkala und mit dem Auto nach Trivandrum, er behandelt das Auto, wie wenn es sein eigenes wäre, lässt alles im Workshop richten, falls es irgendwo klemmt, quietscht oder sonst nicht rund läuft. Und er hilft mir bei stark befahrenen Strassen sicher auf die andere Seite hinüber. Daneben erledigt er viele Botengänge, organisiert und klärt ab, so dass ich nicht immer springen muss. Er kennt alle und jeden in Varkala und das erleichtert vieles. Shaji hat gleich einen Kollegen zur Stelle, wenn der TV flackert, wenn der Wasserhahn tropft organisiert er den Klempner und als die Telefonlinie tot war, holte er den „Lineman“, der sich darum kümmerte, dass wir wieder mit der Welt verbunden wurden. Hoffentlich finde ich in Chittattumukku auch wieder einen solchen Mann.

Der Namenswechsel des Telefonanschlusses war so ein Fall für Shaji. Die Telefonrechnung lief auf Hans und Yvonne Muller – neu auf Yvonne Muller. Weil hier nichts ohne schriftlichen Antrag läuft, habe ich zu Hause ein Gesuch formuliert, wie ich sie seit Ende Januar zu dutzenden schon geschrieben habe, legte die Kopie der letzten Telefonrechnung und des Totenscheines bei. Ich schickte Shaji zum Telefonamt und gab ihm die vorbereiteten Unterlagen mit. Aber nein, so einfach ist das nicht! Das läuft hier ganz anders: Zuerst ein spezielles offizielles Papier mit einem Stempel kaufen, dazu Stempelmarken, ein Formular vom Telefonamt ausfüllen, den Inhalt des Formulars auf das offizielle Papier von einem öffentlichen Schreibbüro übertragen lassen, das Schreiben von einem Notar beglaubigen lassen, den Totenschein von einer bestimmten Amtsstelle beglaubigen lassen und dann könne ich wieder kommen. Oje, so kompliziert! Shajis Kommentar: No problem, Mama! Und schon organisierte er alles und ich musste am Schluss nur noch den Fackel abgeben. Alleine wäre ich da tausend Mal gerannt...

Neben all der geschäftlichen Rennerei und der vielen Arbeit vor dem PC, nahm ich mir aber auch Zeit für Freunde. Einen gemütlichen Pizza-Weiberabend auf den Klippen, Treffen im Preeth und Tee-Nachmittage auf unserer Terrasse - das musste einfach sein. Savitha und ich nahmen auch gerne die eine oder andere Einladung an. Wir waren bei Joe und seiner „indischen Familie“ im Thiruvambadi Beach Resort, wo Savitha mit der kleinen Aisha spielte, mit Gopikas und ihren Gästen genossen wir im Veli-Park den Sonnenuntergang und besuchten ein klassisches Konzert eines französischen Kammerorchesters. Trotz Stromunterbruch spielten die 4 jungen Musiker im Dunkeln unverdrossen weiter und auch danach, als der Generator lärmte und im Nebengebäude ein anderes Konzert gegeben wurde, liessen sie sich nicht stören. Wir trafen uns mit Freunden zu gemütlichen Abendessen in der Stadt und bei einer indischen Freundin zu Hause lernte ich den Holländer Paul und die blinde Sabriye aus Deutschland kennen, die zusammen ein grosses Blindeninstitut in Tibet auf die Beine stellten. Sie sind jetzt dran eine Ausbildungsstätte für Blinde und Sehbehinderte in Trivandrum zu bauen. Diese Abwechslungen geniesse ich jetzt sehr, wo ich doch die Tage oft im Büro zu Hause verbringe.

Eine spezielle Einladung kam vom Bankmanager, der mich zu einem Kundenmeeting einlud. Ich wusste in etwa, was mich da erwartet und hätte nicht viel verpasst, wenn ich abgesagt hätte. Ich wollte mir aber damit beweisen, dass ich auch alleine in der Öffentlichkeit auftreten kann. Ich zog mich hübsch an und liess mich (ganz Madam) von Shaji zum Hotel fahren. Es war eine ziemlich ungewohnte Situation, da ich solche Anlässe sonst nur mit Hans besuchte. Doch man machte es mir wirklich leicht. Ich wurde nett empfangen, zu einem Platz begleitet, man erkundigte sich nach meinen Wünschen und ob ich bequem und angenehm sitze. Und schon kam jemand aus dem Dorf und nach dem üblichen Small-Talk-Geplänkel begann auch schon das Meeting. Nach dem Prayersong wurde Hans mit einer Gedenkminute geehrt. Das hat mich sehr berührt und ich musste eine Träne verdrücken. Der Stuhl links neben mir blieb leer, da sass mein Hans. Das Meeting war viel interessanter als ich erwartete, weil relativ viel in Englisch gesprochen wurde. Sonst kam es oft vor, dass es sich um reine Malayalam-Meetings handelte. Anschliessend gabs noch einen kleinen Snack und damit wurde die Runde aufgehoben und der Bankmanager verabschiedete seine Kunden persönlich per Handschlag. Das hatte ich doch gut gemacht? Ich durfte wieder stolz sein – auch das kann ich alleine und es war gar nicht so schlimm gewesen.

Am darauf folgenden Montag kam ein überraschender Anruf von Marlies, die bei der Swiss (Airline) arbeitet. Sie fragte mich, ob ich ab Mittwoch bis zum Wochenende zu Hause sei. Aber natürlich! Dann werde sie mich am Mittwoch besuchen. Das tönte gerade so, wie wenn sie im Nachbardorf wohnen würde... Dabei flog sie am Dienstag ab Zürich über Mumbai und erreichte Trivandrum am Mittwoch nachmittag. Wir verbrachten herrliche Tage hier in Varkala. Zu Hause, an der Beach, bei den Klippen, am Pool vom Preeth und bei Andreas im „Thapovan“ in Kovalam, wo wir in den neuen Bungalows unten an der Beach einquartiert waren. Es war wie im letzten September als wir zusammen auf den Malediven waren – wie Ferien!

Ich werde zwar nicht so kurzfristig in die Schweiz fliegen, aber auch ich habe mein Ticket reserviert. Am 1. Dezember gehts los und komme am 15. Januar 2007 wieder zurück. Ich schwelge schon heute mit meinen Eltern in Vorfreude und wir können es kaum mehr erwarten. Es ist so schön, wenn man sich wieder auf etwas freuen kann und ein Ziel vor Augen hat. Bis es aber soweit ist, gibts hier noch viel zu tun. Der grösste Brocken ist sicher der Umzug, der mir noch auf dem Magen liegt. Aber wie bis anhin, werde ich auch da einen Tag nach dem anderen nehmen und so werden wir das auch irgendwie schaffen.

Wir hatten anfangs März die ersten Sommergewitter mit starken Regenfällen. Für die Natur ein Segen, die Luft war endlich wieder rein und der Staub gebunden. Nach 10 Tagen wars vorbei und jetzt hat uns die Sommerhitze wieder. Dank der angenehmen Brise tagsüber ist es aber gut zum Aushalten.

Der März war zwar ein anstrengender, aber erfolgreicher Monat gewesen und ich bin froh, wieder vieles erledigt zu haben. Immer war etwas los. Von Langeweile keine Spur und ich komme auch gar nicht zum Grübeln und habe keine Zeit zum Traurig sein. Ich fühle mich noch immer ziemlich gefordert, obschon alles etwas einfacher von der Hand geht als am Anfang. Nach der kopflastigen Arbeit bin ich jeweils froh um das tägliche Training auf dem Laufband. Dabei kommen mir die besten Ideen, ich kann den Kopf auslüften und bin danach wieder aufnahmefähig.

Der April steht ganz unter dem Zeichen der Pilgerreise mit der zweiten Urne von Hans nach Wynad in Nordkerala. Dr. Gopika hat schon alles organisiert und so werden wir zu 8 (!) in unserem Auto plus Urne und Gepäck für 5 Tage unterwegs sein. Ich weiss zwar nicht genau, wie das platzmässig gehen soll, aber Dr. Gopika beteuert immer: no problem! Das wird auf alle Fälle ein Abenteuer!!! Ich lasse mich überraschen und freue mich auf die Reise. Danach haben wir für Hans wirklich alles gemacht, um seine Seele zu erlösen und wir sind sicher, dass er in Frieden ruhen kann. Das gibt uns ein gutes Gefühl und Savitha und ich sprechen viel mit Papa, reden von ihm und so ist er immer bei uns. Und noch immer zünden wir jeden Abend beim Sonnenuntergang – genau um 18.30 Uhr versinkt die Sonne im Meer - das Öllämpchen draussen im Garten an, wo die zweite Urne noch vergraben liegt. Auch dies ein schönes Ritual um den Tag abzuschliessen.

Savitha verbrachte die letzte März-Woche im Geethanjali und genoss die Tage mit Malu und ihren beiden Cousinen. Da war natürlich immer mächtig was los. Malu und Savitha bekamen ihre neuen Fahrräder, damit sie nach den Ferien zusammen in die Schule radeln können. Malu entschied sich für ein blaues Fahrrad mit Körbchen für die Schultasche, Savitha wünschte sich natürlich ein rotes. Jetzt üben die beiden kräftig, damit sie sich auf der Strasse sicher fühlen.

Wir wünschen euch eine gute Zeit und freuen uns mit euch, dass sich nun doch langsam der Frühling in Europa zeigt und der strenge Winter zur Vergangenheit gehört.

Liebe Grüsse

Yvonne und Savitha

Februar 2006

Ein schwerer und langer Monat neigt sich dem Ende entgegen. Das Leben ist nicht mehr wie vor dem 23. Januar, aber Savitha und ich rappeln uns auf und sind auf gutem Weg, unseren neuen Lebensabschnitt in den Griff zu bekommen und ihm wieder einen Inhalt zu geben. Es wird nie mehr so sein wie vorher, aber wir sind überzeugt, dass wir zuversichtlich in die Zukunft blicken dürfen. Wir fühlen uns beide sehr getragen von der hiesigen Bevölkerung, die Anteilnahme und Hilfe aller Freunde ist überwältigend und wir gehören jetzt zur Geethanjali-Familie. Auf diesem Weg bedanke ich mich nochmals herzlich für eure grosse Anteilnahme, die lieben Briefe und e-mails mit den tröstenden und aufbauenden Worten, die zahlreichen Anrufe und für die Spenden zum Gedenken an Hans. Es tut gut zu wissen, dass alle uns in Gedanken begleiten.

Mein Bruder Rolf war mir in den 10 Tagen eine riesige Stütze gewesen und ich bin ihm unendlich dankbar, dass er an meiner Seite war und mir bei den ersten Schritten in ein neues Leben half. Zwischen all den Zeremonien und Poojas haben wir jeden Tag von morgens bis abends gearbeitet, das Büro neu organisiert, ganze Aktenschränke mussten durchgesichtet werden und es gab viel zu tun. Ich hatte grossen Bammel vor dem Abschied, da ich von jetzt an wirklich alleine sein werde. Am Mittag alleine am Esstisch sitzen, ausser Savitha spricht niemand mehr in meiner Muttsprache, mit wem kann ich mich austauschen, wem kann ich mich anvertrauen, wer baut mich auf, wenn ich traurig bin? Zudem fehlt es mir an Selbstvertrauen und von jetzt an muss ich alle Entscheidungen alleine fällen. Mit Rolf war alles viel erträglicher gewesen und er holte mich immer wieder aus einem Tief heraus. Er hatte mir während diesen Tagen beigebracht, dass ich mich an den kleinen Erfolgen erfreuen soll und wenn auch nicht alles auf Anhieb klappe, so soll ich doch jeden Abend Bilanz ziehen und sicher werde immer etwas Positives dabei sein. Und siehe da – ich hatte schon ganz viele solche Erfolgserlebnisse! Ja, es gibt so vieles, woran ich mich erfreuen kann. Ich bin jedes Mal stolz, wieder etwas gelernt zu haben, oder wenn wieder eine Pendenz vom Tisch ist. Und wenn es nur darum geht, dass ich jetzt weiss, wie man den Generator anlässt, wie das Elektrotableau mit den Stromzufuhren zu handhaben ist und als es Probleme mit dem Wasserhahn gab, habe ich auch das gelöst. Zudem habe ich bereits eine Privatsekretärin. Savitha checkt zweimal am Tag meine mails. Rolf hat ihr sogar eine eigene e-mail-Adresse eingerichtet, doch bis jetzt blieb die box meistens leer. Sie würde sich riesig freuen, ab und zu einen kleinen Gruss von jemandem zu bekommen. Ob in Deutsch oder Englisch spielt keine Rolle. Und sie wird auch bestimmt antworten! Hier ihre Adresse:
savitha.muller@hotmail.com

Der Abreisetag von Rolf rückte immer näher. Am 3. Februar fuhr ihn der Taxifahrer zum Flughafen. Ich durfte ihn nicht einmal begleiten, da ich bis am 9. Februar nach Hindu-Riten ans Haus gebunden war. Aber vielleicht war es auch besser so. Ich hatte überhaupt keine Zeit um traurig zu sein, denn kaum hatte ich mich von ihm verabschiedet, wurde ich ganz schön gefordert! Der PC stieg aus, ich hatte einen Virus eingefangen und die beiden Techniker waren bis in die Abendstunden beschäftigt, die Kiste wieder zum Laufen zu bringen. Das hatte mir gerade noch gefehlt! Da hatte mir Rolf alles so schön neu organisiert, strukturiert und geordnet und jetzt war ausser den nackten Daten alles weg und ich begann wieder von vorne. Aber wenigstens konnte ich den PC wieder benützten und durchs Internet war ich auch wieder mit der Welt verbunden. Ein harter Anfang!!! Doch am Abend rühmte ich mich, dass ich es geschafft hatte, die richtigen Leute zu organisieren und war glücklich, überhaupt wieder arbeiten zu können. Vielleicht brauchte ich diesen Kick und von da an kam alles ins Rollen. Ich wurstelte mich alleine durch, lernte viel in diesen Tagen und abends zog ich positive Bilanz. Es war unglaublich, aber es ging wirklich vorwärts. Meine Gefühlswelt war ziemlich unausgeglichen, ein ständiges Auf und Ab und doch ging es mir relativ gut.

Drei Tage später wollte dann aber mein Körper nicht mehr. Ich bekam eine schmerzhafte Nervenentzündung an der rechten Hüfte, die mich völlig lahm legte. Ich konnte weder sitzen noch stehen, nicht liegen, nicht laufen und am Schlimmsten wars, wenn ich die Position ändern musste. Vor Schmerzen rannen die Tränen und wenn ich in den ersten Stock wollte, musste ich mich mit beiden Armen am Geländer hoch ziehen. Ich fühlte mich alt und nutzlos, niedergeschlagen und es gab Tage, da wollte ich einfach nichts mehr machen. Durch die Schmerzen konnte ich auch nicht mehr so viel arbeiten und so lag ich halt herum und tat nur das Allernötigste.

Der nächste Meilenstein war am 9. Februar. Am 16. Tag nach der Verbrennung sollte ich eine Pooja an der Beach machen. Ich hatte mich darauf gefreut, war es doch immer der Wunsch von Hans gewesen, einmal seine Asche hier an der heiligen Papanasam Beach dem Meer zu übergeben. Und obwohl dieses Ritual sonst nur die Söhne oder andere männliche Familienmitglieder machen dürfen, bekam ich die Erlaubnis für die Pooja. Bose, unser Vertrauter in Varkala, hatte alles organisiert. Ich hatte eine schlechte Nacht hinter mir, kam am Morgen kaum auf die Beine, während dem Frühstück wurde mir schlecht und musste mich hinlegen und ich fürchtete schon, dass ich die Pooja nie und nimmer durchstehen würde. Mit Ach und Krach duschte ich, zog mich an und wartete als Hausherrin auf die Gäste. Gopikas kamen mit ihrer Familie, Verwandten und ihren Kurgästen, Bose mit seiner Familie und anderen Freunden. Doch kaum betrat Geetha das Haus, fiel ich völlig in mich zusammen. Da klebte ich wie ein Häufchen Elend auf dem Sofa, kam nicht hoch, obwohl ich doch alle begrüssen wollte, ich litt unter den starken Schmerzen, mir wurde wieder schlecht und so kullerten abermals Tränen. Da kam emotional so viel zusammen, dabei wollte ich doch für Hans stark sein und nicht schwach, bleich und zerbrechlich. Doch mein Körper machte einfach nicht mit. Geetha erschrak bei meinem Anblick und begleitete mich ins Zimmer, wo ich mich nochmals hinlegte. Schnell fühlte ich mich etwas besser und ich war zuversichtlich, dass doch noch alles gut gehen würde.

Es war einfach zu viel gewesen. All die schweren Tage, der Abschied von Hans, Rolf nicht mehr hier und ich spürte förmlich die ganze Last auf meinen Schultern ruhen. Die Verantwortung für Savitha, das Geethanjali braucht mich, alles was sonst organisiert werden muss, ob Umschreibungen, Löschungen, Verkäufe. Dazu die vielen offenen Fragen: Wird Savitha auch in Zukunft bei mir bleiben? Wo werden wir wohnen? Wo wird Savitha zur Schule gehen? Steht mir überhaupt eine Witwenrente zu? Was ist mit meinem Visa?

Doch um 10.00 Uhr ging es los. Geetha und Mani, unsere liebste Nachbarin, halfen mir auf die Füsse, der Schwindel war weg und im Garten wurde bereits die eine Urne ausgegraben, wo Savitha und ich jeden Abend um 18.30 Uhr bei Sonnenuntergang die Öllampe anzünden und eine kleine Pooja machen. In drei Autos fuhren wir zur Beach, wo bereits weitere Freunde warteten. Ein herrlich sonniger Morgen erwartete uns. Ein wolkenloser, stahlblauer Himmel, eine angenehme Brise wehte, das Meer lag wie ein tiefblauer Teppich vor uns und die Wellen brachen sich schäumend, bevor sie am Ufer ausliefen. Die ersten Touristen hatten sich bereits am Strand unter den Klippen für einen weiteren Ferientag eingerichtet und um uns herum waren Einheimische, die auch ihre Poojas verrichteten. Es war ein typischer Morgen, wie Hans ihn oft erlebte, wenn er mit seiner Rikscha die „Varkala-Tour“ machte und den fragenden Leuten lachend erklärte, dass er nur kontrollieren wolle, ob das Meer noch da sei. Ja, es war noch hier! Für ihn ganz alleine!!! Hans kam oft an diesen Strandabschnitt, parkierte kurz, schaute den Priestern bei den Poojas zu, genoss den Blick über das weite Meer und dann gings weiter zu den Klippen oder zurück ins Dorf, wo er seine Einkäufe erledigte.

Während der Priester seine Mantras sang und ich nach seinen Anweisungen Reis, Blumenblüten und Rosenwasser in die Urne gab und dieses Ritual x-mal wiederholte, sass ich ihm ganz ruhig gegenüber im Sand. Die Schmerzen waren weg, ich konnte mich voll auf die Pooja konzentrieren, ich fühlte mich Hans sehr nah und ich spürte weder die stechende Sonne noch nahm ich sonst etwas um mich herum wahr. Nur der Priester, Hans und ich. Nur zum Aufstehen mussten mir Geetha und Mani helfen. Am Schluss trug ich den Tontopf auf dem Kopf zum Meer. Ich muss so bleich und schwach ausgesehen haben, dass alle dachten, ich würde die Urne fallen lassen. Aber nein, ich fühlte mich stark – für Hans. Ich lief aufrecht, den Topf auf dem Kopf haltend, ich stolperte nicht über den inzwischen schweren nassen Sari, der voll mit Sand paniert war, sondern trippelte Schritt für Schritt zum Ufer. Mit dem Rücken zum Meer stellte ich mich hin und Dr. Gopika gab mir ein Zeichen, wann ich den Topf rückwärts ins Wasser werfen musste, als gerade ein grosse Welle kam. Und nicht mehr zurück schauen! Ich hatte es geschafft und Hans wird erlöst werden. Ich war so überwältigt, dass ich nochmals zusammen brach. Wieder liefen die Tränen, Freunde umarmten mich, hielten und stützten mich und ich war glücklich, alles hinter mir zu haben. Hans hätte sich über diesen Morgen sehr gefreut.

Gopikas begleiteten uns nach Hause und liessen mir Medizin da und ein Öl, welches Valsala mir zweimal täglich einmassieren sollte. Und siehe da, zwei Tage später war die Entzündung über Nacht wie weg geblasen. Mir ging es wieder gut, hatte keine Schmerzen mehr, war voller Energie und Tatendrang. Das war eine typische Reaktion des Körpers gewesen und da ich nicht auf den Körper gehört hatte und von mir aus kürzer trat, hat er halt Stopp gesagt. Seither schätzte ich meine Gesundheit wieder, weiss, was es heisst, bewegungsunfähig und auf andere angewiesen zu sein.

Jetzt geht es mir sogar so gut, dass ich wieder mein Training aufgenommen habe, da ich gemerkt habe, dass mir ein normaler Tagesablauf fehlt. Deshalb stehe ich wie früher um 06.00 Uhr auf, trainiere bis zum Frühstück um 08.30 Uhr und danach wird gearbeitet bis zum Mittagessen. Wenns drinliegt, lege ich mich danach eine Stunde hin, wieder arbeiten bis Savitha aus der Schule kommt, mit ihre Zvieri essen, danach nochmals eine Stunde Power-Walking und nach dem Duschen ist es meistens Zeit für das Deepam im Garten unter den beiden Jackfruit-Bäumen. Bis zum Nachtessen gebe ich mich mit Savitha ab, danach wird nochmals kurz gearbeitet und bevor wir zusammen ins Bett gehen, schaue ich gerne die News auf DW-TV (Deutsche Welle) und die Spezialsendung danach. So hat mein Tag wieder eine Struktur bekommen und das ist gut so. Ich habe gelernt, wieder mehr auf den Körper zu hören und mir auch Auszeiten zu gönnen. Einen schönen Tag mit einer Freundin, ob zu Hause, an der Beach oder in der Stadt, jemanden besuchen oder nach Hause einladen - dafür muss einfach Zeit sein.

Nach dem 9. Februar war ich endlich wieder „frei“ und da ich das Haus von jetzt an verlassen durfte, musste ich allen Dingen nachspringen, die Rolf und ich durchgesichtet hatten und bis jetzt in Mäppchen geordnet im Schrank lagen. Auch das machte mir grosse Sorgen, doch nach einem klärenden Gespräch mit Bose, sah die Welt schon wieder ganz anders aus. Sein Rat: sit and relax! Er nahm mir viel Arbeit hier mit den Behörden ab, liess dabei seine Beziehungen spielen, erledigte Botengänge und ist für mich gerannt. Ich formulierte schriftliche Anträge und so wurde der Pendenzenstapel schnell übersichtlicher. Ich bin sehr dankbar, in der Not auf solche Freunde zählen zu können. Bose hatte sehr früh seinen Vater verloren und so holte er sich all die Jahre oft Rat bei Hans. Aus Dankbarkeit und Respekt ist er mir jetzt behilflich, solange wir noch hier sind.

Überhaupt habe ich erfahren, dass mir als Witwe von „Mr. Hans Muller“ sehr grossen Respekt entgegen gebracht wird. Alle haben mitgetrauert und ich werde jetzt noch von allen getragen, man kommt mir entgegen und ist sehr hilfsbereit. Unglaublich – damit hatte ich nie gerechnet, da hier sonst eine Witwe ein eher kärgliches Dasein fristet. Ohne Mann wird sie in der Schwiegerfamilie nur noch geduldet oder schlimmstenfalls sogar verstossen. Ich sehe erst jetzt, wie Hans hier im Dorf hoch angesehen war und respektiert wurde und dieser Respekt wird auch mir jetzt entgegen gebracht. Ob der Bankmanager, der mich zu Hause besucht, um meine Bankgeschäfte hier zu erledigen, damit ich nicht extra ins Dorf fahren muss oder der einfache Kerosen-Mann, der mir zeigt, wie unser Generator funktioniert. Alle helfen wo sie nur können. Als ich auf der Gemeinde nach dem Totenschein fragte, hatte Bose schon alles eingefädelt, damit sich die richtigen Leute um mich kümmerten und während ich mit dem Gemeindeschreiber eine Tasse Kaffee trank, wurde ein Mann losgeschickt, um das zertifizierte Papier in Varkala zu organsieren.

Am 15. Februar wäre Hans 76 Jahre alt geworden. Wir hatten bereits für diesen Tag geplant, mit Gopikas in die Stadt zu fahren und dort die Armen zu speisen. Dr. Gopika hatte schon lange alles organisiert und geplant und so wollten wir dem Geburtstagswunsch von Hans entsprechen, auch wenn er nicht mehr unter uns war. In einem alten, kleinen, dunklen Bramahnen-Haus in der Nähe vom berühmten Padmanabha Tempel in Trivandrum, wird jeden Tag gratis Essen an die Armen ausgegeben. Das ganze wird von einem Trust geleitet, einige Frauen wechseln sich jeden Tag beim Kochen und Servieren ab und jeden Mittag strömen die Armen herbei für eine kleine Mahlzeit. Wenn spezielle Sponsoren kommen, gibt es ein grösseres Essen und so hatte sich herumgesprochen, dass es am 15. Februar ein richtiges „Sadhya“ - ein Festessen - gibt. Auf Reismatten sassen die Frauen den Wänden ent61lang auf einer Seite, die Männer auf der anderen, davor die Bananenblätter und ich dufte beim Schöpfen helfen. Reis, Dhal, Curries, Papadam, Bananen. In 6 Schichten wurden an die 100 Leute verköstigt. Auch wir assen dort und ich werde gerne wieder einmal ein solches Essen zu einem speziellen Anlass spenden. Mir ging das Herz über, die Leute so glücklich zu sehen. Sie haben sonst wohl nicht mehr viel vom Leben zu erwarten. Da ist ein solches Essen eine mehr als willkommene Abwechslung. Das war ein würdiges Fest und Hans hätte sich bestimt sehr darüber gefreut.

An einem schulfreien Samstag besuchen Savitha und ich die 144 Mädchen im Waisenhaus in Trivandrum. Am 31. Januar feierten sie das 10-jährige Bestehen des Heimes. Zu diesem Anlass wurde das neue Gebäude eingeweiht und Christiane zeigte mir voller Stolz die neue grosse Aula, die Sporthalle, die auch als Musik- und Tanzzimmer benützt wird und das Nähatelier. In einem separaten Block sind noch diverse Abstellräume und die neue Garage für den Schulbus erstellt worden, das Dach dient als zusätzlicher Spielplatz. Zudem wurde auch das Krankenzimmer vergrössert, die Lehrerinnen haben jetzt mehr Platz und auch das Büro wurde leicht verändert. Bald sind alle Arbeiten abgeschlossen und vorerst soll es keine weiteren Ausbauten mehr geben. Während 10 Jahren wurde ständig gebaut, aufgestockt, ausgebaut und erweitert. Doch jetzt hat es genug Platz für alle und alles. Wir freuen uns mit dem Heimleiterehepaar, den Angestellten und Kindern über ihr schönes Daheim.

Natürlich tauchte auch schnell die Frage auf, was mit der Rikscha und unserem Auto passiert. Anfangs gab mir Bose einen Fahrer vom Preeth für mein Auto, doch in der Zwischenzeit habe ich einen eigenen Privatchauffeuer gefunden. Shaji, ein junger Familienvater aus unserem Quartier ist im Moment arbeitslos und so fährt er die Rikscha oder das Auto, wann immer ich ihn brauche. Die erste Fahrt von Savitha und mir in der Rikscha war sehr emotionell. Sogar für Shaji, der Hans natürlich auch kannte und wusste, dass bis jetzt niemand anders hinter dem Steuer sass. Savitha und ich hatten einen ziemlichen Kloss im Hals, als wir losfuhren. Alle Leute im Dorf kennen die einzige rote Rikscha – alle anderen sind schwarz mit einem beigen Streifen und werden als Taxis benützt – und deshalb reckten sie neugierig die Hälse. Sie wollten sehen, wer jetzt die junge Witwe mit dem Mädchen herum kutschiert. Es kam sogar vor, dass Rikschas und Autos zum Überholen ansetzten, dann auf gleicher Höhe mit uns fuhren, nur um einen Blick auf uns zu erhaschen, bevor sie wieder hinter uns her tuckerten. Ein komisches Gefühl. Doch inzwischen geht es gut und mit Shaji bin ich mobil und flexibel. Die Rikscha werde ich wahrscheinlich verkaufen, wenn wir Varkala verlassen, das Auto hingegen behalte ich und werde eine Lösung mit Gopikas zusammen finden.

Geetha begleitete mich oft in die Stadt, wo wir zusammen diverse Ämter aufsuchten, darunter das Home-Department, um offizielle Dokumente beglaubigen zu lassen. Eine sehr aufwändige Angelegenheit, die mit viel Umtrieb und Warterei verbunden war. Auf der Fremdenpolizei habe ich einen Antrag gestellt für ein 1-Jahres Visum. Ich hätte Ende Mai das Land verlassen müssen, aber wenn wir gleichzeitig umziehen wollen, Savitha die Schule wechselt, Valsala heiraten will und wir mit Gopikas auch noch die Pilgerreise in den Norden Keralas machen wollen, wird das etwas viel und so könnte ich den Aufenthalt in der Schweiz gar nicht richtig geniessen, wenn ich mich immer fragen muss, ob zu Hause alles rund läuft. Jetzt bin ich froh, diesen Antrag in die Wege geleitet zu haben und hoffe, dass ich das Visum bekomme. Erst wenn alles geregelt ist und wir uns im neuen Haus eingelebt haben, werde ich voraussichtlich von anfangs Dezember bis Mitte Januar 07 in die Schweiz fliegen. Ich freue mich jetzt schon auf die Adventszeit. Nach 10 Jahren (!) endlich wieder einmal Schnee zu erleben, Weihnachten auf der Lenzerheide mit meinen Eltern zu feiern, auf das neue Jahr mit ihnen anzustossen und dann noch die ersten Januartage geniessen, bevor ich am Jahrestag wieder für eine Pooja hier sein werde. Vielleicht getraue ich mich sogar auf die Skis, sicher aber aufs Eis, lange Spaziergänge dem verschneiten See entlang, einfach mich bei Mami und Papi wohlfühlen, Zeit haben, das vergangene Jahr zu verarbeiten. Natürlich freue ich mich auch darauf, meine Schwester und ihre Familie zu besuchen. Bei dieser Gelegenheit werde ich ihren kleinen Lukas, der am 6. Januar dieses Jahres geboren wurde, endlich kennen lernen und ich werde ausgiebig mit meiner Nichte Michelle spielen. In Bern werde ich bei Rolf und seiner Ina sein, während ich mich gleichzeitig um ein neues 5-Jahres Business-Visum kümmere.

Mit all diesen Plänen können wir schon wieder positiv in die Zukunft blicken. Im Moment sind wir noch auf Haussuche, doch wir sind zuversichtlich, etwas Passendes zu finden. Gopikas, ihre Verwandten und Freunde schwärmen überall aus und halten Augen und Ohren offen. Vier Objekte haben wir bereits besichtigt. Sollten wir noch nicht das definitive Traumhaus finden, werden wir einfach erst mal in die Nähe von Gopikas ziehen und später können wir uns in aller Ruhe in der Nachbarschaft nach etwas Passendem Ausschau halten.

Wegen Savithas Schule ist schon fast alles geklärt. Sie wird die gleiche Schule besuchen wie Malu und Kunjunni, die Kinder von Gopikas. Somit hat sie dort bereits eine Freundin und da Savitha sehr offen und kommunikativ ist, wird sie sich da schnell einleben und neue Freundinnen gewinnen. Sie freut sich schon sehr darauf. Alles ist spannend, aufregend und neu! Doch im Moment ist sie noch beschäftigt mit den Jahresabschlussprüfungen, die im März stattfinden. Danach nützen wir die grossen Sommerferien für den Umzug und um unser weiteres Leben in die richtigen Bahnen zu lenken.

Bis dahin nehmen wir einen Tag nach dem anderen und sind zuversichtlich und guten Mutes, dass alles gut wird. Savitha meint oft, dass Papa glücklich sei im Himmel, wenn er uns so wursteln sieht hier unten. Er wolle bestimmt nicht, dass wir traurig sind und weinen. Nein, viel lieber fröhlich und lustig, so wie es immer bei uns zu und her ging. Und so machen wir ihm die Freude und haben wieder viel Spass. Er lächelt uns immer vom Bild im Wohnzimmer entgegen, welches uns vom Fotostudio in einem „güldenen“ Plastikrahmen geschenkt wurde, wir sind jeden Abend bei ihm im Garten unter dem Jackfruit-Baum, in der Nacht blinzelt er uns vom Sternenhimmel zu und wenn wir im Geethanjali sind, besuchen wir ihn im Herbal Garden. Er ist uns immer nah und wir wollen, dass er Freude an uns hat. Savitha und ich sind uns auch sicher, dass Gott uns lieb hat, dass er für uns schauen wird und er uns in Zukunft beschützen wird, damit wir unseren Weg auch ohne unseren geliebten Papa schaffen.

In diesem Sinne wünschen wir euch alles Liebe und Gute, Gottes Segen und verbleiben mit herzlichen Grüssen aus dem Drei-Mädel-Haus

Yvonne, Savitha und Valsala

Januar 2006

Gestern hat sich mein Bruder Rolf verabschiedet. Er war mir eine riesige Stütze während den vergangen Tagen und er hat mich auf den ersten Schritten in einen neuen Lebensabschnitt begleitet. Jetzt bin ich ganz alleine und fühle mich ziemlich leer. Hans fehlt mir sehr und irgendwie kann ich es noch gar nicht fassen, dass er nie mehr zu uns zurück kommen wird. Die Hunde liegen mir zu Füssen und auch sie spüren, dass es nie mehr so wird wie früher. Auch Valsala ist traurig und werkelt in der Küche. Für Savitha hat der Schulalltag wieder begonnen und sie wird gefordert. So sitze ich jetzt am PC und versuche, meine Gedanken etwas zu sortieren, bevor ich mich in den Alltagskram stürze, der bereits in Mäppchen geordnet im Schrank wartet, um erledigt zu werden.

Hans war ein wundervoller Ehemann und wir verbrachten herrliche 22 Jahre zusammen. Zuerst in Bern, später kurz in Zürich und danach wieder in Bern, bis wir 1996 den grossen Schritt nach Indien wagten. Wir wussten seit jeher, dass wir wegen dem grossen Altersunterschied nie zusammen alt werden können und deshalb suchten wir eine Möglichkeit, die Jahre nach der Pensionierung von Hans, gemeinsam verbringen zu können. Hier in Kerala fanden wir eine neue Heimat und verbrachten 10 spannende, aufregende und ereignisreiche Jahre, die wir in vollen Zügen genossen. Selbstverständlich gehörten auch schwierige Zeiten dazu, aber die waren da, um gemeinsam gemeistert zu werden. Wir wurden von der hiesigen Bevölkerung freundlich aufgenommen und akzeptiert und schon bald fühlten wir uns sehr heimisch im Dorf. Wir tauchten ein in die bis anhin für uns fremde Kultur und lernten jeden Tag dazu.

Hans war in all den Jahren immer sehr aktiv. Wir waren mit Familie Gopika vom Geethanjali sehr eng verbunden, hatten dort unsere Aufgabe gefunden, ihnen beim Marketing behilflich zu sein und selber genossen wir jede Woche unsere Ayurveda-Behandlungen. Sie waren es, die uns immer zur Seite standen und mit denen wir uns am engsten verbunden fühlten. Daneben wurden wir zu kleineren und grösseren Ereignissen eingeladen, ob Hochzeiten, Einweihungen, Eröffunungen, Empfängen und Seminarien und überall waren wir gern gesehene Gäste. Hans war als „the white riksha-driver“ im Dorf bekannt und machte täglich seine Tour. Auch legte er immer sehr viel Wert darauf, das Auto selbst zu steuern und wer den indischen chaotischen Verkehr kennt, weiss, was das heisst. Er war einer der wenigen Weissen hier, die sich überhaupt hinters Steuer wagten.

In den frühen Morgenstunden des 23. Januar schlief Hans friedlich vor dem PC ein. Er hatte alle geschäftlichen Angelegenheiten erledigt, weil er nicht schlafen konnte und danach surfte er in den Schweizer-News im Internet herum. Er wurde müde, schlief ein und ging ruhig und in Frieden von uns. Um 06.00 Uhr stand ich auf und fand ihn in seinem Stuhl. Ich war völlig gefasst, weder geschockt noch sonst aufgeregt. Ich nahm in aller Ruhe Abschied von ihm und konnte das Geschehene akzeptieren. Ich konnte Hans keinen schöneren Tod wünschen. Hans hatte immer Angst, einmal alt und gebrechlich zu werden, auf jemanden angewiesen zu sein, der ihn pflegt, oder über Jahre krank zu sein und unter Schmerzen leiden zu müssen. Das blieb ihm erspart und darüber bin ich sehr froh und dankbar. Er war aktiv bis zur letzten Sekunde – hatten wir doch die Woche davor noch ein Ayurveda-Hospital besichtigt und am Sonntag trafen wir uns mit Freunden an der Kovalam Beach und genossen einen herrlichen Nachmittag zusammen, bevor wir nach Hause fuhren.

Nachdem ich mich von ihm verabschiedet hatte, weckte ich Valsala und Savitha, ich rief unseren Freund Bose und Gopikas an und schon begann der grosse Rummel. Eine Delegation von 10 Polizisten kümmerte sich um die administrativen Angelegenheiten, weil sie besonders vorsichtig sein wollten, da wir Ausländer sind. Ich musste Red und Antwort stehen, Papiere organisieren, Telefonate erledigen und so blieb überhaupt keine Zeit, die vielen Kondolenzen entgegen zu nehmen. Hans wurde im Wohnzimmer schön aufgebahrt und das halbe Dorf kam, um sich von ihm zu verabschieden. Bose organisierte alles für den Transport ins Medical College und auch Dr. Gopika hatte alle Hände voll zu tun mit der Organisation der kommenden Tage.

Zuerst war geplant, dass Hans zwei Tage später in einer Halle in Trivandrum aufgebahrt werden sollte vor der Kremation. Doch dann kam alles anders, weil in der Stadt wegen den bevorstehenden Wahlen keine einzige Halle zur Verfügung stand. Die Stadt war wegen den Wahlen, den vielen Kundgebungen und Demos im Ausnahmezustand, alles war blockiert und das Krematorium ausser Betrieb. Dr. Gopika schlug vor, dass er am liebsten Hans auf seinem eigenen Grund und Boden nach Hindu-Riten verbrennen würde. Ich war tief gerührt und konnte mir keinen schöneren Beweis der familiären Bande vorstellen, denn wo findet man einen religiösen Hindu, der einen Ausländer, dazu noch einen Christen die letzte Ehre auf seinem eigenen Boden erweist? Damit gaben sie mir zu verstehen, dass Savitha und ich von nun an zu ihrer Familie gehören und dass sie sich um uns sorgen werden.

Rolf traf am Mittwoch in der Früh ein und ich war froh, ihn an meiner Seite zu wissen. Es war auch für die hiesige Bevölkerung wichtig, dass ein Mann aus meiner Familie sich um mich kümmerte. Gerade der Schwager des Verstorbenen nimmt hier nach dem eigenen Sohn die wichtigste Stellung ein.

Am gleichen Tag fand die Bestattung im Geethanjali statt. Hans wurde beim Eingang zum Gästehaus aufgebahrt und alle kamen, um sich nochmals von ihm zu verabschieden. Freunde und Bekannte, Delegationen von Geschäften und Hotels, in denen wir verkehrten, alle, denen wir durch die Foundation geholfen haben und ganze Schulklassen. Ich war tief gerührt und bewegt von der grossen Anteilnahme. Es war ein herrlicher, sonniger Tag, Hans hätte es sich nicht schöner wünschen können. Im Herbal-Garden war alles für die Verbrennungs-Zeremonie vorbereitet worden und Rolf wurde vom Priester angewiesen, was zu tun war. Er hat seine Aufgabe mit grosser Würde ausgeführt und schon bald brannte der Mangoholz-Haufen lichterloh.

Vier Tage danach trafen wir uns mit Gopikas wieder im Geethanjali und Rolf hat während einer Zeremonie die Asche aufgesammelt und sie in zwei Tonurnen gelegt. Auch da hatte jede einzelne Handlung eine Bedeutung und es herrschte eine friedliche und feierliche Stimmung in den Morgenstunden. An der Feuerstelle wurde ein Kokosbaum gepflanzt, so wie es hier üblich ist, einen Thulassi-Strauch und eine Turmeric-Staude. Als Zeichen, dass aus vergangenem Leben wieder neues entstehen soll. Und so werden wir in Zukunft immer ein Plätzchen haben, wo wir Hans besuchen können, wenn wir ins Geethanjali kommen. Die beiden Urnen wurden bei uns im Garten unter einem Jackfruit-Baum vergraben und jeden Abend vor Sonnenuntergang zünden wir die Öllampe im Garten an zum Gedenken an Hans.

Am Montag nahmen wir an einem kleinen Gottesdienst in der nahen Kirche von Gopikas teil und anstatt die Gäste danach zu verköstigen, habe ich Reis- und Linsensäcke unter den Armen verteilt.

In all den Tagen dazwischen haben Rolf und ich von morgens früh bis in die späten Abendstunden gearbeitet. Hans hat mich während all den Jahren immer auf Händen getragen und das hiess, dass er die ganze Administration und was dazu gehörte, alleine getätigt hat. Deshalb half mir Rolf, mich auf dem PC zurecht zu finden, alles neu zu organisieren und so hoffe ich, das Büro alleine managen zu können. Da ich bis am 9. Februar das Haus nicht verlassen darf, hat sich unsere Arbeit vor allem auf das Haus beschränkt. Trotzdem haben wir schon einen auswärtigen Termin auf der Bank wahrgenommen und so werde ich in den nächsten Wochen und Monaten noch voll beschäftigt sein, all den Papierkram zu regeln, alles auf die Reihe zu bekommen und mein Leben neu zu organisieren. Es gibt noch viel zu tun, ich muss sehr viel lernen und beginne praktisch bei null. Trotzdem hoffe ich, dass ich es schaffen werde und ich in einem Jahr stolz auf das Erreichte zurückblicken kann.

Ich hatte nie einen Gedanken daran verschwendet, Kerala zu verlassen und einen Neustart in der Schweiz zu wagen. Nein, mein Leben ist hier. Ich will für Savitha sorgen, unsere Familie sind Gopikas und auch Valsala wird weiterhin bei uns bleiben. Ich möchte die Arbeiten im Sinne von Hans weiterführen und für das Geethanjali tätig sein und auch die Foundation möchte ich im bescheidenen Rahmen aufrecht erhalten.

Am 9. Februar wird nochmals eine Pooja an der Papanasam Beach in Varkala stattfinden, wo ich nach einem Ritual die Urne mit der Asche dem Meer übergeben werde. Die zweite Urne bringen wir in einen Tempel in Nordkerala. Wir hatten diese Familienreise mit Gopikas bereits für die Sommerferien geplant und so werden wir die Asche dort deponieren.

Die Zukunft sieht so aus, dass ich jetzt versuche, alles irgendwie in den Griff zu bekommen, all die administrativen Sachen, die Umschreibungen und was sonst noch alles zu tun ist, und daneben sind wir auf der Suche nach einem geeigneten Haus in der Nähe von Gopikas. Der Vertrag hier läuft Ende Jahr aus und wegen Savitha müssen wir unbedingt vor dem neuen Schuljahr umziehen, damit sie nach den Sommerferien in der neuen Schule beginnen kann. Dazu muss ich im Mai Indien verlassen und in der Schweiz ein neues 5-Jahres-Visum beantragen. Valsala wird auch noch im kleinen Rahmen im April heiraten und somit konzentriert sich alles auf April und Mai. Es wird anstrengend werden und viel los sein. Aber mit der grossen Hilfe von Gopikas und von Bose hoffe ich doch, dass wir alles irgendwie unter einen Hut bekommen werden.

Bis alles soweit ist, bitte ich euch, etwas Geduld zu haben, wenn ich mich nicht mehr so oft melde, wie ich das gerne möchte. Ich bedanke mich nochmals herzlich für all die vielen wundervollen und sehr persönlichen Worte, die vielen Gedanken und Gebete werden mich auch in Zukunft begleiten und irgendwann werde auch ich wieder positiv in die Zukunft blicken können.

Seid herzlich gegrüsst und umarmt


Yvonne mit Savitha und Valsala